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Musiktheater
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La Sonnambula (Die Nachtwandlerin)

Oper in zwei Akten
Libretto von Felice Romani nach Eugène Scribe
und der comédie-vaudeville Das schlafwandelnde Dorfmädchen von Armand d'Artois und Henri Dupin
Musik von Vincenzo Bellini

In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h (eine Pause)

Premiere in der Staatsoper Stuttgart am 22. Januar 2012

Homepage Staatstheater Stuttgart

(Homepage)

Wenn der Schein trügt

Von Joachim Lange / Fotos von A.T.Schaefer


Nobel wie er ist, hatte Jossi Wieler den Auftakt für seine Stuttgarter Intendanz, der von ihm mit in sein künstlerisches Führungsteam engagierten Regisseurin Andrea Moses überlassen. Die hatte die Chance mit einer politisch brisanten Version von Fausts Verdammnis überzeugend genutzt (unsere Rezension). Für Wieler und seinen Dramaturgen- und Regie-Dauerpartner auf der Opernbühne, Sergio Morabito, ist Stuttgart allerdings schon lange vertrautes Terrain. Und wenn die beiden jetzt ausgerechnet mit Vincenzo Bellinis Nachtwandlerin angetreten sind und sich dafür Anna Viebrock ins Boot geholt haben, dann ist sogar das eine Art Rückkehr – haben sie allesamt hier doch schon vor zehn Jahren mit dem zweiten überlebenden Hit des Rossini-Nachfolgers aus der italienischen Belcanto-Werkstatt, der von der Maria Callas wiederbelebten Norma geglänzt.

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Ana Durlovski (Amina), Helene Schneiderman (Teresa), Catriona Smith (Lisa), Liang Li (Rodolfo), Staatsopernchor Stuttgart

Die Musik von Bellinis Sonnambula aus dem Jahre 1831 schleicht sich auch heute noch betörend ein, hat in ihrer direkten Wirkung einen unwiderstehlichen Charme, und sei es als Vorlage für hochkarätige Virtuosen. In der Geschichte sind ein heimkehrender Grafensohn das Höchstrangige und eine Schlafwandlerin das Abgedrehteste. Ansonsten gibt's weder einen Mörder noch einen Helden. Nur eine Dorfgemeinschaft in den Schweizer Alpen mit Liebschaften und Eifersüchtelein, wie sie halt so vorkommen. Allerdings auch mit allen Untiefen, Erinnerungen und verdrängten Geheimnissen.

Der schlafwandelnden Amina passiert kurz vor ihrer Hochzeit der worst case – sie landet nämlich genau im Bett eines anderen Mannes. Das nutzt eine Verflossene ihres Bräutigams prompt aus. Diese Lisa macht die Sache öffentlich und kann sich so für kurze Zeit den immer noch begehrten Elvino als Bräutigam zurückholen. Auf den ersten Blick geht die Geschichte am Ende doch noch gut aus. Der weit gereiste heimkehrende Graf (Liang Li), in dessen Bett Amina, wie es der Zufall wollte, gelandet war, kennt das Phänomen des Nachtwandelns und stellt sich auf deren Seite. Für den geistigen Horizont der Dörfler ist das erst mal zu viel. Sie lassen sich erst vom eigenen Anschein der schlafend umhergehenden und redenden Amina überzeugen.

Vergrößerung in neuem Fenster Ana Durlovski (Amina), Luciano Botelho (Elvino), Staatsopernchor Stuttgart

Mit traumwandlerischer Sicherheit trällert sich in Stuttgart nicht nur die betörend höhensichere Ana Durlovski in der Titelrolle durch den Abend. Ebenso sicher hat nämlich Anna Viebrock wieder einen von ihren Traumerinnerungs-Räumen gezaubert, die das fremdvertraute Gefühl einer Heimkehr zur Großmutter auf dem Land evozieren. Es ist das Kellergewölbe unterm Gasthof, mit einer Kollektion von Riesenschränken, in denen man sich mühelos verstecken kann, und mit Biergartenmöbeln, die für alle Hochzeitsgäste aus dem Dorf reichen. Eine großgemusterte Zwischenwand genügt und schon ist das Gastzimmer samt Klappcouch für den Grafen bereit. Man nimmt Viebrock, Wieler und vor allem dem exzellenten, in eine Hauptrolle avancierenden Chor (Leitung: Michael Alber) jeden Pinselstrich ihrer Dorfgemeinschaftsskizze ab! Es ist grandios, mit welcher Präzision und Wärme hier Menschen porträtiert werden. Und mit welch zwingender Folgerichtigkeit aus der Musik heraus dabei zunächst eine außergewöhnliche Geschichte anrührend erzählt wird.

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Helene Schneiderman (Teresa), Ana Durlovski (Amina)

Dabei ziehen Wieler und Morabito ohne trashige Aufdringlichkeit oder den belehrenden Zeigefinger noch eine andere, irritierende Ebene hinter der teilnahmsvollen Fassade ein. Als der Graf etwa Amina das erste Mal erblickt, dann steigen offenbar dunkle Erinnerungen in ihm hoch. Wenn sich dann am Ende jene wie ein Gespenst herum geisternde Frau, der die Dorfbewohner immer etwas zu Essen hinstellen, zu ihm an den Tisch setzt, und offenbar nur für ihn sichtbar ist, dann schwebt die Möglichkeit über der Szene, dass Amina seine Tochter und die spukende Frau die von ihm einst verlassene und von allen verstoßene leibliche Mutter ist. Auch die weltfremde Art, wie die bei der Ziehmutter aufgewachsene Amina zunächst ihren Bräutigam und ihr Glück preist, sich dann aber bei dem öffentlichen, sie ja eigentlich entlastenden Auftritt als Schlafwandlerin, blutend vor Schmerzen windet, lässt zumindest die Möglichkeit ahnen, dass ihre nächtlichen Ausflüge eine Flucht aus den Zwängen einer rigiden Sexualmoral (mit entsprechenden, vielleicht fehlgeborenen Folgen) sein könnte. Und, dass die Dorfbewohner nicht nur so liebenswert und mitfühlend sind, wie wir sie erleben, ahnt man, wenn sie dem Grafen mitten in der Nacht ihre Aufwartung machen wollen und dabei mit allen möglichen kampftauglichen Gerätschaften aufgerüstet anrücken. Wieler, Viebrock und sämtliche Protagonisten liefern also ans Herz greifendes Menschentheater mit einem irritierenden doppelten Boden. Und das am Beispiel einer angeblich ja so regieresistenten Belcanto-Oper!

Vergrößerung in neuem Fenster Catriona Smith (Lisa), Helene Schneiderman (Teresa), Ana Durlovski (Amina)

Bei der stimmten allerdings auch die musikalischen Voraussetzungen. Da gab es nicht nur in der Titelpartie jene Dosis von Virtuosen-Glanz, die Belcanto so verführerisch macht. Auch wenn es Luciano Botelho in der Verzweiflung etwas an durchschlagskräftigem Furor fehlt, so ist er doch ein sanft einschmeichelnder Elvino, Helene Schneiderman eine beherzte Ziehmutter und Catriona Smith als Lisa ein erfrischend spätes Mädchen, das nach dem verlorenen Kampf um den begehrten Mann die Koffer packt und erhobenen Hauptes geht. Der im Team von Wieler noch fehlende, designierte GMD Sylvain Cambreling war diesmal nur Zuschauer in Stuttgart. Er konnte sich bei seinem Kollegen Gabriele Ferro schon mal davon überzeugen, zu welchen Feinheiten und zu welcher Verführungskraft das Staatsorchester fähig ist, wenn alle in die gleiche Richtung wollen: Zu einem Musiktheater der Spitzenklasse.


FAZIT

Mit einer Rarität feierten die Stuttgarter den überzeugenden Auftakt einer durchdacht geplanten und unaufgeregt begonnenen neue Wegstrecke unter Leitung von Jossi Wieler. Vielleicht führt sie ja zurück an die Spitze.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Gabriele Ferro

Inszenierung
Jossi Wieler
Sergio Morabito

Bühne und Kostüme
Anna Viebrock

Licht
Reinhard Traub

Chor
Michael Alber

Dramaturgie
Sergio Morabito
Angela Beuerle


Chor der
Staatsoper Stuttgart

Staatsorchester Stuttgart


Solisten

Graf Rodolfo
Liang Li,

Teresa
Helene Schneiderman,

Amina
Ana Durlovski,

Elvino
Luciano Botelho,

Lisa
Catriona Smith,

Alessio
Motti Kastón

Ein Notar
Juan Pablo Marin

La Strige
Antje Albruschat




Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Staatstheater Stuttgart
(Homepage)



Da capo al Fine

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