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Musiktheater
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Tristan und Isolde

Musikdrama in drei Aufzügen
Text und Musik von Richard Wagner


Aufführungsdauer: ca. 5h (zwei Pausen)

Premiere im Theater Aachen am 20. Mai 2012

Logo: Theater Aachen

Theater Aachen
(Homepage)

Ein Liebhaber im reiferen Alter

Von Stefan Schmöe / Fotos: Wil van Iersel

Mit der Liebe ist's so eine Sache: Die Vorstellung von der ewig währenden, allumfassenden absoluten Liebe, die man als Teenager vielleicht einmal hatte, erweist sich mit fortschreitendem Alter doch allzu oft als Illusion, die dem Alltag nicht stand hält. Zugegeben, das ist als Einleitung einer Rezension zu Tristan und Isolde weder eine besonders tiefsinnige noch irgendwie originelle Feststellung, aber das verbindet sie mit der Aachener Neuinszenierung von Hausregisseur Ludger Engels: Der stellt, während das hohe Paar die Nacht der Liebe herunter beschwört, ein Teenagerpaar und ein altes Paar auf die Bühne – die einen bändeln gerade zart an, die anderen finden nicht mehr recht zusammen. Den jungen und den alten Mann wird man später, zu Tristans Fieberphantasien, noch einmal unbekleidet über die Bühne schreiten sehen, Visionen der eigenen Endlichkeit (und damit auch der Endlichkeit der Liebe). Ein etwas schlichter Deutungsansatz.

Szenenfoto Isolde allein zu Haus

Es ist ja eine recht populäre Interpretationslinie geworden, Wagners ins Unendliche („in des Welt-Atems wehendem Schall“, so ertönt's in Isoldes „Liebestod“) zielendes Musikdrama mit der Begrenztheit bürgerlicher Lebensformen zu konfrontieren (Christoph Marthalers aktueller Bayreuther Tristan geht auch in diese Richtung), die Liebesutopie auf den Prüfstand gesellschaftlicher Konformität zu stellen – wogegen man freilich einwenden könnte, dass Wagner das im Werk selbst ja bereits macht, indem er seinen Tristan alle Konventionen und Normen einreißen lässt. Aber gut, warum nicht Spannung gewinnen aus der Diskrepanz zwischen der Idee des Werkes und unserem erlebten Alltag. Aber so ganz klein und uninteressant müsste die Regie die Figuren dann doch nicht eindampfen wie hier.

Szenenfoto

Ehebruch? Tristan als unerlaubter Gast in Isoldes ehelichem Schalfzimmer

Ludger Engels inszeniert die Oper als Gegenwartsstück mit mitunter sogar komischem Einschlag, etwa wenn die adrette Brangäne im ersten Akt in der schicken Kajüte den vermeintlichen Todes- und tatsächlichen Liebestrank stilvoll aus dem Goldkännchen serviert und ansonsten interessiert in Hochglanzmagazinen liest. Überhaupt funktioniert dieser erste Aufzug mit seinen dialogischen Strukturen recht gut, ist sehr genau gespielt, betont die vielen ironischen Wendungen, die Text und Musik vorgeben. Der deutlich bemühtere zweite rettet sich in die oben beschriebenen Allegorien von Jugend und Alter, ist im Schlafzimmer des wohlhabenden Ehepaars Isolde / Marke (optisch eine Fortsetzung der Schiffskabine, gleichzeitig ein abgeschlossener, gefängnisartiger Raum) halb glücklich angelegt, denn da bekommt die Geschichte unvermeidlich (und gewollt?) den Beigeschmack einer Ehekomödie – reiche Frau wird mit dem ziemlich ältlichen Geliebten im Schlafzimmer überrascht (in der Pause wurde bös' gewitzelt, dieser Tristan bedürfe wohl eines Liebestrankes, um die Libido zu wecken). Der dritte Aufzug ist dann szenisch auf eine abstrakte schwarze Wand reduziert und wird vergleichsweise konventionell abgespult. Hier und da ein paar Brechungen – man soll schon sehen, dass das alles Theater ist (warum eigentlich soll man das sehen, wenn es doch ansonsten so detailgetreu realistisch zugeht?). Alles nicht ganz falsch, aber auch nicht so, dass es dem Anspruch des Werkes gerecht würde. Dem Premierenpublikum gefiel das alles mehrheitlich nicht besonders.

Szenenfoto Marke, Melot und Kurwenal haben das ehebrecherische Paar überrascht

Manche Banalität der Regie wird relativiert, wenn die Wucht der Musik dagegen steht – das ist der Fall, wenn Claudia Iten sich mit außerordentlichem Furor in die Partie der Isolde stürzt. Die sehr hell timbrierte und dadurch sehr durchsetzungsfähige Stimme ist nicht frei von Schärfen, hat aber hohe Präsenz, und Musik, Textgestaltung und Spiel stimmen sehr glaubwürdig überein. In Ivar Gilhuus als Tristan hat sie leider keinen musikalisch adäquaten Partner. Der Norweger hat stimmlich seinen Zenit merklich überschritten, die Stimme entwickelt überhaupt nur in der hohen Lage noch Klang (ist aber auch da bei manchen Vokalen brüchig). Gilhuus phrasiert sehr elegant und gäbe einen durchaus edlen Tristan, hätte die auch im Piano fahle Stimme doch nur mehr Substanz. Und durch den Schluss muss er sich dann auch kräftemäßig irgendwie durchmogeln.

Mit Woong-jo Choi steht ein König Marke mit Riesenstimme, aber auch kultiviertem Piano auf der Bühne. Aber trotz sehr ordentlicher Gestaltung bleibt die Figur langweilig: Gegen das Outfit als perfekt gekleideter Geschäftsmann im Anzug, später in gepflegter Jagdkleidung, dessen Gerede von Treue und Freundschaft szenisch arg deplatziert wirkt, kommt auch die Musik nicht an. Sanja Radisic ist eine Brangäne mit eigentlich zu kleiner und heller, aber klar gefasster Stimme und schlägt sich wacker. Hrólfur Saemundsson singt einen zunächst ausgesprochen grobschlächtig dröhnenden Kurwenal, der später dann doch zu berührend leisen Tönen fähig ist – stimmlich zeigt sich da großes Potenzial, die Interpretation dürfte indes noch runder werden.

Szenenfoto

Sterbender Tristan mit Kurwenal, Hirt und Englischhornspieler

Aachens scheidender Generalmusikdirektor Marcus R. Bosch (er wird in gleicher Funktion ans Staatstheater Nürnberg wechseln) hat sich zum Abschied Tristan und Isolde gewünscht. Mit der Erfüllung dieses Wunsches hat man ihm, vor allem aber dem Publikum einen guten Dienst erwiesen. Vom ersten bis zum letzten Ton hat seine fließende, organisch nach vorne drängende Interpretation Hand und Fuß und entwickelt erhebliche Spannung. Die Sänger sind gut eingebettet (und Bosch weiß, wann er sie zu Gunsten eines großen Orchesterklangs zudecken darf). Das Sinfonieorchester Aachen leistet sich eine Reihe von Patzern, auch an unglücklichen weil sehr offen liegenden Stellen; der Klang der (durch die Enge des Orchestergrabens reduzierten) Streicher dürfte voller und samtiger, das Vibrato der Holzbläser einheitlicher sein. Auf der anderen Seite folgt das Orchester dem Dirigat ausgesprochen flexibel und aufmerksam und baut Steigerungen sehr nuanciert auf, spielt überhaupt in den Abstufungen ausgesprochen differenziert. So ist es, trotz der genannten spieltechnischen Einschränkungen, orchestral ein wirklich großer Tristan.


FAZIT

Ein in die Jahre gekommener Liebhaber gibt punktuell Anlass zum Ärger - damit hat es sich dann aber auch an provokativen Elementen in einer ansonsten nicht ganz schlechten, wenn auch eher belanglosen Regie. Hörenswert ist diese Produktion vor allem wegen des Dirigats von Marcus R. Bosch und der Isolde von Claudia Iten.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Marcus R. Bosch

Inszenierung
Ludger Engels

Bühne
Christin Vahl

Kostüme
Ric Schachtebeck

Licht
Dirk Sarach-Craig

Chor
Andreas Klippert

Dramaturgie
Michael Dühn


Herren des Opernchors und
Extrachors der Oper Aachen

Sinfonieorchester Aachen


Solisten

Tristan
Ivar Gilhuus

Marke
Woong-jo Choi

Isolde
Claudia Iten

Brangäne
Sanja Radisic

Kurwenal
Hrólfur Saemundsson

Melot
Yikun Chung

Seemann
Louis Kim

Steuermann
Jorge Escobar

Hirte
Patricio Arroyo


Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Theater Aachen
(Homepage)





Da capo al Fine

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