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„Dirigieren hat etwas Mystisches“

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"Meinen Ehrentag würde ich am liebsten vergessen": Star-Dirigent Zubin Mehta wird am 29. April 80 Jahre alt.
"Meinen Ehrentag würde ich am liebsten vergessen": Star-Dirigent Zubin Mehta wird am 29. April 80 Jahre alt. © Foto: Wilfried Hösl

Zubin Mehta über seinen bevorstehenden 80. Geburtstag, die Münchner Premiere von Verdis "Maskenball" und Angela Merkels Flüchtlingspolitik

Wenn er nach München kommt, dann hat er – wie an jedem seiner Auftrittsorte – volles Programm. Anders kann Zubin Mehta auch gar nicht, der am 29. April seinen 80. Geburtstag feiert. Ein Mehta-Festspiel gewissermaßen: Gerade hat er den Koloss der „Gurre-Lieder“ gestemmt, am kommenden Sonntag dirigiert er im Münchner Nationaltheater die Premiere von Verdis „Un ballo in maschera“, dazu kommt Ende März Mozarts Requiem bei den Philharmonikern. Höchste Zeit, im Interview zur Sache zu kommen...

Um was geht es?

Eigentlich um alles, in erster Linie um Ihren großen Ehrentag im April.

Einen Ehrentag, den ich am liebsten vergessen will. Wer möchte schon 80 sein?

Einer Ihrer Kollegen sagte einmal, ob 79, 80, 81, das sei ihm wurscht.

Das ist es mir nicht. Am liebsten wäre mir 39, meinetwegen 49. Gut, es gibt einige Festkonzerte. Berlin war schon, Wien, Florenz, Indien und Israel folgen. Ich sage eben ungern nein, wenn es um Termine geht. Aber jetzt habe ich damit angefangen!

Sie haben, so schilderten Sie es einmal, früher am Pult wilde Bewegungen vollführt. Kürzlich, bei Schönbergs „Gurre-Liedern“ im Nationaltheater, waren sie absolut ruhig, kontrolliert – wann legt man die Wildheit ab?

Ach, ich war schon früher auch ruhig, weil mein Professor Hans Swarowsky in Wien sehr streng war. Er hat mich einmal bei der „Kleinen Nachtmusik“ beobachtet und gefragt: „Was machen Sie eigentlich, wenn Sie ,Tristan‘ dirigieren wollen?“ Ab Beginn meiner Karriere war ich dann eher diszipliniert in meinen Bewegungen – was ja nicht heißt, dass man nicht enthusiastisch sein darf. Man muss Musiker und Sänger inspirieren. Und man merkt irgendwann, dass man auch mit weniger Einsatz Kompliziertes beherrscht. Bei den „Gurre-Liedern“ ist die Balance am wichtigsten. Der Chor war in unserem Theater halt sehr weit hinten, ein Problem.

„Unser Theater“ – ist die Bayerische Staatsoper noch Ihr Haus?

Ich bin wieder nach Hause gekommen. Das geht mir jedes Mal so, wenn ich gastiere. Ich fühle mich sehr willkommen.

Sie haben schon sehr früh zwei Orchester als Chef übernommen, Montréal und Los Angeles. Hatten Sie nie Angst davor, das könnte zu früh sein?

Ein bisschen, weil ich noch nicht genug Repertoire mitbrachte. Die Arbeit mit beiden Orchestern lief parallel, ich musste ständig hin- und herreisen. Jedes Programm war neu für mich. Aber schon damals gab es in diesen Orchestern tolle Stimmführer, das hilft. Außerdem: Wenn man jung ist, hat man viel Chuzpe. Ich fühlte mich in meinen Interpretationen sicher, durch meine Ausbildung in Wien und durch das, was ich von Stars hörte.

Sie wollten in Nordamerika „Ihr“ Wiener Klangideal realisieren. Waren die Orchester dort nicht beleidigt?

Nein. Es ging ja nicht darum, dass ich diesen Klang für Debussy wollte. Aber mein Repertoire besteht nun mal zu 80 Prozent aus dem typischen Wiener Repertoire. Ich habe meinem ersten Trompeter in Los Angeles sogar Platten mit den Wiener Philharmonikern vorgespielt. Ich war übrigens in Nordamerika der Erste, der die Wiener Trompete benutzen ließ. Ich habe dafür sogar ein Mundstück ins Land geschmuggelt, das war schließlich eine Art österreichisches Staatsgeheimnis. Ich bin musikalisch immer ein Wiener geblieben. München bedeutete für mich dann eine nächste Stufe, was die Aufführung von Opern betraf. Interessant war: Bei den „Gurre-Liedern“ musste ich nicht am Klang arbeiten, der kam sofort und sehr natürlich. Das Bayerische Staatsorchester ist ein typisches „Ring“-Orchester, unglaublich erfahren mit Wagner, das kommt Schönberg zugute. Beim „Maskenball“ war mehr zu tun, um diese besondere italienische Transparenz herzustellen.

Inwieweit muss man als Dirigent auch Schauspieler sein?

Gar nicht. Persönlichkeit ist wichtig. Ich muss absolut sicher in dem sein, was ich von einem Werk will. Und wie ich das mitteile, hat mit Kommunikation zu tun. Manchmal kommt es mir vor, als sei auch etwas Mystisches im Spiel.

Daniel Barenboim, Ihr größter Künstlerfreund, und Sie sind bekannt für Ihr politisches Auftreten, was die israelische Politik gegenüber den Palästinensern betrifft. Es scheint, Barenboim agiere immer etwas lauter als Sie.

Oh, da müssen Sie meine israelischen Interviews lesen. Viele in Israel sind mir deshalb böse, aber sie geben es mir nicht zu verstehen. Besonders Mitglieder des Israel Philharmonic Orchestra betrifft das. Dort sitzen rund 50 Prozent Russen, ausgezeichnete Musiker, aber alle sehr konservativ. Warum, das ist mir rätselhaft. Sie kommen doch aus einem Arbeiterparadies. (Lacht.) Vor zwei Jahren habe ich im Fernsehen sehr heftig meine Meinung gesagt, kurz danach rief mich Shimon Peres an und meinte: „Du sagst, was ich nicht sagen darf.“ Und vor zwanzig Jahren hat mal ein Politiker von der anderen politischen Seite gemeint: „Wir haben genug für Mehta getan, jetzt sollte er still sein.“ Als Antwort darauf hat mich das dortige Orchester zum Chef auf Lebenszeit ernannt.

Sind Sie frustriert, was die Lage in Israel betrifft?

Sehr. Es gibt viel zu viele, die nicht wollen, dass der Status Quo aufgegeben wird. Ich bin ein Anhänger von Barack Obama, aber in dieser Sache tritt er nicht stark genug auf. Die junge Generation in Israel ist sehr gegen die Regierung eingestellt. Darauf hoffe ich.

Sie hatten als Kind viele Mitschüler aus anderen Religionen. Lernt man da Toleranz?

Ja. In meiner Klasse saßen sogar Vertreter von sieben Religionen! Sehr viele Leute glauben übrigens, ich sei Jude. Eine alte Frau kam einmal zu mir nach einem Konzert in Israel. „Mister Mehta, sind Sie Jude?“ Ich verneinte bedauernd. Darauf sie: „Aber das ist doch kein Problem, Sie können es mir wirklich sagen...!“ Ich verstehe, dass die Menschen manchmal Angst haben vor einer anderen Religion. Aber dagegen kann man argumentieren. Ich bewundere in diesen Dingen Angela Merkel und ihre Politik der offenen Türen. Ich bin nicht einverstanden mit den negativen Reaktionen darauf und mit dem, was gerade in Deutschland und Österreich wächst. Eine Antwort auf die Flüchtlingsfrage muss allerdings in Syrien gefunden werden, nicht in Europa.

Hat man als Künstler die moralische Pflicht, bei politischen Problemen den Mund aufzumachen?

Ich kann nicht anders.

Haben Sie Angst um Europa?

Wenn ich zum Beispiel auf den Juni und die Volksabstimmung in Großbritannen schaue – ja. Es wäre ein großer Fehler, wenn dieses Land die EU verlässt.

Würden Sie heute noch einmal Ihre Karriere beginnen wollen? Oder war früher alles besser?

Was damals entscheidend war für uns junge Dirigenten: Es gab eine Lücke nach dem Zweiten Weltkrieg, eine Generation fehlte fast ganz. Und da bekamen wir Jungen die Chance. Junge Dirigenten haben es heute nicht unbedingt schwerer. Ein Talentierter wird sich immer durchsetzen. Nur manchmal nehmen sie zu viele Engagements an.

Manche Kollegen legen mal ein Pausenjahr ein. Und Sie?

Kann ich nicht. Ich käme mir wie in der Wüste vor. Ich würde seelisch verhungern! Ich will doch nicht zwölf Monate lang am Strand liegen. Außerdem sucht meine Frau meistens Ferienorte aus, die sehr anstrengend sind.

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