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Eros, Wollust, Begierde: Benedict Andrews inszeniert „Così fan tutte“ an der Bayerischen Staatsoper

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Sebastian Kohlhepp, Avery Amerau, Louise Alder und Konstantin Krimmel.
„Vorgetäuschte und authentische Gefühle, Ironie, Sarkasmus, Augenzwinkern“ – mit all dem spielt Mozart in seiner Oper, hier eine Szene mit (v.li.) Sebastian Kohlhepp, Avery Amerau, Louise Alder und Konstantin Krimmel. © Wilfried Hösl

Kinofans kennen Benedict Andrews als Regisseur der Filme „Una“ (mit Rooney Mara) und „Seberg“ (mit Kristen Stewart). Doch berühmt wurde er mit bahnbrechenden Theaterinszenierungen in Australien und Europa. Seit 2011 widmet er sich verstärkt der Oper, am 26. Oktober hat seine Inszenierung von Mozarts „Così fan tutte“ Premiere an der Bayerischen Staatsoper.

Benedict Andrews
Benedict Andrews, gebürtiger Australier, lebt in Reykjavík - der Liebe wegen. © Saga Sig

„Così fan tutte“ gehört nicht zu den populärsten Opern – die Handlung treibt geradezu absurde Blüten, und es gibt kaum bekannte Arien…

Ja, andere Opern laden mehr zum Mitsingen ein, aber mich fasziniert es, wie subtil und subversiv Mozart hier seine Musik einsetzt. Und ich finde, gerade wegen der scheinbar mangelhaften Dramaturgie ist dies Mozarts modernste und radikalste Oper. Vordergründig geht es um ein menschliches Experiment: Zwei Männer stellen durch ein Verkleidungsspiel die Treue ihrer Partnerinnen auf die Probe. Die Bühne wird also quasi zu einem Labor der Leidenschaften. Aber die Frage der Treue ist nur ein Vorwand, um den Blick auf etwas zu richten, über das man nicht offen sprechen darf.

Nämlich?

Eros. Wollust. Fleischliche Begierde. Mozart und sein Textdichter Lorenzo Da Ponte zeigen Eros als eine unbändige Kraft, die uns alle im Griff hat und unser ganzes Leben auf den Kopf stellen kann – wie ein Wirbelsturm, der in der Lage ist, sämtliche Wertvorstellungen von Ehe, Familie und Monogamie einfach wegzufegen. Das ist die Lektion, die die beiden jungen Paare in der „Schule der Liebenden“, wie der Untertitel dieser Oper lautet, lernen müssen. Nachdem sie jene Urkraft am eigenen Unterleib erfahren und ihre Illusionen verloren haben, ist es für sie unmöglich, auf alte, ausgetretene Beziehungspfade zurückzukehren.

Was folgt daraus? Das aufgesetzte Happy End gibt hierauf nur eine verwirrende Antwort.

Ja, das Ende will ganz bewusst irritieren und zum Nachdenken anregen: Es bleibt offen; es bietet allen Beteiligten die Chance für einen echten Neubeginn. Dabei wäre es meiner Meinung nach naiv, auf irgendeine Erlösung von außen zu hoffen. Wahre Liebe ist nur möglich, wenn man sich von verlogenen Idealvorstellungen radikal verabschiedet, wenn man dem jeweiligen Partner sozusagen nackt und ehrlich gegenübertritt und sich gegenseitig bedingungslos akzeptiert – mit all seiner Komplexität und Unvollkommenheit.

Ist Don Alfonso, der Strippenzieher, der die beiden Liebespaare zu dieser Erkenntnis führt und gleichsam die „Schule der Liebenden“ leitet, für Sie eher ein Sadist oder ein Paartherapeut?

Definitiv kein Sadist – es geht ihm nicht darum, jemandem wehzutun. Eher ein nihilistischer Philosoph, der aus Erfahrung weiß, dass der Hunger nach Sex in jedem von uns steckt. Ich stelle ihn mir vor wie einen nerdigen Bruder von Don Giovanni, der keinen Schlag bei den Frauen hat und sich deshalb als Voyeur im Schrank versteckt, um so indirekt von den Liebesabenteuern seines Bruders zu profitieren.

Sehen Sie Parallelen zwischen Don Alfonso und Ihnen als Regisseur?

Ich fürchte, gewisse Gemeinsamkeiten lassen sich nicht leugnen: Auch Don Alfonso organisiert die jeweiligen Szenen, dirigiert die Akteure und möchte bestimmte Dinge sehen, bekommt dann aber oft etwas anderes geboten. Eine Form von Voyeurismus korrespondiert ebenfalls mit der Rolle des Regisseurs - die Befriedigung, die man daraus ziehen kann, gehört genauso dazu wie die Gefahren, die darin lauern.

Bei der Pressekonferenz zur Weltpremiere von „Seberg“ in Venedig sagten Sie, mit 16 hätten Sie „Außer Atem“ gesehen, und damals hätte sich Jean Seberg wegen ihres wahrhaftigen Spiels für immer in Ihr Hirn eingegraben. Was bedeutet diese Wahrhaftigkeit für Sie? Und wie versuchen Sie beim Inszenieren, sie zu erreichen?

Wahrheit auf der Bühne oder auf der Leinwand heißt für mich immer, dass man einen Einblick in das Mysterium des Menschen bekommt. Bei einer Oper wie „Così fan tutte“ finden sich solche Augenblicke der Wahrheit oft schon in der Musik. Im Terzett „Soave sia il vento“ hat Mozart etwa das Wort „desir“, das hier natürlich nicht „Sehnsucht“ bedeutet, sondern „Verlangen“, mit einem bittersüßen, dissonanten Akkord unterlegt, der einen tief berührt. Im ganzen Stück spielen Mozart und Da Ponte ständig mit diversen Ausdrucksformen des Eros, die jeder von uns benutzt, um andere zu verführen, zu erregen und zu betrügen: vorgetäuschte und authentische Gefühle, Ironie, Sarkasmus, Augenzwinkern… Dabei mündet eine Heuchelei bisweilen in echte Emotionen; manchmal hingegen lügen die Protagonisten, während Mozarts Musik die Wahrheit verrät. Und als Regisseur muss man damit arbeiten. Mein Ziel ist es, dass die Sänger bestimmte Dinge nicht nur mit ihrem Gesang ausdrücken, sondern auch mit ihrem Körper. Wenn das gelingt, wenn gewissermaßen zwei Kunstformen miteinander verschmelzen, dann entstehen wahrhaft magische Momente.

Wieso hat es Sie als Australier eigentlich nach Reykjavík verschlagen?

Ganz einfach: Ich habe mich in eine wundervolle Isländerin verliebt. Eros steckt also dahinter – wer sonst? (Lacht.)

Das Gespräch führte Marco Schmidt.

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