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Christian Thielemann: „In Wien bin ich besonders locker“

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Dirigent im Zwischenreich: Christian Thielemann wird im Herbst GMD an der Berliner Staatsoper und lässt sich erst einmal in Wien feiern. © Sebastian Kahnert

An der Wiener Staatsoper wird Christian Thielemann für seinen „Lohengrin“ erwartungsgemäß bejubelt - auch wenn es da Einschränkungen gibt. Der Star befindet sich momentan in einer Phase zwischen zwei Chef-Jobs. Ein paar Berliner Pläne kursieren schon.

Die Schwünge und Schnörkel der Schrift, Buchstaben, die in Girlanden ausfließen, alles sehr ausladend. Um den „Maestro Christian Thielemann“ geht es in der vor einigen Tagen verliehenen Urkunde, vor allem um die Ehrenmitgliedschaft der Wiener Philharmoniker. Der Titel ist mehr als eine Nettigkeit und wiegt aus österreichischer Sicht schwerer als der britische Sir. Wer 38 Jahre lang die Edeltruppe dirigieren darf, zwei Neujahrskonzerte inklusive, und wer wie jetzt im Mittelpunkt einer heftig gehypten „Lohengrin“-Premiere steht, für den ist die Ehrung ohnehin überfällig.

„Ich bin ja hier sowieso seit geraumer Zeit wie zu Hause, weil es mit den Wiener Philharmonikern traumhaft funktioniert und weil wir ein weites Repertoire bearbeiten“, sagt Thielemann. Seit seinem ersten Operndirigat sei dies eine enge, ganz intuitive Verbindung. „Mir sagen immer alle, ich sei in Wien besonders locker. Und das stimmt auch.“ Ohnehin scheint der Mann aus der preußischen Kaiserstadt perfekt ins Pendant an der Donau zu passen. „Das Lustige ist: Der Wiener grantelt ja auch gern, der Berliner meckert. Das größte Kompliment bei uns ist: Da kannste nich meckern. Wenn in den Wiener Restaurants geraunzt wird, fühlt man sich als Berliner also zu Hause.“

Im zweiten Akt kommt‘s zur Überfeinerung

In der Wagner-Premiere ist das zu spüren. Das Orchester sitzt in A-Besetzung im Graben, ohne die in Opernaufführungen üblichen Ersatzkräfte. Bravi gibt es schon beim ersten Auftritt für Thielemann, am Ende erwartbare Ovationen. „Lohengrin“ ist neben „Tristan und Isolde“ die Wagner-Oper, die er am häufigsten dirigiert hat. Eine Vertrautheit mit den hintersten Winkeln der Partitur, die auch verführt. Thielemann kennt wirklich alle Details und will dies Orchester und Publikum wissen lassen. Vor allem im zweiten Akt, der von ihm fast zu Tode geliebt wird. Keine Ver-, eher eine Überfeinerung ist das. Ein „Verweile doch“ reiht sich ans nächste. Kaum gehörte Filigranmomente, gern mit Verbremsungen hervorgehoben. Ein wissend inszenierter Dauer-Zauber. Doch dann fragt man sich: Will man eigentlich alles so genau wissen? Dass der „Lohengrin“ Wagners Partitur mit dem dicksten Blechpanzer ist, hört man dagegen kaum. Immer wieder dämpft Thielemann das Geschehen, sucht nach Lyrismen und Eleganz. Der dritte Akt verdichtet sich endlich zum Thriller.

Im Parkett sitzen die Wiener Adabeis und auch ein Gast aus Bregenz. Elisabeth Sobotka, noch Intendantin am Bodensee, wechselt bekanntlich zur nächsten Saison an die Berliner Staatsoper. Dort trifft sie auf den neuen Generalmusikdirektor Thielemann, ein ungleiches Gespann. In wenigen Tagen wollen sie ihre erste Spielzeit präsentieren. Die ersten Pläne kursieren schon. An runden Jubiläen will man sich orientieren. Eine Oper zum 100. von Hans Werner Henze im Jahre 2026, Bergs „Wozzeck“ 2025, 100 Jahre nach der Uraufführung, auch viel Italienisches.

Letzteres ist für Thielemann wie ein Ringschluss. An der Deutschen Oper Berlin, wo er von 1997 bis 2004 als Generalmusikdirektor amtierte, startete der Experte für schwerlastige Deutschromantik einst einen Puccini-Zyklus. Thielemann selbst gibt sich naturgemäß bedeckt. Immerhin nennt er „Madame Butterfly“ als Titel und auch Verdis „Falstaff“. Vor allem aber will er an der Staatsoper eine Richard-Strauss-Linie beginnen. 20 Jahre lang war der Komponist an der damaligen Hofoper Erster Preußischer Kapellmeister. Dem will Thielemann gebührend Rechnung tragen.

Italienisches und Strauss für Berlin

Der künftige Chef gibt sich risikofreudig. „Berlin ist eher eine Stadt, die ein lockeres Verhältnis zur Tradition hat“, sagt Thielemann. Im „Dauerumbruch“ sei dort alles. „Dagegen heißt es ,Wien bleibt Wien‘ und in München ,Mia san mia‘. Also auch wenn man in Berlin mit der Staatsoper einen Tempel als Fixpunkt hat, muss und kann man etwas wagen. Ich bin außerdem, was Regie betrifft, in den vergangenen Jahren viel toleranter geworden. Ungewöhnliches soll an mir nicht scheitern.“

Szene mit Malin Byström (Elsa) und David Butt Philip (Lohengrin).
Schuldige Adelige trifft Monty-Python-Ritter: Szene mit Malin Byström (Elsa) und David Butt Philip (Lohengrin). © Michael Pöhn

So wie gerade beim Wiener „Lohengrin“. Jossi Wieler und Sergio Morabito haben ihre Produktion von den Salzburger Osterfestspielen an die Donau gebracht und ein wenig überarbeitet. Das Grundkonzept samt Umkrempelung bleibt: keine arme Elsa, die ihren Schwanenritter ersehnt und braucht. Die Jung-Adlige aus Brabant hat Dreck am Stecken und ihren Bruder Gottfried tatsächlich aus dem Verkehr gezogen. Wieler/Morabito verknüpfen dies mit der Kriegslust zu Beginn des Ersten Weltkriegs und augenzwinkernder Entzauberung, der Titelheld ist eine Ritterfigur à la Monty Python mit Dürer-Perücke. Das ist in Teilen hübsch, zur Gänze aber unentschlossen und geht nicht auf.

David Butt Philip singt einen konditionsstarken Lohengrin mit nur bedingt strahlenden, (zu) gedeckten Tönen, aber Diffenzierungslust. Malin Byström als moderne, offensive Elsa funktioniert als Gesamtkunstwerk – wenn man nicht so genau hinhört. Die Töne sind merkwürdig eingedunkelt, manchmal gibt es Substanzverluste, die forcierend ausgeglichen werden. Bei Anja Kampe als Ortrud gehört das zum Rollenporträt. Und zum Mitschreiben prägnant agieren Martin Gantner (Telramund) und Georg Zeppenfeld (König Heinrich).

Wien bleibt das zweite Standbein

Für Thielemann fällt der Premieren-Triumph in eine Zwischenzeit. Noch ist er Chefdirigent in Dresden, ab Herbst wechselt er an die Spree. Von einer Rückkehr nach Bayreuth für die Jahre 2025 bis 2027 wird geraunt. Und wer die Pläne in Wien registriert (Philharmoniker-Konzerte, Pfitzners „Palestrina“, Strauss‘ „Arabella“, nochmals „Lohengrin“), der begreift: Das bleibt mindestens das zweite Standbein. Thielemann ist der Erste, der fürs Amt des Generalmusikdirektors sowohl an der Deutschen Oper Berlin als auch an der Linden-Oper verpflichtet wurde. „In der Heimatstadt kann so etwas ja eine schwierige Geschichte sein.“ Jetzt kehrt er nach 20 Jahren zurück in eine Metropole, aus der er nie richtig verschwunden war. „Wenn mir das einer damals gesagt hätte, dann hätte ich ihn für verrückt erklärt. Das Leben ist manchmal verrückter als im Film.“

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