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Divergierende Wagnerkommentare mit einem Hauch von Lokalkolorit
Von Stefan Schmöe / Fotos von Monika Rittershaus
Da hat sich die Rheinoper ein ganz besonderes Geburtstagsgeschenk für Richard Wagner ausgedacht: Nicht einfach eine Neuinszenierung eines seiner Werke (die wird im Mai mit dem Tannhäuser noch folgen), sondern eine veritable Uraufführung, die sich mit dem Jubilar auseinander setzt. Als Komponisten hat man Helmut Oehring verpflichtet, der seine Bühnenwerke passenderweise gerne als Antwortopern bezeichnet, im Programmheft allerdings freimütig bekennt, sich vor dieser Arbeit mit Wagner noch nie intensiver beschäftigt zu haben. Das ist beim Regieteam, bestehend aus Claus Guth (Inszenierung) und Christian Schmidt (Bühne und Kostüme), ganz anders deren an der Oper Zürich entstandene Produktion von Wagners Tristan und Isolde etwa war auch in Düsseldorf zu sehen (unsere Rezension). Und da die beiden nicht nur für ihre stets sehr durchdachten und durch und durch intellektuellen Regie-Arbeiten bekannt sind, sondern auch von Beginn an in die Konzeption dieses neuen Werkes einbezogen waren, durfte man schon auf Antworten hoffen auf welche Fragen auch immer. Romantische Sehnsucht im Zeitalter der Industrialisierung: Der Holländer (Simon Neal) im Räderwerk seiner Zeit
Bei der Wahl des Sujets kam man auf den Fliegenden Holländer, und das hat durchaus mit den örtlichen Gegebenheiten zu tun: Einen Steinwurf vom Standort des Düsseldorfer Opernhauses entfernt kam schließlich Heinrich Heine zur Welt, dessen Aus den Memoiren des Herren von Schnabelewobski eine der wichtigsten Quellen für Wagners Oper war. Eine weitere Spur führt ins benachbarte Wuppertal, das zu Wagners Zeit noch aus den Städten Barmen und Elberfeld bestand von dort kamen Otto und Mathilde Wesendock, er Wagners Mäzen im Züricher Exil, sie seine Muse (respektive Geliebte) und Inspirationsquelle für Tristan und Isolde. Aus Barmen, wo mit dem Aufkommen der Textilindustrie schon früh die Weichen für die industrielle Revolution gestellt wurden, stammt auch Friedrich Engels, Weggefährte von Karl Marx und Mitverfasser des Kommunistischen Manifests. Damit ist auch das Spannungsfeld zwischen Industrialisierung und romantischer Sehnsucht umrissen, das den Kern von Oehrings neuem Werk ausmacht. Eine eigentliche Oper im engeren Sinn ist SehnsuchtMEER eigentlich nicht: Es gibt keine auskomponierten dramatischen Rollen und nur in Ansätzen eine Handlung. Eher kann man das Stück als Sammlung von Kommentaren zu Wagner auffassen. Die Vermittlungsstelle des Fernsprechamtes als Sinnbild für schwierige Kommunikation - davor steht Gebärdensprachensolistin Christina Schönfeld als stumme Variante der Senta, oben lauert der Holländer
Librettistin Stefanie Wördemann, die fast passender als Dramaturgin bezeichnen könnte, hat Passagen aus Wagners Holländer mit solchen aus dem genannten Schnabelewobski und Meeresgedichten Heines verschränkt; hinzu kommt als paralleler Handlungsstrang Hans Christian Andersens Märchen von der kleinen Meerjungfrau, die aus Liebe zu einem Menschenprinzen auf ihr Dasein als Fabelwesen verzichtet und mangels Gegenliebe zu Schaum zerfällt. Darin spiegelt sich die Wahrnehmung der Senta aus Wagners Holländer: Die Frau, die sich für eine letztendlich unerreichbares Traumbild aufopfert. Dieser schöne (von Jutta Wachowiak leider allzu vernuschelte) Text wird über die Musik gesprochen, während die Gedichtstexte weitgehend dem Chor überlassen sind. Schwebende Klangflächen der Frauenstimmen, gerne in der hohen Lage, sind nicht unbedingt kompositorische Innovation, klingen aber, vom vorzüglichen Chor der Rheinoper aus dem Rangfoyer wie aus weiter Ferne gesungen, sehr schön. Der doppelte Holländer - Sänger Simon Neal und Kontrabassist Matthias Bauer
Überhaupt wirkt Oehrings Musik, die auf melodische Elemente verzichtet und sich wirkungsvoll aus flächigen Klang- und Geräuschereignissen aufbaut, ziemlich zusammengesucht, das aber sehr geschickt und mit manchem faszinierenden Moment. Im stilistischen Kontrast dazu stehen die Passagen, die mehr oder weniger verfremdet direkt aus dem Fliegenden Holländer übernommen sind: Die beliebten Chöre und die wichtigsten Stellen von Holländer und Senta. Ziemlich viel Wunschkonzert also. Das ist in der Art der Behandlung oft reizvoll, erinnert manchmal an Uri Caines Umgang mit romantischen Vorlagen, setzt E-Gitarre ebenso ein wie die Atemgeräusche der Holzbläser. Auf die Dauer allerdings ermüdet das Verfahren, wirkt auch ein wenig anbiedernd, als solle dem Publikum zum Ausgleich für die (moderaten) Modernismen häppchenweise beinahe echter Wagner vorgesetzt werden. Manuela Uhl ist eine in der Höhe etwas metallische, aber souveräne Senta, Simon Neal ein unausgeglichener Holländer mit akzeptablen, aber auch unschön angestrengten Passagen. Dann ist da noch Vokalartist David Moss, der sich durch seine Partie als Erzähler hindurch grunzt, jault und falsettiert, durchaus virtuos, aber kaum verzahnt mit den anderen Elementen wie auch sonst vieles nebeneinander steht und collagenartig gestückelt bleibt. Die doppelte Senta - Gebärdensprachensolistin Christina Schönfeld und Sängerin Manuela Uhl
Die eigentliche Hauptfigur singt selbst nicht, wie auch die kleine Meerjungfrau in Andersens Märchen auf ihre Stimme verzichten muss: Die gehörlose Gebärdensprachensolistin Christina Schönfeld gehört sozusagen zum Markenkern Helmut Oehrings, der als Kind gehörloser Eltern immer wieder Elemente der Gebärdensprache in seine Kompositionen integriert. Hier macht das dramaturgisch einigermaßen Sinn, ist diese Figur als Doppelung der Senta auch Symbol für die Sprachlosigkeit. Ein bisschen manieriert bleibt das inzwischen arg strapazierte Konzept trotzdem. Auch dem Holländer ist ein Doppelgänger an die Seite gestellt, und das ist der charismatische Kontrabassist Matthias Bauer vielleicht der stärkste Einfall im Stück, weil Oehring hier mit einem aggressiven und sehr freiem kompositorischem Gestus tatsächlich eine neue Dimension eröffnet. Chefdirigent Axel Kober und die guten Düsseldorfer Symphoniker machen mit großer dramatischer Attitüde durchaus Lust auf mehr Wagner. Hauskonzert in der Villa Wesendock - auf dem Programm stehen vier der fünf Lieder, die Wagner nach Gedichten von Mathilde Wesendock komponiert hat
Die Inszenierung spielt in einem Kirchenraum, der auch Industriehalle oder Lagerraum sein könnte. Hin und wieder fahren riesige Zahnräder in den Raum. Das Personal ist gutbürgerlich. Im Wesentlichen sieht man eine Hochzeitsszene man kann das Geschehen vereinfacht als Vision der unglücklich verheirateten Braut auffassen. Natürlich ist das alles viel komplexer gedacht und voller Querbeziehungen, in der Summe sieht es aber aus wie guter Regiestandard des Holländers. Im zweiten Teil wechselt die Szene zwischenzeitlich in die Züricher Villa der Wesendoncks, wo Senta zu Mathilde wird und drei der Wesendonck-Lieder singt (ein viertes wird von David Moss zerstückelt). Auch wenn Manuela Uhl das ausnehmend klangschön gestaltet (subtil von Matthew Ottenlips am Flügel begleitet - die später in Tristan und Isolde übernommenen Motive werden etwas plump vom Orchester verstärkt), bleibt diese Szene doch sehr plakativ. Insgesamt sieht die Inszenierung hübsch aus, macht sicher nichts falsch, kann dem ziemlich untheatralischen und dramaturgisch etwas verkopften Werk aber auch keine entscheidenden Impulse geben.
SehnsuchtMEER hinterlässt ambivalente Eindrücke es gibt durchaus faszinierende Momente, aber vieles bleibt ziemlich hölzern nebeneinander stehen. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühnenbild und Kostüme
Lichtdesign
Sound-Konzept und -produktion
Chor
Dramaturgie
Solisten
Erzähler 1, der Träumer
Erzähler 2, der Realist
Die Großmutter / Alte Meerjungfrau /
Holländer
Holländer instrumental /
Senta / Mathilde
Meerjungfrau / Gebärdensolistin
E-Gitarre
Sopransolo
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