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Roland Schwab über seinen Bayreuther „Tristan“: Bekenntnis zur Schönheit

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Roland Schwab
„Höhere Ziele gibt es nicht“: Roland Schwab inszeniert Wagners „Tristan und Isolde“ für Bayreuth; Premiere ist zur Eröffnung der Festspiele am 25. Juli. © Rolf Vennenbernd/dpa

Mit dieser Inszenierung von „Tristan und Isolde“ hat keiner gerechnet – am allerwenigsten der Regisseur Roland Schwab. Kurz bevor die Bayreuther Festspiele in diesem Sommer einen neuen „Ring des Nibelungen“ stemmen, gibt es zur Eröffnung eine Premiere des ultimativen Liebesdramas. Ausgewählt wurde dafür Schwab, der in München aufwuchs, unter anderem bei Ruth Berghaus, Götz Friedrich und Harry Kupfer assistierte und der sich in der Opernszene mit teils ungewöhnlichen, bildstarken Abenden etabliert hat.

Völlig überraschend bekamen Sie im Dezember das Angebot. Macht man sich trotzdem schon vorher Gedanken über ein Stück wie dieses und ist damit ein bisschen vorbereitet?

Nein. Erst mit der Anfrage startet bei mir die Maschine. Wobei ich zugebe: Man schöpft nicht aus dem Nichts. Ich habe ja verschiedene „Tristan“-Produktionen gesehen und setze mich gern Vergleichen aus. Für mich war die Hamburger Inszenierung von Ruth Berghaus mit dem jungen Christian Thielemann am Pult eine Sternstunde. Da hatte ich diesen Zustand erreicht, den ich gern bei Opern erleben möchte: im Zuschauersessel abheben und reinfliegen ins Stück.

Am Ende gibt es den „Liebestod“ zu einer betörenden, rauschhaften Musik: Geht das Stück gut oder schlecht aus?

„Gut ausgehen“, das hat etwas von Happy End und damit von zu wenigen Dimensionen. Wer in diesem Stück sterben soll, der stirbt. Aber die Gedanken fliegen weiter. Schwebezustände, die sich einer Eindeutigkeit entziehen, finde ich immer gut. Es ist mit dem Tod nicht zu Ende, die Sehnsucht schwingt noch weiter. Tristan stirbt, aber Isolde wird nicht verenden. In welchem Zustand sie weiterexistiert, bleibt offen. „Seht ihr’s, Freunde“: Das adressiert sie ja an uns. Sie will alle Blicke auf die Zukunft richten, auf eine bessere Welt. Sie weitet die Linse noch mal ganz groß. Das strömt aus jeder Pore der Musik.

Kann man in Bayreuth mit der Regie auf einem anderen Level ansetzen, weil im Publikum lauter Kenner sitzen?

Die primäre Aufgabe muss immer das Werk selbst sein. Ich kenne natürlich die Bayreuther Rezeptionsgeschichte. Und ich finde es gut, dass man mit diesem „Tristan“ einen Kontrast liefern kann. Ich habe eine große Wertschätzung für die vorausgegangenen Lösungen von Christoph Marthaler und Katharina Wagner. Aber das Desillusionierende in dieser Radikalität will ich nicht weitertreiben. Das betrifft nicht nur Bayreuth, sondern den Kontext unserer Zeit überhaupt. Nach alledem, was wir seit einigen Jahren durchmachen – unsere aktuellen Tage sorgen noch für ein zusätzliches Sensorium für Apokalypse –, darf man dem Zuschauer wieder Sehnsucht erlauben. Die Sehnsüchte müssen wieder thematisiert werden. Der Abend soll auch ein Bekenntnis zur Schönheit werden.

Wie kann man altgediente Wagner-Sängerinnen und -Sänger für eine Neuinszenierung gewinnen, damit sie nicht in Routine abrutschen?

Vermutlich kann ich einem Tristan-Sänger Stephen Gould vom Subtext her wenig liefern, was er nicht schon irgendwo gehört hat. Aber der Unterschied kommt ja allein durch das Bühnenbild, durch das neue Setting. Das verursacht andere Atmosphären und verlangt andere Bewegungen. Auch meine Regie, die versucht, dieser singulären Musik zu entsprechen und ihrer Kunst des Übergangs, könnte gegen die Gewohnheit sein. Allerdings gibt es auch so etwas wie positive Routine: eine Erfahrung, auf der man aufbauen kann. Diese nutze ich gerne für die Reise zu „Tristan“, diesem sehr eigenen, entfernten Planeten. In dessen Nähe es kaum andere Werke geschafft haben. Überspitzt gesagt ist „Tristan“ ja eine Symphonie mit Stimmen.

Also muss man die Sänger eher in Ruhe lassen?

Nein! Was ich meine: Den „Tristan“ inszeniert man primär über die Musik. Und wie man ihr gerecht wird, ist eine wahnsinnige Herausforderung. Ein Werk wie „Der Ring des Nibelungen“ ist robust, es trägt mühelos viele Regie-Ideen. „Tristan“ dagegen genügt sich eigentlich selbst. Wenn man nur eine CD einschiebt und zuhört, hat man vielleicht sogar das ultimative Erlebnis, Live-Aufführungen stehen schnell in Gefahr, nur eine abgeschwächte Erfahrung davon zu bieten. Die Frage ist also: Was darf ich ergänzen zu dieser Perfektion? Man muss die Musik auf der Bühne atmen lassen, ihr Raum geben. Sie transzendieren lassen. Das heißt für mich nicht Zurücknahme, sondern: feine Kunst der Dosierung. Und zwar in jedem Takt. Und in jedem Takt unterschiedlich. Die Inszenierung ist ein Vehikel für die Musik.

Macht es Ihre Aufgabe sogar einfacher, weil Sie erst so kurzfristig engagiert wurden?

Das stimmt: Man kann sich nicht kirre machen mit vielleicht jahrelangem Zweifeln. Ich habe bei solch komprimierteren Produktionen die Erfahrung gemacht, dass die nie schlechter als andere waren. Vielleicht hat Katharina Wagner davon gehört, dass mir so etwas liegt und ich gut sortiert mit solchen extremen Herausforderungen umgehe. Insgesamt war dieses Engagement nicht ganz unsportlich: Parallel zu meiner Inszenierung von Puccinis „Il trittico“ am Aalto-Theater in Essen gab es immer eine Spätabendschicht für „Tristan“. Aber was gibt es Schöneres, als sich mit solchen Werken zu beschäftigen!

Wenn Sie als erklärter Wagnerianer den „Tristan“ in Bayreuth inszenieren – was soll danach noch kommen?

Diese Frage muss ich ein bisschen verdrängen. Höhere Ziele gibt es ja nicht. Bayreuth war in meiner Lebensplanung immer ein sehr spät gedachtes Ziel. Es kommt zehn Jahre früher als gedacht: Ich hab’ Wagner, meinen Lieblingskomponisten, immer aufgespart. Und das für besondere Bühnen und Spielstätten. Zum Beispiel meinen ersten „Lohengrin“: Die 40 Meter breite Bühne der Felsenreitschule war so ein würdiger Ort – da musste nichts zusammengestaucht werden.

Also auch jedes Wagner-Stück nur einmal inszenieren?

Das würde ich gern so handhaben. In der Einmaligkeit liegt für mich der Respekt für den Komponisten, der für mich der Cantus firmus meines Lebens ist.

Das Gespräch führte Markus Thiel.

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