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Nikolaus Bachler im Interview "Wir arbeiten mit Luft und Träumen"

An der Bayerischen Staatsoper wird sich einiges ändern: 2021 wird nach Generalmusikdirektor Kirill Petrenko auch Intendant Nikolaus Bachler das Münchner Opernhaus verlassen. Doch bis dahin sind es noch einige Jahre. BR-KLASSIK hat mit Nikolaus Bachler über die kommende Spielzeit,den Wandel des Hauses und den Sinn von Theater gesprochen.

Staatsintendant der Bayerischen Staatsoper | Bildquelle: © Markus Jans

Bildquelle: © Markus Jans

Nikolaus Bachler im Interview

"Wir arbeiten mit Luft und mit Träumen"

BR-KLASSIK: Herr Bachler, seit Kirill Petrenko zum Chefdirigenten der Berliner Philharmoniker gewählt wurde, ist klar, dass er seine Verpflichtungen in München schrittweise reduziert und in Berlin schrittweise hochfährt. Wird sich das in der kommenden Saison schon auswirken?

Nikolaus Bachler: Kirill Petrenko ist bis 2020 Generalmusikdirektor dieses Hauses und so wird auch seine Tätigkeit hier sein.

BR-KLASSIK: Was heißt das für die Zahl der Abende unter seiner Leitung?

Nikolaus Bachler: Das ist nicht genau festgelegt, denn es hängt von der künstlerischen Arbeit ab, was wir zueinander fügen. Es sind immer um die 40 Abende, und genauso ist es auch nächste Spielzeit.

BR-KLASSIK: Bei den anstehenden Premieren fällt auf, dass viele eher unbekannte Werke auf den Spielplan kommen. Franz Schrekers "Die Gezeichneten", Rossinis "Semiramide" und Donizettis "La Favorite" sind seit rund 100 Jahren nicht mehr im Nationaltheater gespielt worden. Und ein so großartiges Stück wie "Andrea Chénier" von Umberto Giordano noch nie. Es gab auch schon Saisons, in denen fast nur bekannte Werke neu inszeniert wurden, was für Kritik gesorgt hat. Wollten Sie diesmal besonders entdeckungsfreudig sein?

Wir sind vielleicht das einzige große Haus auf der Welt, das richtige Dramaturgie betreibt.
Nikolaus Bachler
Staatsintendant der Bayerischen Staatsoper | Bildquelle: © Markus Jans

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Nikolaus Bachler im Porträt

"Ich kenne kein besseres Publikum als das in München"

Nikolaus Bachler: Nein, das ist nur eine Außenwahrnehmung. Wir versuchen bei jedem Spielplan, Dinge zu entdecken und die Werke zueinander zu fügen, die wir interessant finden. Wir sind vielleicht das einzige große Haus auf der Welt, das richtige Dramaturgie betreibt. Ich bin der Meinung, dass ein Gesamtspielplan mehr ist als eine Ansammlung von einzelnen Werken. Auch wenn das manche im Journalismus nicht wahrnehmen oder sich gar nicht dafür interessieren, hat unser Spielplan einen sehr genau überlegten Zusammenhang. Warum machen wir "Semiramis" in der gleichen Spielzeit wie wir "Chénier" machen? Wir folgen nicht sklavisch einem Motto, aber wir arbeiten uns an bestimmten Themen ab. Und für die nächste Spielzeit ist es die Frage: "Was folgt?" Was nichts anderes heißt als: Was sind Konsequenzen menschlichen Handelns? Menschliches Handeln besteht nun einmal aus persönlichem, gesellschaftlichem und politischem Handeln. Und so ergeben sich zum Beispiel "Semiramis" und "Chénier".

BR-KLASSIK: Was haben die beiden Stoffe miteinander zu tun?

Nikolaus Bachler: Beides sind zunächst einmal politische Stoffe – beim einen Werk die Französische Revolution, beim anderen die Übergabe der Macht. Diese Stoffe sind aber so eng mit den persönlichen Lebensgeschichten und Beziehungen der Menschen verwoben, wie wir das aus unserem Alltag kennen. Da besteht kein Zusammenhang, aber es bestehen Assoziationen. Und genauso ist es auf andere Art mit Schostakowitschs "Lady Macbeth" und Wagners "Tannhäuser", wo es um Ethik und Moral geht. Und letztlich auch um das aktuellste Thema überhaupt, um den Glauben und seine Konsequenzen, um die Frage, wie sich Menschen radikalisieren. Ich habe eine Botschaft. Das ist das Zentrale, dass wir den Menschen etwas mit unserem Medium Oper mitteilen wollen. Da gibt es genügend Ansatzpunkte. Und die werden hoffentlich, wenn die Zuschauer alles gesehen haben, am Ende einer Spielzeit dann immer einleuchtend sein.

Bayerische Staatsoper - Staraufgebot in der Spielsaison 2016/17

Unter dem Motto "Was folgt" geht die Bayerische Staatsoper mit acht hochkarätig besetzen Opernpremieren in die kommende Spielsaison. Kirill Petrenko wird zwei der acht Produktionen dirigieren: Schostakowitschs "Lady Macbeth von Mzensk" (November 2016) und Wagners "Tannhäuser" (Mai 2017). Viele internationale Opernstars gastieren in der Spielzeit in München: Tenor Jonas Kaufmann und Sopranistin Anja Harteros treten in Umberto Giordanos "Andrea Chénier" im März 2017 gemeinsam auf, Mezzosopranistin Joyce DiDonato gibt im Februar 2017 ihr Rollendebüt in der Titelpartie der "Semiramide" von Gioachino Rossini. Im Fokus der Münchner Opernfestspiele 2017 steht die Premiere von Franz Schrekers Künstlerdrama "Die Gezeichneten".

BR-KLASSIK: Können Sie diese Botschaft zusammenfassen? Oder ergibt sie sich erst aus der Vielzahl der Verknüpfungen?

Nikolaus Bachler: Eine Botschaft heißt: ein Anliegen. Ich sehe Theater nicht, wie es die Deutschen so gerne haben, als moralisch-didaktische Anstalt.

BR-KLASSIK: Damit zitieren Sie Schiller.

Nikolaus Bachler: Nein, Schiller sieht die Bühne als moralische Anstalt, aber nicht didaktisch. Didaktisch ist protestantisch, und so ist das deutsche Feuilleton. Ich habe beim Theater das Anliegen, die Menschen zu sensibilisieren, aufmerksam zu machen, Wahrheitssuche zu betreiben, und das alles mit Lust und Emotion. Das ist ja letztlich die große Möglichkeit der Oper, dass wir Inhalte auf einer unglaublich hohen emotionalen Ebene vermitteln können. Das würde ich Botschaft oder auch Anliegen nennen. Wir machen nicht l’art pour l’art.

Ich sehe Theater nicht als moralisch-didaktische Anstalt.
Nikolaus Bachler

BR-KLASSIK: Wenn Sie bei den Deutschen so viel Protestantismus und Didaktik erleben, sehen Sie sich als Österreicher mit Ihren katholischen Kulturtraditionen dagegen gewappnet?

Nikolaus Bachler: Nein, ich sehe überhaupt keinen Unterschied zwischen deutsch und österreichisch und schon gar nicht zwischen Bayern und Österreich. Ich meine eher die Branche und die veröffentlichte Meinung. Die Meinung des Publikums , das erleben wir jeden Abend, ist letztlich eine ganz andere. Es gibt eine bestimmte didaktische Oberlehrerhaltung eher in den Medien als im Publikum.

BR-KLASSIK: Es wird ja immer wieder gesagt, die Musikkritik hätte sich überlebt. Im Internet kann sich ja jeder äußern. Wäre es für Sie eigentlich angenehmer, wenn es weniger Opern-Kritik gäbe?

Nikolaus Bachler: Nein, das glaube ich überhaupt nicht. Die Kritiker machen ihren Beruf, so wie jeder andere seinen Beruf macht. Was ich feststelle, ist, dass es im Journalismus, gerade was die Kunstkritik betrifft, immer mehr Meinungsgewese gibt und immer weniger fundierte Analyse. Die Qualität hat massiv nachgelassen. Aber ansonsten, glaube ich, haben wir mehr Möglichkeiten der Kommunikation. Weniger würde überhaupt nichts bringen, besser würde etwas bringen.

BR-KLASSIK: Die Barock-Oper und Nikolaus Bachler werden in diesem Leben wohl keine Freunde mehr.

Nikolaus Bachler: Das verstehe ich nicht, warum Sie das sagen. Denn wir bereiten gerade mit unheimlicher Lust und großer Begeisterung ein Werk von Jean Philippe Rameau vor, der in München überhaupt nicht existiert hat. Das hat auch mit einem Klischee zu tun. Man sagt, dass mein Vorgänger relativ viel Händel gemacht hat. Aber wenn man es insgesamt betrachtet, dann war es wahrscheinlich gar nicht so viel mehr.

BR-KLASSIK: Bei den Neuproduktionen ganz sicher, das kann man ja abzählen. Und in der kommenden Saison ist wieder keine Barock-Oper dabei.

Nikolaus Bachler: In der kommenden Saison nicht, nein, aber es geht ja auch nicht um das "Abfrühstücken" eines ganzen Programmes in jeder Saison. Sondern es geht letztlich darum, dass wir einen programmatischen Zusammenhang herstellen, der uns in dem Moment interessiert. Das Tolle am Theater ist ja, dass wir keine Strategien haben, sondern sehr assoziativ mit unseren Phantasien arbeiten. Und da kommt mal das eine vor, mal das andere nicht. Aber da haben wir schon wieder diese deutsch-didaktische Betrachtungsweise. Wo ist die Uraufführung? Wenn eine Uraufführung kommt, heißt es: wo ist denn die Barockoper? Und wenn eine Barockoper kommt, dann heißt es: wo ist denn das 19. Jahrhundert. Das sind alles Spielereien, die für die Öffentlichkeit vielleicht ganz lustig sind, aber für uns haben sie keine Bedeutung.

Das Tolle am Theater ist ja, dass wir keine Strategien haben.
Nikolaus Bachler

BR-KLASSIK: Das Motto der kommenden Saison "Was folgt?" richtet den Blick in die Zukunft. Und es ist klar, dass Sie nach dem jetzt laufenden Vertrag nicht verlängern werden. Kyrill Petrenko wird das Haus schon ein Jahr früher verlassen, also 2020. Die Suche nach einem Nachfolger dürfte schon begonnen haben. Beraten Sie die zuständigen Ministerialbeamten?

Nikolaus Bachler: Dass wir einen Vertrag unterschrieben haben, der 2021 endet, heißt ja, dass wir mehr als fünf Jahre vor uns haben. Kein Politiker, kein Wirtschaftsboss schaut auf so lange Zeiträume. Wir sind mitten in der Arbeit. Weder ich noch der Freistaat Bayern beginnen jetzt mit der Suche nach einem Nachfolger. Das wird man zu einem geeigneten Zeitpunkt tun.

BR-KLASSIK: Ihr Haus ist voll. Das künstlerische Ergebnis wird, vor allem was die musikalische Seite betrifft, hoch gelobt. Was haben Sie sich noch vorgenommen? Gibt es einen Punkt, wo Sie sagen: da habe ich das Haus noch nicht, wo ich es gerne hätte, wenn ich es 2021 meinem Nachfolger übergebe?

Nikolaus Bachler: Unsere szenische Relevanz ist mindestens so groß wie die musikalische. Daran arbeiten wir sehr intensiv. Ich finde jede Trennung vollkommen unsinnig, denn das hängt alles zusammen. Wie jemand singt und spielt, versuchen manche immer zu trennen. Meistens sind es reaktionäre Leute, die sich auf das Szenische festlegen. Für uns ist das eine Einheit und die muss relevant sein. Darum bemühen wir uns.

Unsere szenische Relevanz ist mindestens so groß wie die musikalische.
Nikolaus Bachler

BR-KLASSIK: Wohin möchten Sie noch kommen?

Nikolaus Bachler: Das Wesen von Theater ist, dass es in dem Sinne keine Strategien gibt. Wir arbeiten mit Luft und mit Träumen. Es geht immer nur um den jeweiligen Abend. Wenn der Vorhang fällt, dann zerfällt alles in Staub. Jetzt ist es elf Uhr. Unten wird geprobt. Wir bemühen uns um das, was wir zu sagen haben. Das ist anders als in einem Wirtshaftbetrieb, wo man sich vornimmt, BMW will in fünf Jahren die Elektroautos auf dem Weltmarkt haben. So etwas ist nicht Thema der Kunst. Wenn Herr Baselitz morgens in sein Atelier geht, will er nichts in zwei Jahren erreichen, sondern er möchte jetzt etwas malen. Bei uns ging es bis jetzt um Verdis "Un ballo in maschera", ab morgen geht es um Wagners "Meistersinger". Die wollen wir so relevant wie möglich, so nah an der Intention des Komponisten und so nahe der heutigen Zeit gestalten, damit das Publikum heute damit wirklich etwas anfangen kann und etwas erzählt bekommt. Das ist das ganze Ziel, mehr gibt es nicht.

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