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Musiktheater
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Le nozze di Figaro (Figaros Hochzeit)

Oper in vier Akten
Libretto von Lorenzo da Ponte
Musik von Wolfgang Amadeus Mozart


In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h 30' (eine Pause)

Premiere im Opernhaus Dortmund am 24. Februar 2013




Theater Dortmund
(Homepage)

Die Tragikomödie der Liebe in vorrevolutionären Zeiten

Von Stefan Schmöe / Fotos von Thomas Jauk / Stage Pictures

Möglicherweise gehörte Pierre-Augustin de Beaumarchais' Lustspiel Le folle journée ou le mariage de Figaro (Der tolle Tag oder die Hochzeit des Figaro) auch heute noch zum Repertoire deutscher Schauspielbühnen, hätte Mozart nicht das seinerzeit brandaktuelle Stück so einzigartig vertont, dass heute jedem Theaterbesucher unweigerlich die fehlende Musik durch den Kopf gehen würde. 1784 feierte das Publikum diesen zweiten Teil einer Trilogie um den Barbier Figaro, der inzwischen zum Schlossverwalter aufgestiegen ist, für seinen beißenden Spott an der herrschenden Adelsklasse. Würde er dieses Stück genehmigen, könne er auch gleich die Bastille einreißen, soll Ludwig XVI. geurteilt haben – und doch überstand das Schauspiel die Pariser und Wiener Zensur. Die herrschenden Verhältnisse stellte Beaumarchais schließlich nicht infrage, und das Grundmodell – gewitzter Diener überlistet trotteligen Herrn – war nicht nur durch Goldonis Komödien gewohnt und bewährt. Der sehr lesenswerte Aufsatz von Dramaturg Georg Holzer im Programmheft der Dortmunder Neuinszenierung stuft den tatsächlichen revolutionären Gehalt dann auch als eher gering ein. Nichtsdestotrotz: Eingerissen wurde die Bastille bekanntlich fünf Jahre später doch.

Szenenfoto

Bedrohtes Eheglück: Susanna und Figaro (1. Aufzug)

Das im 19. und 20. Jahrhundert vorherrschende Mozartbild mag in seiner Überhöhung des Werkes verdrängt haben, dass Mozart hier sehr genau eine tagesaktuelle Gesellschaftskomödie vertont hat – und eben diese Dimension gibt die junge französische Regisseurin Mariame Clément der Oper zurück. Im ersten Akt sieht man auf leerer Bühne eine Reihen von kleinen Genreszenen vom Hofe des Grafen Almavivas; neben den gewohnten Spielorten die Küche, ein Schulzimmer, das Schlafzimmer der Gräfin und anderes. Durch schnelle Umbauten der wenigen, aber wirkungsvollen Requisiten und kluge Lichtregie (Licht: Ralph Jürgens) ist das einerseits von fast filmischer Genauigkeit und breitet in komprimierter Form ein Panorama der Hofhaltung aus, auf der anderen Seite kommt nie das Gefühl eines falschen Naturalismus auf. Während die entscheidende Szene am vorderen Bühnenrand abläuft, sieht man alle anderen Aktionen im Dunkeln beinahe als Scherenschnitt und in Zeitlupe, und wie das von den Abläufen und der Ausstattung (Julia Hansen) gelöst ist, das ist allein aus handwerklicher Sicht großes Theater. Zwei kleine Einwände gegen das Verfahren (und einen weiteren allgemeinen): Die Überblendung von einer Szene zur anderen in den Arienschlüssen nimmt den Sängern ein wenig an Wirkung und dem Publikum die Möglichkeit zum Applaudieren (immerhin ist Figaros „Se vuol ballare il signor Contino“ ein Wunschkonzert-Highlight), und die offene Bühne ist nicht gerade sängerfreundlich. Und so bemüht flapsig müssten die Übertitel auch nicht formuliert sein.

Szenenfoto

Ehekrise: Graf und Gräfin Almaviva (Finale des 2. Aufzugs)

Der zweite Akt spielt ganz konventionell im Rokoko-Schlafzimmer der Gräfin, das bei offener Bühne vom Schnürboden herab gelassen wird, die Brechung zum Illusionstheater ist also gegeben. Die Personenregie bis ins kleinste Detail ist aber von einer solchen Präzision, dass man immer wieder glaubt, das Stück zum ersten Mal zu sehen. Die Regie erzählt aber nicht nur sehr exakt im Detail eine immer noch amüsante Verwechslungsgeschichte nach, sie legt auch die psychischen Seelenzustände der Figuren offen – und da tun sich rechts und links des schmalen Lustspielgrats Abgründe auf.

Susanna und die Gräfin, die beiden zentralen Frauenpartien, sind hier sehr jung dargestellt. Anke Briegel singt und spielt die Kammerzofe als vielleicht 15- oder 16-jährige, aber keineswegs wie die kokette Despina aus Cosí fan tutte, die ein paar Jahre später leichtfertig von den umfangreichen sexuellen Erfahrungen dieses Alters sprechen wird, sondern wie ein junges Mädchen, die den Drangsalierungen ihres Herrn hilflos gegenüber steht und zum Spielball wird. Das „jus primae noctis“, das überkommene Recht des Feudalherren auf die Entjungferung seiner Dienstmädchen, wird fast immer als komödiantisches Element überspielt, hier ist es als existenzielle Bedrohung einer jungen Frau aufgezeigt – und da wird die scheinbar konventionelle Regie doch sehr viel moderner als viele Transformationsversuche, das Stück in eine Gegenwart zu versetzen. Scheint es im ersten Akt noch etwas unsicher, ob die recht kleine Stimme von Anke Briegel den dreieinhalb Stunden langen – aus Zuschauersicht hier freilich kurzen – Abend tragen kann, so gewinnt sie doch mehr und mehr an Statur – und ihre von den Holzbläsern getragene Arie “De vieni non tardar“ aus dem letzten Akt ist gerade durch den mädchenhaften Klang von großer Schönheit.

Szenenfoto

Schlachtpläne: Figaro und Gräfin (3. Aufzug)

Die Gräfin ist gerade einmal ein paar Jahre älter und wäre im Finale des zweiten Aufzugs nur allzu bereit, alle Eskapaden ihres Gatten zu vergeben, wenn er nur endlich einmal Zeit für sie hätte. Eleonore Maguerre (die zuletzt schon als Manon ganz starke Eindrücke hinterlassen hatte, unsere Rezension) hat eine jugendliche und schlanke, im oberen Bereich interessant eingefärbte Stimme. Die Interpretation hat nichts Primadonnenhaftes, sondern bleibt ganz nahe an der Figur. Am Ende wird sie nicht mehr so einfach verzeihen können, da werden sich zu tiefe Gräben aufgetan haben. Mit Ileana Mateescu als groß gewachsenem, geradlinig klar singendem Cherubino und Tamara Weimerich als Barbarina mit hübscher und leichter Stimme ist die Disposition der verschiedenen Frauenpartien sehr gut aufeinander abgestimmt.

Bei den Herren wäre vielleicht eine etwas deutlichere Abstufung zwischen dem Grafen und seinem Kammerdiener und Schlossverwalter Figaro wünschenswert: Morgan Moody hinterlässt als Figaro ebenso einen schlanken, präsenten Eindruck wie Gerardo Garciano, dem man noch eine Spur mehr aristokratischen Glanz in der Stimme wünschen würde, der aber großartig aufzeigt, dass dieser Graf weder der Don Juan vom Dienst noch der ignorante Lüstling ist – sondern hoffnungslos dem natürlichen Charme der Dienerin verfallen (und das lässt bei Männern ja häufiger den Verstand aussetzen). Die Regie denunziert ihn nicht wegen seiner erotischen Begierden. Der zeitlose Geräteschuppen im vierten Akt deutet an, dass sich seit den vorrevolutionären Zeiten so viel nicht geändert hat mit dem Triebleben. Dass Almaviva am Ende allein zurück bleibt, dass überhaupt die große Versöhnung ausbleibt (was letztendlich angesichts dieser Musik auch wieder ein bisschen schade ist), macht ihn am Ende dann doch zur politischen Figur: Einer, der zu spät die Zeichen der Zeit erkennt.

Szenenfoto

Das Ende eines tollen Tags: Graf Almaviva bleibt allein zurück

Mit außerordentlicher Spielfreude agieren die komödiantischen Charaktere: Katharina Peetz als Marcelline, Christian Sist als Bartolo, Hannes Brock als Basilio, Hiroyuki Inoue als Antonio und Christian Pienaar als Curzio. Und auch der klangschöne Chor und die viel beschäftigte Statisterie tragen zu einer Inszenierung bei, die an Sorgfalt und Präzision ihresgleichen sucht.

Die (sehr guten) Dortmunder Philharmoniker unter der Leitung ihres Chefdirigenten Jac van Steen spielen Mozart im konventionellen Symphonieorchester-Sound – da Mozart wie kein anderer Komponist zum Kernrepertoire der Stadttheater gehört, ist das natürlich legitim, auch wenn beim rasenden Tempo der Ouvertüre über die eine oder andere Note hinweg gespielt wird. Insgesamt gelingt eine sehr klangschöne Interpretation, die im Laufe des Abends immer besser mit der Bühne zu einer hervorragenden Ensembleleistung zusammenwächst.

FAZIT

Mit einer hervorrragenden Ensembleleistung und einer klugen und ungeheuer genauen Regie gelingt der Dortmunder Oper einer der Höhepunkte der laufenden Saison. Von Regisseurin Mariame Clément und Ausstatterin Julia Hansen, die u.a. in Strasbourg durch eine raffinierte Platée auf sich aufmerksam gemacht haben, wird man sicher noch hören.


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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Jac van Steen

Inszenierung
Mariame Clément

Bühne und Kostüme
Julia Hansen

Choreinstudierung
Granville Walker

Dramaturgie
Georg Holzer


Statisterie des Theater Dortmund

Opernchor des Theater Dortmund

Dortmunder Philharmoniker


Solisten

* Besetzung der rezensierten Aufführung

Graf Almaviva
Gerardo Garciacano

Gräfin Almaviva
* Eleonore Marguerre
Christiane Kohl

Susanna
* Anke Briegel
Julia Amos

Figaro
Morgan Moody

Cherubino
Ileana Mateescu
Katharina Peetz

Marcellina
* Katharina Peetz
Andrea Rieche

Doktor Bartolo
Christian Sist

Barbarina
Tamara Weimerich

Basilio
Hannes Brock

Antonio
Hiroyuki Inoue

Don Curzio
Christian Pienaar

Zwei Frauen
* Keiko Matsumoto /
Barbara Vorbeck
* Natascha Valentin-Hielscher /
Diane Blais


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