Jonas Kaufmann über Puccinis "Manon Lescaut" in der Regie von Hans Neuenfels an der Bayerischen Staatsoper

Jonas Kaufmann verteidigt Regisseur Hans Neuenfels und erklärt, warum Anna Netrebko aus der Neuinszenierung von Puccinis „Manon Lescaut“ ausgestiegen ist
| Robert Braunmüller
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Am Samstag knistert die Luft in der Bayerischen Staatsoper. Um 19 Uhr beginnt die Premiere von Puccinis „Manon Lescaut“. Anna Netrebko ist zwei Wochen vor der Premiere ausgestiegen, weil sie sich mit dem Regisseur Hans Neuenfels nicht über die Deutung der Titelrolle einigen konnte. Kristine Opolais übernimmt die Partie, Jonas Kaufmann singt den Des Grieux, Bayreuths neuer „Lohengrin“-Dirigent Alain Altinoglu hat die musikalische Leitung. Alle Vorstellungen sind seit langem ausverkauft.

AZ: Herr Kaufmann, wie haben Sie den Ausstieg von Anna Netrebko aus der Inszenierung erlebt?

JONAS KAUFMANN: Ich denke, dass einfach die Chemie nicht gestimmt hat. Ich kenne Hans Neuenfels schon lange. Es schockiert mich nicht, wenn er manchmal hinter einer Fassade verschwindet. Denn ich weiß, wie viel Geist, Wissen und Theatererfahrung dieser Mann besitzt. Dazu kam die Sprachbarriere: Anna Netrebko und Neuenfels konnten sich nur mit Hilfe von Übersetzern verständigen. Da kommt leicht einmal nicht herüber, was man eigentlich sagen möchte – und zwar in beiden Richtungen.

Auch Sie haben in Neuenfels’ Bayreuther „Lohengrin“ nur ein Jahr gesungen.

Das hatte nichts mit der Inszenierung zu tun. Die Probenphasen für die Wiederaufnahme im folgenden Jahr wurden so verändert, dass ich für die Proben andere Aufführungen hätte absagen müssen. Das war der Grund für meinen Ausstieg.

Mag Ihre Kollegin vielleicht kein Regietheater?

Anna Netrebko hat damit kein grundsätzliches Problem. Sie hat ja auch in Martin Kusejs „Macbeth“ gesungen. Sie ist für viel Verrücktes zu haben. Aber in dieser Produktion hat sie sich nicht zu 100 Prozent wohlgefühlt.

Lief für Sie alles glatt?

Anna Netrebko und ich hatten Probleme mit der Akustik des Bühnenbilds, die letztendlich gelöst wurden. Bis zum Schluss wurden einzelne Szenen neu gestaltet. Die Bayerische Staatsoper ist mein Stammhaus. Ich wollte mir nicht nehmen lassen, den Des Grieux hier zu präsentieren.

Nun mit einer neuen Partnerin – Kristine Opolais.

Das ist ein Glücksfall. Sie war in New York für eine Wiederaufnahme von „La Bohème“ engagiert und wurde vom Intendanten freigegeben. Ich habe mit Kristine Opolais in Puccinis „Manon Lescaut“ in London gesungen. Die Rolle passt ihr wie ein Handschuh. Und sie gibt auf der Bühne alles.

Hätte Nikolaus Bachler nicht früher eingreifen müssen?

Der Intendant sammelt alle Ingredienzien für die Aufführung und bringt sie an einen Tisch. Wenn er in jede Suppe spuckt, könnte er gleich selbst singen, dirigieren und inszenieren. Er muss allen Beteiligten vertrauen. Natürlich kommt irgendwann der Punkt, an dem ein Intendant auch „Stop!“ rufen muss. Das hat Nikolaus Bachler auch gemacht. Aber ich verstehe, dass er gezögert hat, in einen künstlerischen Prozess einzugreifen. Die Kunst muss sich weiterentwickeln, nicht nur im Kreis um sich selbst drehen.

In Neuenfels’ Bayreuther „Lohengrin“ waren Ratten der Aufreger. Kommen in „Manon Lescaut“ auch Tiere vor?

Tiere nicht. Aber seltsame Gestalten. Aber damit rechnet eigentlich jeder, der Hans Neuenfels kennt. Die Inszenierung ist eher reduziert, mit gelegentlich befremdlichen Elementen. Man kann das mögen oder nicht mögen. Aber es hilft, wenn der Zuschauer mal verschnaufen möchte, ehe er sich wieder auf Puccinis Gefühlswelt fallen lässt.

Um welche Gefühle geht es da?

Die Leidenschaft von Des Grieux für Manon geht bis zur Selbstzerfleischung. Er ist ihr verfallen, fast wie ein Süchtiger. Dabei wird er von ihr ständig zurückgewiesen, betrogen, verlassen und hintergangen. Trotzdem kehrt er wie ein Hühnchen brav zu ihr zurück. Das hat etwas Pathologisches, aber es ist auch etwas, das im Leben vorkommt. Da kenne ich Opernfiguren, die sich unwahrscheinlicher verhalten.

Erkennen Sie sich da wieder?

Jeder von uns war mal über beide Ohren verliebt und hatte das Gefühl, er könne im Leben alles erreichen, wenn nur dieser geliebte Mensch da wäre. Das steckt in jedem von uns. Aber so krankhaft einer Frau verfallen war ich noch nie.

Warum kommt Des Grieux von Manon nicht los?

Sie hat viel Charme. Wenn sie die Angel auswirft, spürt sie genau, wenn ein Mann zubeißt. Dann zieht sie gnadenlos an. Puccini war noch jung, als er diese Oper komponierte, aber er muss in seinem Privatleben schon einige Erfahrungen gemacht haben. Diese Manon ist unglaublich realistisch.

Am Beginn soll sie ins Kloster gesteckt werden.

Ihr Vater dachte, nach einem allzufrühen und allzu lasterhaften Lotterleben sei es das Beste, bevor das Mädchen noch schwanger wird. Des Grieux, den sie bei der Rast auf einer Poststation kennenlernt, ist ihre letzte Chance. Sie nimmt, was kommt. Aber sie liebt ihn am Ende des Tages dennoch. Im zweiten Akt, wenn sie im Luxus lebt, erinnert sie sich doch an ihn.

Hans Neuenfels blendet gern kommentierende Texte in seinen Inszenierungen ein. Auch bei „Manon Lescaut“?

Es gibt einen deutschen Zwischentext zum Intermezzo. Allerdings sollte man wissen, dass ein ähnlicher Text vor dem Zwischenspiel in den Noten steht. Wie das Publikum früher davon erfahren hat, weiß ich nicht, vielleicht stand das auch in den alten Textbüchern.

Rechnen Sie mit Buhs für den Regisseur?

Irgendwie schon. Ich habe vor fünf Jahren die Premiere von „Lohengrin“ in der Inszenierung von Richard Jones in München gesungen. Da gab es hinterher auch sehr heftige Publikumsreaktionen. Aber schlimmer wird es gewiss nicht werden.

BR Klassik überträgt die Premiere am Samstag ab 19 Uhr live

 

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