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Musiktheater
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Iphigénie en Aulide (Iphigenie in Aulis)

Libretto von Francois-Louis Grand Le Bland Du Roullet
Musik Christoph Willibald Gluck (Fassung von 1774)

In französischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h (eine Pause)

Premiere am 1. November 2012 in der Staatsoper Stuttgart

Homepage Staatstheater Stuttgart

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Ohne Gott und steife Briese

Von Roberto Becker / Fotos © A.T.Schaefer


Es ist die zweite Spielzeit für die Regisseurin Andrea Moses an der Oper in Stuttgart. Als Chefregisseurin an der Seite von Jossi Wieler hat die Dresdnerin, die sich in wenigen Jahren durch ihre Arbeiten vor allem in Meiningen, Dessau und Weimar in die Spitzengruppe der Regisseure ihrer Generation vorgearbeitet hat, einen erheblichen Anteil daran, dass Stuttgart wieder zum interessantesten deutschen Opernhaus wurde. Und das mit einem herausfordernden Programm, das weder auf die todsicheren Renner des Repertoires setzte, noch mit eingekauften Stars zu glänzen versuchte.

Auch Christoph Willibald Glucks Iphigenie in Aulis gehört nicht in die Gruppe der Selbstläufern. Das 1774 uraufgeführte Werk ist aber nicht nur als ein Beispiel für den opernreformerischen Ehrgeiz von Gluck, also als ein Werk des Übergangs vom Barock zur Klassik, interessant. Vor allem im Kontext mit Glucks zweiter Iphigenien-Oper, die ihr Schicksal nach ihrer göttlichen Errettung in Tauris behandelt, hatte Peter Konwitschny in Leipzig ja sogar einen Gluck-Ring anvisiert. Und war daran (bzw. mit seinem Engagement als Chefregisseur in Leipzig) gescheitert.

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Agamemnon unter Druck, links von ihm Kalchas, hinter ihm die Truppen

Wobei es Glucks Opern aber auch in sich haben. Allzu viel passiert nämlich nicht. Erst freut man sich lange und ausgiebig auf eine Hochzeit. Und dann bangt man um das Leben der Braut. Andrea Moses hat in dieser mythischen Geschichte aus grauer europäischer Vorzeit mit bewährter Konsequenz vor allem nach den Bezügen zum Heute gesucht. Was nicht so einfach ist, geht es doch um das Ansinnen der Götter (respektive einer eingeschnappten Göttin) an den Griechen Agamemnon, seine leibliche Tochter Iphigenie zu opfern. Im Gegenzug würde die Göttin dann für eine kräftige Brise sorgen, damit die Griechen endlich in Richtung Troja in den Krieg aufbrechen können.

Zum Entsetzen seiner Frau Klytämnestra und Iphigenies Bräutigam Achill ist der König (und Vater) zu diesem Opfer bereit. Wobei entlastend für ihn spricht, dass er versucht, seine Frau und seine Tochter von der Fahrt nach Aulis abzuhalten, in dem er ihnen einen Boten entgegenschickt, der den Bräutigam verleumdet. Doch dieses Ablenkungsmanöver scheitert, denn die Frauen wollen sich die Hochzeitsvorfreude nicht vermiesen lassen.

Vergrößerung in neuem Fenster Achill mit einem Brautgeschenk für Iphigenie

Erst im letzten Moment wird diese Barbarei durch göttlichen Eingriff abgewendet. Der Göttin genügt, dass man bereit war, zu parieren. In der ursprünglichen Fassung lässt sich die Göttin durch den Priester Kalchas vertreten, was natürlich die Steilvorlage für eine Deutung ist, die Motivationen jenseits göttlicher Offenbarungen sucht. Und da auch Menschenopfer für besseres Wetter längst aus der Mode sind, bleibt es ein interessantere Nebeneffekt jeder szenischen Neubefragung, sie auch als Vorgeschichte jener Klytämnestra zu sehen, die in der Elektra von Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss als keifende Gattenmörderin ziemlich schlecht weg kommt. Bei Gluck ist sie zwar auch eine machtbewusste Königin, aber sie versucht mit allen Mitteln, ihrem Mann Agamemnon in den Arm zu fallen und den Mord an ihrer Tochter zu verhindern.

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Das Vergnügen an Deck ist trügerisch

Andrea Moses und ihr Bühnenbildner Christian Wiehle haben das Geschehen um den Beinahe-Mord in eine Art heutiges Trockendock der Erkenntnis verfrachtet. Unterm sandigen Boden im glasbedachten Raum findet sich tatsächlich ein Luxussegler, der ganz gut zum Macho Achill passt. Und wie es wohl für die jubelnd und mit allerlei Geschenken ersehnte Hochzeit als Gefährt für die entsprechende Reise vorgesehen war.

Doch in dieser Umgebung wird der göttliche Wille als politisches Machtkalkül des Priester Kalchas gedeutet und ansonsten nach dem menschlich, allzu menschlichen Verhalten in vertrackten Situationen gefahndet. Kalchas setzt das gruselige Macht-Spiel mit seinem Schachpartner und politischen Kontrahenten Agamemnon in Gang. Was für ihn ein Leichtes ist, da er qua Amt göttliche Autorität besitzt. Und er bricht das Spiel ab, als Iphigenies Kopf schon unter der eilig aufgestellten Guillotine liegt.

Vergrößerung in neuem Fenster Kalchas an der Spitze der Truppen, vor sich den Krieg im Hintergrund die Guillotine

Ob er das macht, weil er sein politisches Ziel erreicht hat oder weil er Achills Einschreiten fürchtet, ist ganz gleich – zum Finale führt Kalchas die gleichgeschalteten Griechen in Marschordnung zur Rampe hin geradewegs in den Krieg. Es ist eine gespenstische Pointe dieser Inszenierung, wie Agamemnon, Klytämnestra und Ihpigenie nach diesem Ritt über den Bodensee beim verspäteten Hochzeitstänzchen immer wieder zusammenbrechen. Zumindest diese drei waren offenbar zu dicht am Abgrund, um einfach so weiterzumachen, als wäre nichts gewesen. Im Ensemble überzeugt der satte Mezzo von Hadar Halévy als elegante Klytämnestra, Shigeo Ishino als  Agamemnon, der souvrän auftrumpfende, kurzfristig eingesprungene Avi Klemberg als Achill, vor allem aber Mandy Fredrich mit ihrem flexibel sicheren Sopran in der Titelrolle. Dabei waren sie alle beim zupackenden Christoph Poppen am Pult des Staatsorchesters Stuttgart bestens aufgehoben. Sein Gluck hat weniger mit einer Reminiszenz der Schätze von Glucks 18. Jahrhunderts zu tun, als mit der kühnen Vorausschau in die dramatische Opernzukunft des Folgenden. 


FAZIT

Mit ihrer Iphigenie in Aulis liefert Andrea Moses ein erneutes Beispiel für eine Musiktheater, das die Stücke konsequent von heute aus denkt, ohne deren Kern zu verraten. Dass ein Teil der veröffentlichten Kritik damit Probleme hat, sollte niemanden davon abhalten, sich selbst ein Bild zu machen.



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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Christoph Poppen

Inszenierung
Andrea Moses

Bühne und Kostüme
Christian Wiehle

Licht
Reinhard Traub

Chor
Christoph Heil

Dramaturgie
Thomas Wieck
Moritz Lobeck


Chor der Staatsoper Stuttgart

Staatsorchester Stuttgart


Solisten

Agamemnon
Shigeo Ishino

Klytämnestra
Hadar Halévy

Iphigenie
Mandy Fredrich

Achill
Avi Klemberg

Kalchas
Ronan Collett

Arkas
Kai Preußker

Patroklos
Adam Cioffari




Weitere Informationen
erhalten Sie vom
Staatstheater Stuttgart
(Homepage)



Da capo al Fine

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