„Frau Luna“: Berlin findet Wien auf dem Mond

„Frau Luna“: Berlin findet Wien auf dem Mond
„Frau Luna“: Berlin findet Wien auf dem Mond(c) APA/BARBARA PALFFY/VOLKSOPER (BARBARA PALFFY/VOLKSOPER)
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Die Volksoper landet mit Paul Linckes schmissiger Berliner Operette einen Inszenierungserfolg. Der Besetzung fehlt es wieder einmal an Glanzlichtern.

Nach Bäumen, Pferden, Kohleöfen und nassem Hund riecht sie also, die „Berliner Luft, Luft, Luft“, die 114 Jahre nach der Uraufführung von „Frau Luna“ nun erstmals an der Volksoper besungen wird und das willig inhalierende Publikum begeistern konnte. Zumal unter der musikalischen Leitung von Gerrit Prießnitz kein Platz für klischeegemäß martialische Zackigkeit war: Sowohl bei diesem Äquivalent zum Radetzkymarsch als auch dort, wo im schwebenden Walzertakt „Schlösser, die im Monde liegen“ gebaut werden, waltete jene schmissige Kantabilität, die einem Werk der silbernen Operettenära wohl ansteht – selbst wenn manche Nummer von der Qualität der Erfindung her schon etwas bronzen wirken mag.

Sentimentalität war dem Berliner Paul Lincke und der von ihm inaugurierten Spielart der Operette eher fremd, er setzte sein Ohrwurmtalent im Zweifel lieber für schneidig-flotte Nummern statt für melancholische Arien ein. Aber wenn die bunten Orchesterdetails so schön Pingpong spielen wie etwa in „Wenn die Sonne schlafen geht“, dann darf man sich über eine gelungene Einstudierung freuen.
Noch stärker gründet sich der Erfolg auf Peter Lunds Inszenierung und Textbearbeitung. Er erstellte eine auf halbem Wege zwischen zeitkritischer Singspielunterhaltung und großer Revue inklusive Balletteinlagen angesiedelte Fassung, wobei ihm Sam Madwar mit Bühnenbild und Filmprojektionen ebenso gut hilft wie Daria Kornysheva (Kostüme). Da gibt es schon zur Ouvertüre eine Art Vorspann, der an goldene, also schwarz-weiße UFA-Zeiten anschließt: Der Charme der Produktion liegt vor allem darin, dass sie die historische Verankerung des Stücks ernst nimmt. Aus der sozialen Not des wilhelminischen Berlin dürfen sie also mit selbst gebautem Fluggerät gen Mond starten, der findige Ingenieur und seine Kompagnons, um dort vielleicht Möglichkeiten für ein neues Leben zu finden.

„Depperte Piefke!“

Doch der Mond ist überraschend bewohnt, Frau Luna regiert ein Völkchen, das sich bei Lund bald in Gemüt und Zungenschlag als tendenziell wienerisch herausstellt und seine Ruh' haben will – obwohl die Monarchin selbst nur allzu gern „entdeckt und erkundet“ werden will, denn: „Immer nur abnehmen, zunehmen, abnehmen, zunehmen – das ist doch kein Leben für eine Frau!“ Lund beweist Sinn für leichthin geäußerte Doppeldeutigkeiten, den wiederholten Stoßseufzer „Depperte Piefke!“ mag man ebenso durchgehen lassen wie die einmal zu oft geäußerte Anspielung auf den „Anschluss“. Madwar kontrastiert eine Pawlatschenmansarde mit sternflammender Drehbühnen-Science-Fiction, die eindrucksvoll kühl und zugleich reizend altmodisch wirkt. Manche technische Widerborsten lassen sich gewiss noch ausbügeln, vielleicht auch Längen straffen . . .

Wunder wirken kann jedoch auch Lund nicht: Das eingelernte Berlinerisch der Protagonisten fällt sehr ungleich aus – und wer nicht von vornherein mit starker Bühnenpersönlichkeit aufwarten kann, bleibt blass. So rücken vermeintliche Nebenfiguren ins Zentrum: der überlegene Boris Eder als alternder Schwerenöter, die resolute Isabel Weicken als seine einstige (und neue) Flamme. Der Allrounder Daniel Prohaska führt den Rest der Besetzung trotz Musicalschlagseite recht erfreulich an und wird von Andreas Daum als nett sächselndem Dauerdichter und Carlo Hartmann als preußischem Kriegsversehrten brav assistiert. Der Gesang bleibt jedoch, obwohl verstärkt, vielfach dürftig, auch bei der bloß nett spielenden Julia Koci (Frau Luna).

Eine trotz kleiner Abstriche glänzende Inszenierung, aber eine glanzlose Besetzung – verkehrte Operettenwelt?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.06.2013)

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