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„Man muss wissen, was man will“

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Katharina Wagner ist Festspielleiterin in Bayreuth und die Urenkelin Richard Wagners.
Katharina Wagner ist Festspielleiterin in Bayreuth und die Urenkelin Richard Wagners. © -

Bayreuth - Katharina Wagner spricht im großen Merkur-Interview über ihre „Tristan“-Regie, Bayreuther Sängerwechsel und den Druck auf die Festspiele.

Ein angebliches Hügelverbot für ihre Halbschwester Eva Wagner-Pasquier, die seltsame Trennung von Anja Kampe, die als Isolde durch Evelyn Herlitzius ersetzt wurde – Festspielleiterin Katharina Wagner hat gerade wieder an mehreren Fronten zu kämpfen. Ganz zu schweigen von der Hitze, die auch im hehren Haus zu spüren ist. Immerhin: Die Büros sind mittlerweile klimatisiert. Mit Kaffee und Zigarettenschachtel bewaffnet kommt die Chefin zum Interview. Nachdem das Aufzeichnungsgerät ausgeschaltet ist, erzählt sie en detail und begeistert von ihrer Inszenierung: Mit „Tristan und Isolde“ werden am kommenden Samstag die Bayreuther Festspiele eröffnet. Christian Thielemann, gerade zum Musikdirektor befördert, dirigiert.

Vor einigen Jahren haben Sie im Interview mit unserer Zeitung gesagt: „Tristan und Isolde“ spare ich mir auf. Was ist seitdem passiert, dass Sie sich reif für das Stück fühlen?

Als Regisseur spürt man irgendwie den Moment, der signalisiert: Jetzt geht es. Das kann man gar nicht genau beschreiben. Sicher hat das auch mit Lebenserfahrung zu tun.

Geht das Stück gut aus?

Kommt darauf an, wie Sie das definieren und aus welcher Perspektive. König Marke ist bei uns eine sehr starke, machtbewusste Person, kein gütiger, verzeihender Onkel, als der er oft dargestellt wird. Der nimmt sich am Ende, was ihm gehört und ihm zugesagt wurde. Isoldes „Liebestod“ sehe ich als Verklärung. Sie verklärt die Tatsache, dass Tristan tot ist. Sie will es nicht wahrhaben. Immerhin singt sie „Fühle ich nur diese Weise“. Das ist eine Form der psychologischen Verdrängung.

Braucht es den Liebestrank überhaupt?

Nein. Ich glaube, dass die beiden eine Vorgeschichte haben. Sie fühlen sich körperlich unglaublich zueinander hingezogen. Wir versuchen, das alles zeitlich relativ ungebunden auf die Bühne zu bringen. Es gibt geometrische Räume, die Dreiecksform ist immer präsent. Einer wird immer in eine Ecke gedrängt, in eine Ausweglosigkeit. Ein Nicht-von-der-Stelle-Kommen kennt ja jeder.

Fühlen Sie sich unter Druck, als Regisseurin Duftmarken am eigenen Haus setzen zu müssen?

Ich sehe das eher grundsätzlich. Es geht gar nicht ums eigene Haus. Sie müssen in erster Linie mit dem Team von der Konzeption überzeugt sein, dann kann man auch die Sänger mitreißen. Man sollte als Regisseur nie über die Außenwirkung nachdenken. Dann wird’s unehrlich.

Trotzdem: Sie sind hier ausgesetzter, als wenn Sie zum Beispiel in London oder Berlin inszenieren würden. Das ist doch eine Sondersituation.

Bayreuth ist immer eine Sondersituation. Außerdem haben wir nur eine Neuproduktion pro Saison. Aber das Problem habe ich nicht allein, das geht allen Regisseuren hier so.

Sie haben immer wieder außergewöhnliche Regisseure ausgewählt und mussten prompt Absagen hinnehmen. Ist das auch die Folge dieses Drucks, immer der Wagner-Schrittmacher sein zu müssen?

Man erfährt von außen manchmal einen fast unnatürlichen Druck – bei dem ich mich manchmal wundere, wie der zustandekommt. Es gibt nämlich eine große Diskrepanz zu dem, was bei uns intern tatsächlich passiert. Wenn ich höre, dieser „Tristan“ sei entscheidend für die Zukunft der Festspiele, dann denke ich mir: Was soll das? Wenn es jemandem nicht gefällt, bricht dann etwa das Haus am Abend des 25. Juli automatisch zusammen?

Ich denke eher an die Auswahl bei den Regisseuren. Sind die extremen Regie-Handschriften aus diesem Druck entstanden?

Nein. Ich bin der Meinung, man sollte Regisseure danach auswählen, ob sie zum jeweiligen Stück eine überzeugende Aussage finden können.

Gehört dieses Gerede über Bayreuth, das Sie beklagen, nicht zum Festspiel dazu? Ist doch eine wunderbare Werbung.

Eine, die wir aber nicht herbeiführen. Wir sind manchmal täglich darüber erstaunt, was wir lesen. Und eigentlich sollte das auf Tatsachen beruhen, was es aber nicht immer tut.

Wurde manches nicht richtig kommuniziert? Kurzfristige Umbesetzungen zum Beispiel?

Ich kommuniziere eine Umbesetzung grundsätzlich erst, wenn ich einen unterschriebenen Vertrag mit dem neuen Sänger habe. Dass Agenten vorher reden, kann ich nicht verhindern, aber es ist nicht seriös. Heuer zum Beispiel geben wir die Besetzungen für 2016 schon zum Festspielstart bekannt, auch wenn Leerstellen bleiben. Da heißt es natürlich gleich wieder bei „N.N.“: Aha, sie haben keinen. Haben wir wohl, aber es ist noch nichts unterschrieben.

Manchmal ist es eben seltsam, wenn wie bei Anja Kampes Isolden-Absage keine Gründe angegeben werden und die Spekulationen ins Kraut schießen.

Das ist richtig, das war uns auch allen bewusst, dass dies passiert. Dennoch haben wir uns aber auf diese Vorgehensweise mit Anja Kampe geeinigt.

Wo mussten Sie als Festspielleiterin am meisten dazulernen?

Ich musste lernen, eine gewisse Ruhe zu bewahren. Für meine Verhältnisse hat das auch einigermaßen geklappt.

Wann gehen Sie denn an die Decke?

Ich bin relativ ungeduldig. Aber das liegt wohl an den Genen, so war auch schon mein Vater. Wenn er etwas gefordert hat, wollte er drei Minuten später schon die komplette Erledigung haben. Wenn zum Beispiel ein Scheinwerfer geliefert werden soll, und es ist Poststreik, dann wäre ich früher ausgerastet und 800 Kilometer gefahren, um das Ding abzuholen. Jetzt warte ich halt eine Woche auf das Ende des Streiks. Und steige dann vielleicht ins Auto. (Lacht.)

In der Debatte über das angebliche Hügelverbot für Ihre Halbschwester haben sich Kirill Petrenko und Daniel Barenboim kritisch geäußert. Wie begründet oder aus der Luft gegriffen waren die Wortmeldungen der beiden?

Wir waren schon etwas verwundert über Herrn Petrenkos Äußerungen, vor allem, weil sie auf einem Artikel fußten, der nur im Konjunktiv geschrieben ist.

Haben Sie darüber mit ihm gesprochen?

Nein, er ist schließlich hier total mit dem „Ring“ befasst, und das ist auch seine Aufgabe. Außerdem: Was hätte es gebracht? Hätte er sich dann nochmals öffentlich äußern sollen? Im Übrigen sieht er ja, dass meine Schwester im Haus ist. Manchmal werden eben Dinge geschrieben, ohne sie vorher zu verifizieren. Wahrscheinlich auch, weil es dann keine Story mehr ist.

Sind Sie beim Proben ein Kontrollfreak? Haben Sie ein Regiebuch, in dem alles detailliert drinsteht?

Bei mir geht es schon in diese Richtung. Es ist ja nicht die Aufgabe des Sängers, dass er mir etwas anbietet. Für die Haltung „Ich diskutier’ das mal alles in Ruhe“ ist am Opernhaus doch gar keine Zeit. Man muss wissen, was man will, damit es funktioniert. Das würde ich gar nicht so negativ als Kontrollfreak bezeichnen.

Vor ein paar Tagen gab es noch Karten für die früher überbuchten Festspiele. Geht da gerade ein Nimbus flöten?

Was flöten geht, ist das alte Bestellsystem. Früher hatten wir genauso viele Rückgaben, nur konnten wir die nicht online anbieten. Deshalb kann es passieren, dass plötzlich wieder zwei „Ring“-Karten zu haben sind.

Und allgemein gesehen? Werden die legendären Kulturinstitutionen gerade normal? Auch Chef bei den Berliner Philharmonikern ist keine Lebensaufgabe von päpstlichen Ausmaßen mehr.

Die Zeiten ändern sich eben. Und mit ihnen die Lebensgewohnheiten. Heute fahren die Besucher nach dem „Holländer“ oder sogar nach dem „Tristan“ teilweise nach Hause, ohne länger in Bayreuth zu bleiben. Deshalb muss man aber nicht gleich meinen: Oh, es bröckelt überall.

Tut es Bayreuth sogar gut, dass es ein bisschen vom Sockel geholt wird?

Hm. Das werden wir sehen. Aber das kann man doch alles noch gar nicht beurteilen. Ich jedenfalls halte eine gewisse Transparenz für gut. Damit öffnet man sich und weckt auch Neugier. Wir stellen schon fest, dass sich auch das Publikum ändert, gerade wegen der immer stärkeren Rolle des Internets.

Vielleicht sterben die strenggläubigen Wagnerianer ja langsam aus.

Ach, diese Änderungen haben nichts mit aufgeschlossen oder weniger aufgeschlossen zu tun. Es wird ja immer unterstellt, der Wagnerianer per se sei nicht offen für Neues. Ein Wagnerianer ist zuallererst jemand, der Wagner liebt. Alles andere ist ein Mythos.

Klaus Zehelein würde den Theatern gern eine „Ring“-Pause verordnen, damit nicht dauernd Regie-Krämpfe entstehen beim Inszenieren der immer gleichen Stücke. Der Bayreuther Werke-Kanon müsste demnach ein Fluch sein.

Ich sehe das eher anders herum. Es muss doch ein Ansporn sein zu zeigen: Das Werk hat immer noch etwas zu sagen, ich will den Beweis erbringen, dass es weiterhin aktuell ist.

Mit Christian Thielemann haben die Festspiele nun einen Musikdirektor. Warum diese Position?

Bei einem Orchester, das sich jedes Jahr neu zusammensetzt, ist es aus Gründen der Qualität notwendig, dass jemand für Kontinuität garantiert und sich um den speziellen Klang kümmert. Christian Thielemann trägt Verantwortung für die Orchesterzusammenstellung, ist aber kein Teil der Geschäftsführung. Er kann mit seiner langen Erfahrung hier punkten. Er berät auch bei den Sängern. Das Letztentscheidungsrecht habe allerdings ich.

Muss er auch einspringen im Zweifelsfall?

Ja, wenn es irgendwie möglich ist. Also wenn nach seinem „Tristan“ am nächsten Tag jemand für eine „Götterdämmerung“ gebraucht wird, wird er natürlich verschont.

Wie sieht denn Ihre Lebensplanung aus?

Ich sitze gerade hier, ich plane nicht. (Lacht.)

Ich meine weniger die von 13 bis 14 Uhr...

Aber so sieht es eben bei mir aus. Alles hängt doch von mehreren Faktoren ab. Die Gesellschafter müssen eine Vertragsverlängerung wollen, das Publikum muss zufrieden sein, und man selber muss mit den Umständen einverstanden sein.

Das Gespräch führte Markus Thiel.

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