Ravenna-Festival: Wandlungen vor dem Kreuz

RavennaFestival Wandlungen Kreuz
RavennaFestival Wandlungen Kreuz(c) EPA (MAURIZIO BRAMBATTI)
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Mit "Nobilissima Visione" und dem einst skandalträchtigen "Sancta Susanna" frönte Riccardo Muti seinem Faible für Hindemith. Überzeugend.

Die Wandlung eines reichen, verwöhnten Jünglings zum reifen, geläuterten Menschen, der das Leben mit den Randgruppen der Gesellschaft als seine eigentliche Aufgabe erkannt hat, das Erwachen der verbotenen Begierde, ebenfalls angesichts des Kreuzes – davon handelt Paul Hindemiths 1937 komponiertes Ballett „Nobilissima Visione“ und auch sein Operneinakter „Sancta Susanna“, der 1922 bei der Uraufführung in Frankfurt für einen handfesten Theaterskandal sorgte. Neben der radikalen Thematik ist die unterschiedlich eingängige Musik ein Grund, weshalb man beiden Werken nur selten begegnet.

Dazu kommt die Schwierigkeit, sie szenisch adäquat darzustellen. Selbst wenn man das Ballett in der kürzeren Suiten-Fassung bringt. Choreograf Micha van Hoecke versuchte, des besseren Verständnisses wegen, die mythische Vereinigung mit Armut, Reinheit und Gehorsam durch die Verbindung mit der heiligen Klara zu personifizieren. Carlo Savi konzentriert sich im Bühnenbild auf das Wesentliche in dieser in dumpfes Licht gehüllten Szenerie: Kaum mehr als ein sich schließlich in voller Strahlkraft entfaltendes Kreuz, was für einen eindrucksvollen Finaleffekt sorgte. Anders das Bühnenbild von Leonardo Scarpa für die einst als obszön gescholtene „Sancta Susanna“: ein kitschig anmutender, der Neugotik nachempfundener Altar, hinter den zuweilen ein in subtile Helle getauchter Klostergarten sichtbar wird. Ein Hinweis auf den Kontrast von klösterlicher Enge und weltlicher Offenheit?

Schwelende Konflikte der Schwestern

Die Regie Chiara Mutis nahm diese Idee nicht auf. Sie deutete die schwelenden Konflikte zwischen Susanna und ihren Mitschwestern nur an, skizzierte mit knappen Auf- und Angängen, zuweilen auch unbeholfenen Gesten, dass hier plötzlich Situationen entstanden sind, mit denen bald niemand umzugehen vermag. Damit wird die Katastrophe unausweichlich – unterstützt durch die fahlen Farben der Lichtregie von Vincent Longuemare.

Rollendeckend ist die sängerische Besetzung, angeführt von Csilla Boross, bei der man sich im Finale mehr emotionale Eindringlichkeit gewünscht hätte, in der Titelpartie. Brigitte Pinter stellt die ältere Mitschwester Klementia untadelig dar, Annette Jahns ist eine ebenso klar artikulierende alte Nonne. Beim Ballett kamen die Solisten vom Teatro dell' Opera di Roma, Produktionspartner dieses Abends. Voran Alessio Rezza als ausdruckstarker Francesco und Gaia Straccamore als zurückhaltende Chiara, wie auch das Corps de ballet meist im Hintergrund agierte.

Die entscheidenden Impulse dieses Hindemith-Abends kamen freilich aus dem Orchestergraben. Riccardo Muti, dem Hindemith seit jeher ein besonderes Anliegen ist – schon in seinem Debütkonzert in der Scala 1970 hatte er dessen Konzertmusik Opus 50 auf dem Programm, immer wieder engagiert er sich für die Symphonie in Es und „Nobilissima Visione“ –, hatte das Orchestra Giovanile Luigi Cherubini bestens auf seine anspruchsvollen Aufgaben vorbereitet. Er führte es mit packender Verve, arbeitete die dramatischen Entwicklungen plastisch heraus, achtete auf Durchsichtigkeit des melodischen Lineaments und präzise Detailarbeit. Nicht zu vergessen seine umsichtig-führende Begleitung der Sänger und der den Nonnenchor gestaltenden Melodi Cantores.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.07.2012)

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