Wien - Ob da wohl jemand kurz perplex gewesen war? Der Vorhang der Volksoper hatte sich zum ersten Akt von Ruggero Leoncavallos "Der Bajazzo" geöffnet, als das Publikum in den Seitenlogen auf der Bühne quasi sich selbst sah - also die exakt nachgebauten Logen der Volksoper, bestückt mit Choristenschaft, welche schwarz bebrillt seriöses Publikum mimte.

Dieses an den alljährlichen Ball des großen Schwesternhauses erinnernde Bild fand seine Entsprechung in einem mehrstöckigen Aufbau, von welchem die Zuschauer Hans Werner Henzes Einakter "Das Wundertheater" verfolgten. Die Zuschauer? Nein, es war ebenfalls wieder der Chor, der das Publikum eines Theaterstücks darzustellen hatte. Denn: Sowohl Leoncavallos Verismo-Evergreen als auch Henzes Kurzoper sind Musiktheaterwerke, die das Theater zum Thema haben.

Sinnvoll also, beide Stücke zu koppeln, sinnvoll ebenso, den "Bajazzo" als Lockvogel für den frühen Henze (1949/1964) einzusetzen - ein Werk, dessen Entdeckung lohnt. Eine Freude, wie es da aus dem Orchestergraben hüpfte und tänzelte, das Cembalo wieselte gleich zu Beginn los und war so schnell nicht mehr zu stoppen.

Auf Zwölftonreihen folgten barocke Stilzitate und leichtfüßig-jazzige Basswanderungen: verblüffend, welche Variabilität und Stimmungspräzision der junge Henze hier schon aufbietet; bewundernswert die Genauigkeit und die Lebendigkeit, mit der das Orchester der Volksoper unter der Leitung von Gerrit Prießnitz Henzes Neckereien präsentierte. Mit seinem festen, glänzenden Tenor war Jörg Schneider ein idealer Wundertheaterdirektor, fetzig Martina Dorak als seine Gefährtin, ausdrucksstark Karl-Michael Ebner als Knirps.

Die surreal-schräge, grell ausgeleuchtete Bilderwelt von Thomas Schulte-Michels (Regie und Bühnenbild) passt ideal zu Henzes auf einem Intermezzo von Miguel de Cervantes basierender Farce; zur Demonstration des Regiehandwerks geriet auch der zweite Akt, als die Männer, Frauen und Kinder des Chors unerhört realistisch ein Theaterpublikum mimten - nicht umsonst ist Schulte-Michels bereits für Sprechtheaterproduktionen ausgezeichnet worden.

Ausgezeichnet - abgesehen von Morten Frank Larsens gequältem quälendem Tonio - dann auch die sängerischen Leistungen bei Leoncavallo: Es beeindruckte das neue Ensemblemitglied JunHo You mit seinem samtig-weichen, leichtgängigen und strahlkräftigen Tenor (als Beppo), Mathias Hausmann war - 60 Jahre nach Eberhard Waechters Bühnendebüt hier in dieser Rolle - ein Silvio, der seine Nedda (mit dramatischem Aplomb: Melba Ramos) mit baritonaler Wärme anbetete. Eindrücklich auch der in Köln engagierte Ray M. Wade Jr. als Canio.

Präzise, mitunter etwas einförmig laut der von Thomas Böttcher verantwortete Chor; handfest, anfänglich mit einem eher platten Forte das Orchester unter der Leitung Enrico Dovicos. Volksoperndirektor und Schauspieler Robert Meyer hat nun also das Theater in die Oper geholt: ein großer Erfolg, jetzt aber echt. (Stefan Ender/DER STANDARD, 2.4. 2012)