Psychologischer Zugang: K. Wolff.

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Wien – Bisher ist er vor allem mit alter Musik hervorgetreten, und Konstantin Wolff zögert nicht mit dem Bekenntnis: "Dieses Repertoire bedeutet sicher eine Prägung, die ich nicht so schnell loswerden werde."

Bedeutet es dann nicht eine gewaltige Umstellung, nun Mozart an der Volksoper Wien zu singen? Hier winkt der Bassbariton ab: "Der Unterschied ist gar nicht so dramatisch. Natürlich sind es besonders die Rezitative, über die man diskutieren muss. Ich wusste ja, dass es nicht so werden würde wie mit René Jacobs. Aber an der Volksoper kennt sich der Dirigent Dirk Kaftan sehr gut mit Aufführungspraxis aus, und das Orchester spielt unglaublich gut und reagiert ganz toll."

Das Gespräch findet unmittelbar nach einer Probe statt, so dass der Sänger von frischen Eindrücken berichten kann: "Häufig kommen musikalische Impulse auch vom Regisseur Marco Arturo Marelli: Er rechtfertigt es etwa szenisch, dass die Musik eine bestimmte Lautstärke hat, vermittelt zum Beispiel, warum etwas piano gespielt und gesungen werden sollte und welche Spannung das dann braucht."

Stilistische Fragen zur Zeit wären gar nicht so zentral: "Die Rolle des Grafen interessiert mich mehr psychologisch, weil sie so reich ist und man so viel aus ihr machen kann. Im Libretto steht alles drin. Ich kenne inzwischen vielleicht fünf Figaro-Produktionen, und die sind alle anders. Aber meistens ist mir der Graf zu einfach dargestellt: Er will Susanna flachlegen, ist aus Prinzip untreu und ein Machtmensch. Das ist mir zu wenig."

Stattdessen sieht Wolff die Figur vor allem durch ihre Beziehung zu anderen bestimmt: "Viel erfährt man über ihn dadurch, wie andere auf ihn reagieren und wie er allem, was passiert, hinterherläuft. Er bleibt zwar ein unergründlicher Charakter, aber in dieser Figur gibt es viel Zerbrechliches. Er ist unsicher und kompensiert das über den Versuch, seine Macht zu erhalten. Ich habe viel Spaß daran, dafür so viele Farben wie möglich zu finden."

Verlorene Feinheiten

Braucht es nicht völlig andere Farben, wenn – wie an der Volksoper - nicht in der Originalsprache, sondern auch Deutsch gesungen wird? Wolff: " Im Sommer habe ich den Figaro auf Italienisch gesungen und dabei schon viel auf die Rolle des Grafen geachtet. Am Anfang war es schon merkwürdig, direkt danach auf Deutsch zu singen. Wenn man das Original im Kopf hat, ist das zunächst komisch, und ich war am Anfang schon etwas befremdet. Als ich dann den Überblick über die ganze Übersetzung hatte, habe ich beschlossen, manches zu ändern, das ich nicht so gut übersetzt fand. Aber jetzt fühle ich mich sehr gut damit, auch wenn viele Feinheiten und die italienische Versstruktur unwiederbringlich verloren gehen."

Als Gewinn betrachtet Wolff die Ausweitung seines Repertoires: "Ich gestehe, dass ich eine Komplexität wie bei Mozart in der Barockmusik, etwa bei Händel, vermisst habe. In meinem Fach war ich halt oft der böse Neider oder der Zauberer. Ich habe gemerkt, dass ich andere Herausforderungen brauche, um künstlerisch zu wachsen."

Als Kontrapunkt dazu hat Wolff wiederholt auch schon bei Uraufführungen mitgewirkt: "Das finde ich interessant und angenehm, weil man nicht von vornherein auf bestimmte Klischees einer Rolle fixiert ist." Aber gleich ob neue Musik oder Mozart: "Das Wichtigste ist, dass das, was auf der Bühne passiert, einen vielleicht auf etwas stoßen kann, das womöglich gerade im eigenen Leben aktuell ist. Es muss stets das zentrale Interesse sein, eine Geschichte zu erzählen, weil sie es wert ist – und nicht nur, um sich im Medium Musik aufzuhalten. Wenn Oper zum Selbstläufer wird, dann ist das der Tod der Kunst." (Daniel Ender, DER STANDARD, 22.11.2012)