Die große Bühne der Deutschen Oper wird saniert. Deshalb überbrückt Intendant Dietmar Schwarz die Zeit an der Bismarckstraße mit verblüffenden Projekten. Los geht’s mit dem Musiktheater „Oresteia“.

Wer die Opernleute an der Bismarckstraße treffen will, muss erst einmal um das große Haus herumlaufen. Denn im Vorderhaus wird gerade saniert, aber hinten auf dem Parkdeck bereitet die Deutsche Oper gerade ihre Saisoneröffnung am 9. September mit Iannis Xenakis’ Musiktheater „Oresteia“ vor.

„Das Stück ist kurz und heftig“, sagt Intendant Dietmar Schwarz: „Vor allem der Chor hat eine Riesenaufgabe.“ Es ist wieder ein Auftakt mit zeitgenössischer Musik. Die Moderne ist ein Steckenpferd des Intendanten, das Stück selbst dauert rund 60 Minuten. Die Proben laufen offenbar gut, Dietmar Schwarz wirkt zufrieden.

Bänke für 500 Zuschauer

Der neue Spielort unter freiem Himmel ist schon kurios. Dort, wo sonst die Opernbesucher ihre Autos parken, sind jetzt Bänke für 500 Zuschauer aufgestellt. An einer Seite wurde eine Treppenbühne errichtet, an deren Ende auch das Kammerorchester platziert ist.

„Das ist normalerweise die Lagerfläche für unsere kurzfristig verfügbaren Repertoirestücke“, erklärt der Intendant. Aber am bemerkenswertesten ist wohl die Wand linkerhand der Bühne. Nicht nur, weil dort in der Regie von David Hermann der Chor aus den Fenstern heraus singen wird. „Das ist die einzig erhaltene Originalwand des 1912 erbauten Charlottenburger Opernhauses“, sagt Schwarz.

Hinter dieser Wand befindet sich der Bühnenturm, dessen Maschinerie gerade erneuert wird. Bis Ende November ist deshalb das Opernhaus geschlossen, insgesamt werden 20 Millionen Euro verbaut. Es ist jetzt die dritte und mit fast einem halben Jahr auch längste Bauphase. Die Oper selbst spricht deshalb von einer „Auswärtssaison“.

Vertrackte Baugeschichte

Auf jeden Fall bekommt der Premieren-Besucher gleich noch ein Stück Opernhaus-Geschichte mitgeliefert. Denn der erste Eindruck, die Deutsche Oper ist ein moderner 60er-Jahre-Bau mit Waschbetonfassade und viel Glas, erledigt sich schnell auf der Rückseite. Dort ist die vertrackte Baugeschichte nachzuvollziehen. Später in seinem Büro zieht der Intendant das Jubiläumsbuch „Hundert Jahre Deutsche Oper Berlin“ aus dem Schrank, blättert darin und zeigt auf einen verwinkelten Grundriss. Die letzte Mauer erinnert an das 1912 von der damals noch eigenständigen Stadt Charlottenburg eröffnete Deutsche Opernhaus.

Im Zweiten Weltkrieg, im Jahr 1943, wurde das Gebäude weitgehend zerstört. Architekt Fritz Bornemann konzipierte an der Bismarckstraße die 1961 neu eröffnete Deutsche Oper. Diese Gebäudeteile sind vom Parkplatz her deutlich sichtbar und prägen auch das Opernhaus-Antlitz. Rechterhand verdeckt liegen die Anfang der 30er-Jahre errichteten Funktionsräume, in denen heute die kleine Bühne „Tischlerei“ angesiedelt ist, oder auch der Intendant residiert. Das Parkhaus, in dem jetzt die neue Saison eröffnet wird, stammt aus den Zeiten des Wiederaufbaus. Schwarz schwärmt von dem neu entdeckten Spielort. „Da spielen wir jetzt jedes Jahr“, sagt er. Der Intendant denkt an sommerliche Open-air-Veranstaltungen für Kinder, glamouröse Film- oder Opernnächte.

Baumaßnahmen als Risiko

Aber jetzt muss er erst einmal die „Auswärtssaison“ über die Runden bringen. Denn Baumaßnahmen, das weiß man in Berlin zur allzu gut, sind Risiko-Unternehmungen. „Ja, es gab einige Probleme“, sagt er, „aber es ist alles immer noch in der Zeit.“ Er sei vorsichtig optimistisch, und man bleibe „auch im Kostenrahmen“. In der letzten Sanierungsphase geht es um die Oberbühnenmaschinerie. „Die war 1961 hochmodern“, sagt Schwarz, „ist aber heute hinüber.“ Mitte der 90er-Jahre hatte die Deutsche Oper bereits nicht mehr genügend Geld, deshalb begann man zu flicken. Es wurden einfach einzelne Züge ausgetauscht, weil für eine Generalsanierung kein Geld zur Verfügung stand. Nach der Sanierung gibt es auch neue Beleuchtungsmöglichkeiten. Überhaupt werden die alten Hand- durch moderne Elektrozüge ersetzt. „Natürlich nicht beim Vorhang“, sagt der Intendant und fügt erklärend hinzu: „Ein Wagner-Vorhang muss auf den letzten Ton fallen.“ Wann der letzte Ton erklingt, liegt in der Hand des Dirigenten. Manche dirigieren langsamer, andere schneller. Das lässt sich nicht im Computer programmieren.

Wenn alles gut geht, öffnet die Deutsche Oper am 27. November das große Haus für den „Nussknacker“ des Staatsballetts und tags darauf für die eigene „Carmen“. Wegen der verkürzten Spielzeit hat Schwarz nur vier Premieren im großen Haus angekündigt, zwei weniger als üblich. Das ist auch eine Kostenfrage. Eine Neuinszenierung koste, so Schwarz, zwischen 600.000 und 800.000 Euro. Denn durch die mehrmonatige Schließung gehen dem Haus pro Opernabend rund 50.000 Euro an Einnahmen verloren. Das unbespielbare Haus versucht allemal ein Defizit, denn natürlich verursachen auch die Premieren in den Auswärtsspielstätten – „Oresteia“ auf dem Parkdeck und „Schändung der Lucretia“ im Haus der Berliner Festspiele – hohe Produktionskosten.

Ungewöhnliche Spielorte

Die Xenakis-Produktion wird jetzt zur Eröffnung insgesamt fünf Mal gezeigt. Es bleibt wohl eher eine Kenner-Veranstaltung. Überraschenderweise hat sich bei vorherigen zeitgenössischen Projekten gezeigt, dass das Opernhaus damit gerade ein jüngeres Publikum erreichen kann. Schwarz sagt, es sei spannend gewesen, „sich etwas für die Schließungsphase an ungewöhnlichen Spielorten auszudenken“. Schließlich muss sein Ensemble über Monate hinweg anderswo beschäftigt werden. Er sieht darin auch Chancen. Jetzt sind eine Vielzahl größerer und kleinerer Veranstaltungen zwischen Philharmonie, Tempodrom, dem Haus der Berliner Festspiele und der eigenen Tischlerei geplant. Am heutigen Sonnabend gastiert das Orchester mit Generalmusikdirektor Donald Runnicles etwa bei der BBC Proms 2014 in der Londoner Royal Albert Hall. Das hätte wahrscheinlich im normalen Opernbetrieb, so Schwarz, nicht stattfinden können.