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Ein amerikanischer Albtraum Von Thomas Molke / Fotos von Thomas M. Jauk (Stage Pictures)
Nachdem die Oper Dortmund bereits im Jahr 2000 als erstes deutsches Opernhaus Mark-Anthony Turnages zweite Oper The Silver Tassie unter dem Titel Der Cup präsentierte, ist es Intendant Jens-Daniel Herzog gelungen, auch die deutsche Erstaufführung der dritten Oper dieses bedeutenden britischen Avantgardisten der zeitgenössischen Musik nach Dortmund zu holen. Die Rede ist von Anna Nicole, die im Februar 2011 ihre Uraufführung am Royal Opera House in London erlebte (siehe auch unsere Uraufführungs-Rezension). Und Herzog hat die Inszenierung gemeinsam mit dem Generalmusikdirektor Jac van Steen natürlich zur Chefsache erklärt. Der Komponist ist auch höchstpersönlich zur deutschen Erstaufführung angereist, einerseits sicherlich aus Interesse daran, wie man in Deutschland sein Werk umsetzen würde, andererseits vielleicht aber auch, um noch einmal zu betonen, dass es sich nicht um ein Musical, sondern um eine ernste Oper handle, auch wenn ihm gerade nach der Uraufführung häufig unterstellt wurde, mit diesem Werk eher das Musical-Genre als die zeitgenössische Oper bedient zu haben. Aber auch wenn man sich bei einer musikalischen Zuordnung uneins sein sollte, lässt sich nicht leugnen, dass dieses Stück knapp zweieinhalb Stunden pralles Musiktheater bietet, dem es in keinem Moment an Dramatik fehlt und das keine Langeweile aufkommen lässt. Anna Nicole (Emily Newton, Mitte) kehrt ins Leben zurück (rechts und links: Opernchor). Erzählt wird die Geschichte der Anna Nicole Smith, die durch eine umfangreiche Brustvergrößerung einen kometenhaften Aufstieg zum Model und Busenwunder erlebt. Ihre Ehe mit dem 63 Jahre älteren Öl-Tycoon J. Howard Marshall II. lässt sie zu einem gefunden Fressen für die Boulevardpresse werden, was von ihrem Anwalt und späteren Geliebten Howard Stern auch noch gefördert wird. Als ihr Ehemann verstirbt, ohne sie in seinem Testament zu erwähnen, führt sie einen jahrelangen Prozess gegen seine Familie, in dem sie schließlich unterliegt. Von nun an macht sie nur noch durch ihre Party- und Drogenexzesse auf sich aufmerksam, wobei Stern ihren Verfall für die Medien immer gnadenloser vermarktet. So verkauft er sogar die Rechte für eine Live-Übertragung der Geburt ihrer Tochter an einen Pay-TV-Sender. Als Anna Nicoles Sohn Daniel drei Tage nach der Geburt seiner kleinen Schwester am Krankenbett seiner Mutter an einem Drogencocktail stirbt, verliert Anna Nicole ihren letzten Lebensmut. Sie stirbt ein Jahr später an einer Überdosis verschiedener Medikamente. Anna Nicole (Emily Newton) zeigt, was sie zu bieten hat. Die Oper rollt die Geschichte von hinten auf und beginnt mit dem Tod der Titelfigur. Frank Hänig hat dafür einen steril wirkenden hohen Bühnenraum entworfen, der mit den langen kalten Neonröhren an der Decke und den Öffnungen in der hinteren Wand an eine Leichenhalle erinnert. Der Stern aus Neonröhren an der Decke steht wahrscheinlich für den verblassten Ruhm des Party-Girls Anna Nicole. Der Chor versammelt sich mit Blumen und Kerzen, um von Anna Nicole Abschied zu nehmen. Welche Rolle die beiden Dragqueens dabei spielen, die am Ende des Anfangschorals eine Bahre mit einem Leichensack hereinrollen, aus dem Anna Nicole entsteigt, bleibt unklar. Stehen sie für das schräge und unkonventionelle Leben, das die Titelfigur zeit ihres Lebens geführt hat? Mit einer Pose, die an Marilyn Monroe erinnert, steigt Anna Nicole mit den Worten "I want to blow you all a kiss" aus dem Sack und lässt noch einmal ihr Leben Revue passieren. Auf der rechten und linken Seite der Bühne sind Teile des Orchesters ausgelagert, die den folgenden Szenen einen gewissen Show-Charakter geben. Hänigs Bühne beweist sich dabei als sehr wandelbar und ermöglicht rasche Szenenwechsel. So verbirgt der obere Teil der Rückwand einen Lap-Dance-Club, in dem drei junge Frauen erotisch an der Stange tanzen. Die Rückwand lässt sich auch ganz in den Schnürboden ziehen, so dass der Raum an Tiefe gewinnt und mit seiner Leere, die Einsamkeit und Isolation der Titelfigur enthüllt. In bunten Bildern wird nun der rasante Aufstieg Anna Nicoles gezeigt, wobei die Geschichte durchaus eine gewisse Sympathie und Mitleid mit der Titelfigur empfinden lässt. So werden Annas Cousine Shelley als zahnloses Punk-Monster gezeigt und ihr Vater als brutaler Säufer, der seine Tochter wahrscheinlich auch misshandelt hat, so dass man gut nachvollziehen kann, dass Anna Nicole diesem Leben entfliehen musste, um nicht von ihrer Umwelt zerstört zu werden. Und mit ihren großen Erfolgen im Nacht-Club nach ihrer Brustvergrößerung scheint ihr Traum auch wahr zu werden. Der Stern aus Neonröhren an der Decke wandelt sich zur amerikanischen Flagge, um zu demonstrieren, dass im Land der unbegrenzten Möglichkeiten jeder zu Ruhm gelangen kann. Die amerikanische Flagge taucht auch als Decke in Marshalls Rollstuhl auf. Der American Dream scheint im Fall von Anna Nicole also wahr zu werden. Aber er wird sich als Albtraum entpuppen. Anna Nicole (Emily Newton) bringt Marshall (Ks. Hannes Brock) ins Grab. Die Familie (von links: Anke Briegel, Susanna Frank und Sangmin Lee) ist nicht begeistert (im Hintergrund: Opernchor). Grandios inszeniert Herzog Marshalls Tod, der sich in unendlicher Feierlaune gewissermaßen von Anna Nicole direkt ins Grab bringen lässt. Da verwundert es nicht, dass die Verwandten verhindern wollen, dass Anna Nicole auch nur einen kleinen Teil von Marshalls Vermögen erbt. Den Zeitsprung von zehn Jahren markiert Annas Sohn Daniel, der als kleiner Junge die Bühne verlässt und im gleichen Kostüm als junger Mann wieder auftritt. Nun entsteht auf der Bühne das peinliche Bild von Anna Nicole, das man in den letzten Jahren ihres Lebens in der Boulevardpresse wahrgenommen hat. Erst mit dem Tod ihres Sohnes kommt wieder ein Moment, in dem man mit der Titelfigur Mitgefühl empfindet. Stern malt der innerlich kaputten Frau ein clowneskes Lächeln ins Gesicht. Doch Anna Nicole kann dem Druck nicht mehr standhalten. Sie steigt wieder in den Leichensack und wiederholt ihren ersten Satz vom Beginn des Stückes, wobei aber nichts mehr von der Erotik ihres ersten Auftritts zu spüren ist. Howard Stern (Morgan Moody) vermarktet Anna Nicole (Emily Newton, Mitte) gnadenlos. Annas Mutter Virgie (Katharina Peetz, links) muss tatenlos zusehen. Musikalisch und darstellerisch setzt das Dortmunder Ensemble den Mix, der zwischen Jazz, klassischem Stil und wenigen atonalen Tönen je nach Stimmung im Stück changiert, hervorragend um. Anke Briegel, Sangmin Lee und Susanna Frank überzeugen als überzeichnete abschreckende Familie, vor der Anna Nicole in ein anderes Leben flüchten muss. Katharina Peetz stellt als Mutter Virgie in gewisser Weise eine richtende Instanz dar, weshalb Herzog sie als Polizistin auftreten lässt. Morgan Moody begeistert als schmieriger Anwalt Howard Stern, dem es nur darum geht, Anna Nicole möglichst kommerziell zu vermarkten, und Kammersänger Hannes Brock glänzt als alter Öl-Tycoon Marshall mit großartigem Spiel und abstoßender Lüsternheit. Der von Granville Walker homogen einstudierte Chor klingt durch die Verstärkung mit Mikroports bisweilen etwas laut und schrill und könnte von der Einstellung noch etwas zurückgenommen werden. Die Dortmunder Philharmoniker setzen unter der Leitung von Jac van Steen Turnages musikalischen Stilmix hervorragend um. Star des Abends ist Emily Newton, die die Titelpartie stimmlich mit großem Sopran, darstellerisch mit bewegendem Spiel und auch optisch hervorragend ausfüllt. So zeigt sie anfangs eine Koketterie à la Marilyn Monroe, die für Anna Nicole stets ein Vorbild gewesen ist, und entwickelt sich mit Silikon-Brusteinlagen zu einem wahren Busenwunder, das Männerherzen höher schlagen lassen kann. Bei aller Erotik, die sie ausstrahlt, verliert ihr bewegendes Spiel aber niemals aus den Augen, welchen Preis Anna Nicole für diesen Ruhm zahlen muss. So bleiben die Momente, in denen sie in weißem Hochzeitskleid in einem Konfetti-Regen steht oder mit hochhackigen Schuhen selbstverliebt über den roten Teppich flaniert, nur kurze Momentaufnahmen, und Newton schreckt auch nicht davor zurück, in einem Fat-Suit Anna Nicole am Ende ihres Lebens eher unansehnlich zu gestalten. So gibt es am Ende großen und verdienten Applaus für eine Produktion, die lediglich mehr Publikum verdient hätte. FAZIT Herzog beweist, dass auch zeitgenössisches Musiktheater die Massen begeistern kann. Jetzt müssen die Massen nur noch ins Theater kommen.
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ProduktionsteamMusikalische Leitung
Inszenierung Bühne Kostüme Choreographie Choreinstudierung Licht Dramaturgie
Opernchor des Statisterie des Dortmunder Philharmoniker
Solisten Anna Nicole Bürgermeister von Mexia Vize-Bürgermeister von Mexia Virgie, Annas Mutter Shelley, Annas Cousine Daddy Hogan Tante Kay Billy Howard Stern Melissa Trucker Kunde im Gentlemen's Club Doctor Yes J. Howard Marshall II. Marshall Family Larry King Assistent der Larry King Show Daniel Daniel als Kind Pole Dancers
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