Mangelnde Offenheit: Dietmar Schwarz beobachtet in Berlin „die Tendenz, immer wieder die gleichen Werke sehen zu wollen“.

Gerade hat Intendant Dietmar Schwarz die neuen Saisonpläne für die Deutsche Oper vorgestellt. Das sind eigentlich Zeiten für gute Gaben. Diesmal wurde beiläufig bekannt, dass es einen internen Wagner-Streit zwischen den großen Berliner Opernhäusern gibt, die beide 2020 einen neuen „Ring des Nibelungen“ auf die Bühnen bringen wollen. Was nach den Regeln der Opernstiftung unmöglich ist. Schwarz wirkte bei der Präsentation seiner Spielzeit-Vorschau leicht verschnupft, Stardirigent Daniel Barenboim kurz darauf in der Staatsoper leicht gereizt. Im Interview will Schwarz keinen Kommentar abgeben, weil man im Gespräch sei.

Berliner Morgenpost: Herr Schwarz, gibt es eigentlich ein typisches Berliner Opernrepertoire?

Dietmar Schwarz: In Berlin gibt es die Tendenz, immer wieder die gleichen Werke sehen zu wollen. Die Offenheit gegenüber neuen Stücken ist in Berlin, glaube ich, geringer als etwa in Frankfurt. Das ist vielleicht auch eine Erziehungsfrage. Allein wenn man hört, wie oft zum Beispiel im RBB der „Tanz der Stunden“ aus der Oper „La Gioconda“ wiederholt wird, das geht heute eigentlich nicht mehr. Es gibt schon den Trend, immer das sehen und hören zu wollen, was man schon kennt. Es ist kein Problem, eine 50 Jahre alte „Tosca“-Inszenierung in einer guten Besetzung anzubieten. Die wird an der Abendkasse voll. Dagegen steht aber der ständige Wunsch, etwas Neues anbieten zu wollen.

Wie publikumssicher ist dann Ihr neues Saisonprogramm?

Das ist für uns kein Kriterium, Opern auszuwählen. Sicherlich schaut man darauf, nicht nur unbekannte Stücke zu haben. Den „Fliegenden Holländer“ machen wir, weil es die einzige wichtige Oper von Richard Wagner ist, die wir nicht im Repertoire haben. „Cosi fan tutte“ ist – obwohl von Mozart – gar kein Publikumsgarant, aber es ist für die Entwicklung unseres jungen Sängerensembles wichtig. Meyerbeers „Hugenotten“ wird nach „Vasco da Gama“ im Vorjahr gut laufen, aber mit acht Vorstellungen sind wir dann auch erstmal durch. Auch Brittens „Tod in Venedig“ garantiert kein volles Haus, aber unser Generalmusikdirektor Donald Runnicles hat viele gute Argumente, warum wir die Britten-Linie verfolgen. Mussorgskis „Boris Godunow“ wurde schon lange nicht mehr bei uns gespielt und steht eindeutig auf der Habenseite. Mit Zeitgenössischem haben wir gute Erfahrungen gemacht.

Ihr Vertrag ist kürzlich bis 2022 verlängert worden und wächst damit zu einer mindestens zehnjährigen Ära aus. Welche Pflöcke wollen Sie einschlagen?

Die Konsolidierung der Deutschen Oper Berlin, das war mein erster Pflock, halte ich für abgeschlossen. Das Haus wird wieder als funktionierendes, großes Opernhaus weltweit wahrgenommen. Künstlerisch ist mir zeitgenössische Musik sehr wichtig, den Weg haben wir begonnen. Darüber hinaus möchte ich eine neue Sängergeneration prägen. Aus der Deutschen Oper sollen Stars von morgen hervor gehen.

Wenn vom Besucher der Deutschen Oper die Rede ist, über wen sprechen wir dann eigentlich?

Wir haben Umfragen gemacht, nach denen man das genauer analysieren kann und nicht nur auf eigene Beobachtungen angewiesen ist. Demnach sind 69 Prozent Berliner, der Rest sind Touristen. 19 Prozent kommen aus Deutschland, 12 Prozent sind Ausländer. Was ich bemerkenswert finde, ist, dass die Deutsche Oper die meisten ausländischen Besucher von den drei Häusern hat.

Gibt es dafür eine Erklärung?

Nein. Jenseits der reinen Zahlen glaube ich, dass seit der Schließung des historischen Opernhauses Unter den Linden der Tourist schaut, welches bekannte Stück gerade in einem der drei Häuser gespielt wird. Wir sprechen von 15 populären Titeln. Wahrscheinlich ist unser Angebot dementsprechend attraktiv, denn es ist auch zu beobachten, dass viele jüngere Touristen in den Reißern wie „Zauberflöte“, „Tosca“, „Madame Butterfly“ oder „Aida“ zu sehen sind.

Lange Jahre wurde der Operntourismus als ein Zukunftsmodell beschworen. Aber das ist doch inzwischen ausgereizt?

Nein, definitiv nicht. Der Anteil wächst, weil immer mehr Touristen nach Berlin kommen. Deshalb ist die Mischung aus Rennern und Raritäten im Angebot so wichtig.

Gibt es für Touristen irgendwelche Kompromisse: weniger Regieprovokationen, andere Uhrzeiten oder ein neuer Service?

Der Service hat sich dem Internetzeitalter angepasst. Angesichts unserer neuen, teuren Saisonbroschüre frage ich mich manchmal schon, ob sich der Aufwand noch lohnt. Jeder kann weltweit im Netz verfolgen, welches Stück wir 2016/17 tagtäglich in welcher Besetzung spielen. Danach kann er seinen Flug buchen.

Regisseure stehen nicht mehr hoch im Kurs bei den Besuchern, wie die Umfragen zeigen?

Das Publikum entscheidet sich zuerst nach dem Stück und dann vor allem nach der Sängerbesetzung. Vom Marketing her sind Regisseure unwichtiger als wir alle immer vermuteten. Es ist aber etwas anderes, wenn sich ein Abonnent über die Regie einer Neuproduktion aufregt. Das gehört zur ästhetischen Auseinandersetzung.

Würde das nicht dafür sprechen, wieder einen Hausregisseur a la Götz Friedrich, Walter Felsenstein oder Harry Kupfer einzuführen?

Bei Barrie Kosky an der Komischen Oper ist es ja so. An der Deutschen Oper war das zuletzt mit Kirsten Harms auch gegeben. Sie hat als Intendantin eine Inszenierung pro Jahr gemacht. Ich halte es für besser, wenn es keinen Hauptregisseur gibt, sondern einen Pool an Regisseuren wie Christof Loy, David Alden oder David Herrmann und oder Benedikt von Peter bei den jüngeren, die bestimmte ästhetische Linien verfolgen.

Wenn Sie mit Amtskollegen sprechen, gibt es internationale Trends, die ein großes Opernhaus nicht verschlafen darf?

Die Kommunikation wird sich verändern. Ich gehe morgens immer einen Kaffee trinken, gleich um die Ecke an der Schaubühne. Dort lese ich die ausliegenden Zeitungen. Alle jüngeren Menschen um mich herum blicken auf ihr Handy oder Tablett. Im Bereich der Social Media liegt bestimmt noch Zukunftspotential. In unserer Gesellschaft kann sich fast jeder die Oper leisten, wenn man flexibel auf Angebote reagieren kann. Selbst auf den günstigen Plätzen hat man in unserem Haus noch gute Sicht- und Hörverhältnisse. Es geht darum, ein Nachwuchspublikum zu finden. Ich glaube, es gibt ein zunehmendes Interesse am Live-Erlebnis.