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Die Schwiegermutter spielt Schicksal. John Graham-Hill, Rosalind Plowright und Rebecca von Lipinski in Janáceks „Osud“ in Stuttgart. Foto: A.T. Schaefer
Die Schwiegermutter spielt Schicksal. John Graham-Hill, Rosalind Plowright und Rebecca von Lipinski in Janáceks „Osud“ in Stuttgart. Foto: A.T. Schaefer
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Von der Aufführbarkeit des Unaufführbaren: Jossi Wieler inszeniert in Stuttgart Schönbergs „Die glückliche Hand“ und Janáčeks „Osud“

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Ist einer Oper das Etikett „unaufführbar“ erst einmal angeheftet, ist es nicht so leicht wieder abzubekommen. Entweder versucht man es mit einem einzigen schmerzhaften Ruck zu entfernen oder man geht dem Problem mit akribischer Detailarbeit zu Leibe. Stuttgarts neuer Opernintendant Jossi Wieler hat nun an einem Doppelabend beide Methoden angewandt. Die erste an Arnold Schönbergs expressionistischem Kondensat „Die glückliche Hand“, die andere an Leoš Janáčeks Künstlerdrama „Osud“ (Schicksal). Mit unterschiedlichem Erfolg.

Wobei es ja nicht so ist, dass Schönbergs Psychogramm, das mehr von des Komponisten Innenleben offenbart, als dem Zuschauer lieb sein kann, nicht einen beherzten Ruck vertragen würde. Ob der Hebel nun aber ausgerechnet in Form einer ironischen Distanzierung anzusetzen ist, das blieb bei der Stuttgarter Premiere fraglich.

Der „Mann“, um dessen aussichtslose Zerrissenheit zwischen Liebessehnen und Kunstwollen es in Schönbergs 1913 vollendetem 20-Minüter geht, liegt zu Beginn von Jossi Wielers Inszenierung auf einer Couch, die sich zwar nicht plump als eine Freud’sche zu erkennen gibt, entsprechende Assoziationen aber durchaus nährt. Die strumpfmaskierte Gruppe von Pflegern oder Therapeuten (12 hochkompetente Mitglieder des Staatsopernchores), die ihm polyphon deklamierend zuredet, kann nicht verhindern, dass der Patient sich seinen erotischen Fantasien hingibt: Hinterm schwarz-irisierenden Vorhang wird eine gigantische Aufblaspuppe sichtbar, die zwar keinen Kopf, dafür aber umso größere Brüste trägt.

Sie buchstäblich zu besteigen erweist sich freilich als mühseliges Unterfangen, so wendet sich der Getriebene doch lieber der kreativen Sublimierung zu und schafft – die armseligen Kunsthandwerker in grünen Kitteln zu Stümpern degradierend – mit einem Hieb ein prächtiges Geschmeide. Als er sich abermals dem drallen Weib zuwendet, geht diesem unter den ungestümen Liebkosungen allmählich die Luft aus. Elend wie zu Anfang liegt der Mann in der schlaffen Hüpfburg, Mitleid heuchelnd werfen die Pfleger ihm – fortan wird er also einer von ihnen sein – einen ihrer Hausmäntel zu. Nicht ohne sich allerdings zuvor über seine künstlerische Erweckung lustig zu machen.

Dieses Wind- und Farbencrescendo, von Schönberg in seinen ausufernden szenischen Anweisungen minutiös beschrieben, hatte sich zuvor mit matten Beleuchtungswechseln abgespielt: Wahre Erleuchtung sieht anders aus, und wenn es den Mann (mimisch wie stimmlich hervorragend: Shigeo Ishino), ausgehend von seiner „glücklichen“ (linken) Hand, kräftig durchschüttelt, sieht er – auf diese Ästhetik beziehen sich Wieler und sein Dramaturg Sergio Morabito ausdrücklich – einem Stummfilmkomiker ähnlich.

All das ist ganz amüsant anzusehen, vermag aber die Diskrepanz zu Schönbergs kompromissloser, so gar keine Distanz zu dieser düsteren Seelenerkundung wahrender Musik nicht zu überdecken, auch wenn das ausgezeichnet disponierte Stuttgarter Staatsorchester unter ihrem designierten GMD Sylvain Cambreling die Partitur stets transparent hält. Unverständlich allerdings, dass der Dirigent die Mikrofonierung der Sprechstimmen zu Beginn nicht verhindert hat: Das von Schönberg genauestens austarierte Gewebe verkommt zu einem wohlfeilen Soundeffekt.

Insgesamt kam Schönbergs synästhetisch visionäres „Drama mit Musik“ somit über die Funktion eines um Leichtigkeit in der Schwere bemühten Prologs nicht hinaus, dennoch wirkte die Koppelung mit Janáčeks, sieben Jahre älterem, ebenfalls autobiografisch gefärbtem Dreiakter zwingend. Dabei stellt Regisseur Wieler zunächst bis auf den identischen schwarzen Grundraum Bert Neumanns kaum explizite Querverbindungen her. Die Kostüme situieren die Wiederbegegnung des Komponisten Živny mit seiner einstigen Liebe Míla in der historischen Distanz der Entstehungszeit. Janáčeks Spiel mit musikalischem Hinter- und Vordergrund entsprechen die Laufwege der Kurgäste (prächtig die Kraft der schon bei Schönberg aufscheinenden Sonne besingend: der Staatsopernchor), vor historischer Fototapete informieren sich die Liebenden, nachdem sie ihre Beziehung körperlich schon wiederaufgenommen haben, mit mäßigem gegenseitigen Interesse über ihren Stand der Vergangenheitsbewältigung.

Im von hinten hereinfahrenden Bühnenkasten nimmt einige Jahre später das titelgebende Fatum seinen Lauf. Der fünfjährige Sohn spielt – entwicklungsverzögert – im Laufstall, Živny versucht seine selbsttherapeutische Oper zu vollenden, die wahnsinnige Schwiegermutter wird hinterm Paravent (ebenso wie die Couch stammt dieser aus dem Schönberg-Prolog) ruhig gestellt, bis sie sich – des Komponisten sehnsüchtiges Arioso nachäffend – vom Balkon stürzt und die Tochter mit sich reißt. (Dass es in der Premiere so wirkte, als steige Míla freiwillig hinter der Mutter übers Balkongeländer, dürfte eine Panne gewesen sein.) Ratlos steht der Komponist am Wäscheständer vor den Trümmern seines Lebens und seiner Oper.

Im dritten Akt stehen wir nun – das ist Janáčeks werkästhetisch bahnbrechende Volte – vor eben diesen Trümmern: einem zerstörten Leben und einer unvollendeten Oper. Studenten von Heute (so Wielers Zuspitzung) wollen am Tag der Uraufführung mehr über das merkwürdige Fragment erfahren und machen sich über die musikdramatischen Aufwallungen des (zuvor gehörten, nun mit Klavierbegleitung rekapitulierten) Werks lustig, als der Komponist eintritt, der – so ist nun allen klar – Protagonist seiner eigenen Oper ist. Auch der inzwischen erwachsene, traumatisierte Sohn ist anwesend. Dessen zentrale Frage „Weißt du, was Liebe ist“ hatte im zweiten Akt die Eltern an der Ausübung der ehelichen Pflichten gehindert und war nun ebenfalls dem Spott der Studenten preisgegeben. In einem ebenso überraschenden wie zwingenden Coup de theâtre Jossi Wielers setzt er – im Kostüm seiner Mutter, den Hut seiner Großmutter auf dem Kopf – der Veranstaltung und der unvollendbaren Oper ein jähes Ende.

Stellt die auch in der Personenzeichnung präzise geformte Arbeit Wielers und Morabitos also die Inszenierbarkeit von Janáčeks 80-minütigem Geniestreich eindrucksvoll unter Beweis, so unterstreicht Cambrelings vor Intensität und liebevollem Detailreichtum glühendes Dirigat die musikalischen Qualitäten des Werkes. Würde er dabei sein hörbar mitschwelgendes Orchester dynamisch stärker zügeln, hätten die wunderbaren Sänger (John Graham-Hill als Živny, Rebecca von Lipinski als Míla und Rosalind Plowright als Mutter führen ein vielköpfiges, fabelhaftes Ensemble an) mehr Raum für Zwischentöne abseits des dramatischen Überdrucks.

Am Ende gab es verdienten Jubel für einen kühnen Premierenabend, der das künftige Zusammenwirken des neuen Stuttgarter Leitungsteams mit Cambreling als GMD mit Spannung erwarten lässt.

Weitere Aufführungen: 16.3., 20.3, 24.3., 27.3.
Mitschnitt am 17.03.2012, um 19:05 Uhr auf Deutschlandradio Kultur

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