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Mittelalter trifft Gegenwart: "Written on Skin" verteilt sich auf mehrere Zeiträume.

Foto: APA/HANS KLAUS TECHT

Kent Nagano animiert das Klangforum Wien zu präziser Farbigkeit.

Wien - Ende gut, Gesamtbilanz gut - das lässt sich dann doch nicht behaupten. Über Jahre gesehen muss die Performance von Stephane Lissner als Musikchef der Wiener Festwochen eher als Symbol dafür herhalten, wie sich ein international renommierter Kulturmanager (er übernimmt nun die Pariser Oper) selbst unter seinem tatsächlichen Wert schlug. Dabei natürlich bedrängt von Festwochen-internen Struktureigenheiten wie seinen Aufgaben als Chef der Mailänder Scala.

Die letzte Premiere seiner Amtszeit, Written on Skin, ist jedoch ein exzellent geglücktes Mitbringsel aus Aix-en-Provence, wo die Oper des Briten George Benjamin im Vorjahr uraufgeführt wurde.

Im Kern geht es um eine Geschichte aus dem 13. Jahrhundert, die vom Troubadour Guillem de Cabestanh handelt: In Written on Skin mutiert er zum Buchkünstler, der von einem selbstherrlichen Grundbesitzer beauftragt wird, in einem Schmöker das Leben des Auftraggebers bilderschön einzufangen. Samt dessen Leben mit Gattin Agnès.

Rache an der Gattin

Die unterdrückte Dame indes geht ein Verhältnis mit dem jungen Buchmaler ein, was extreme Folgen zeitigt: Der Gatte versucht, nachdem er den Jungen umgebracht hat, die Macht über seine Frau wiederzuerlangen, indem er ihr demütigend das Herz des Geliebten als Mahlzeit serviert. Als letzten Freiheitsakt wählt die Frau schließlich aber den selbstmörderischen Fenstersprung.

Die Oper erzählt die Brutalstory nicht in derb-naturalistischer Manier, vielmehr in delikater, dicht-poetischer Sprache (Martin Crimp). Als Kunstmittel werden dabei Engel eingeführt, die aus der Jetztzeit (als Ankleider und Requisiteure) die mittelalterlichen Figuren mitunter streng betreuen, aber auch zu Mitakteuren werden.

Regisseurin Katie Mitchell bündelt die Werkvorgaben zu transparenten, simultan ablaufenden Szenen, die vier Räume (Bühnenbild Vicki Mortimer) bewohnen: links unten und oben die Engel, rechts unten der mittelalterliche Schauplatz mit Esstisch, Ehebett und Bäumen - rechts oben das Freitodfenster für Agnès. Diese Gleichzeitigkeit jedoch irritiert nicht. Sie verleiht der klar erzählten, makabren Kerngeschichte nur Zusatzspannung.

Benjamins Musik wirkt passend, da sie selbst polystilistisch die Verzahnung diverser Musikepochen betreibt. Man mag zwar einwenden, dass die "Klangschläge" der Blechbläser an Stellen, an denen die Bühnendramatik Höhepunkte erreicht, als wuchtige Verdopplung etwas plakativ wirken. In Summe beeindruckt jedoch, wie virtuos Benjamin für atmosphärische Dichte sorgt und die Geschichte in Bewegung hält.

In seinem zugänglichen Stilkosmos ist Platz für abstrakte lyrische Kantilenen wie auch für ruppige Entladungen. Bei aller klanglichen Opulenz können sich die Stimmen jedoch elegant auf die instrumentalen Strukturen legen. Und: Man hört, wie explizit Benjamin auf die Stimme der Darsteller hinkomponiert hat.

Barbara Hannigan brillierte mit einer so klaren wie sicheren und klangedlen Performance. Ansatzlos getroffene Hochtöne, dramatisches Aufladen ohne jegliche Mühe und eine Lyrik, die Benjamins melodische Ideen vergoldet, ergeben edelste Momente. Wobei auch szenisch das fulminante Porträt einer unterdrückten Frau zu erleben ist, die über das Ausleben ihres Begehrens zur Freiheit als Individuum zu gelangen sucht. Nicht weniger kultiviert Lestyn Davies (als Geliebter und erster Engel); profund auch Audun Iverson (als rachesüchtiger Landbesitzer) und der Rest des Ensembles.

Schließlich Dirigent Kent Nagano und das Klagforum Wien: Diese so präzise wie vielschichtig-intensive orchestrale Umsetzung verlieh den suggestiven Strukturen zusätzlich auch große Kompaktheit und Vitalität. Applaus für alle. (Ljubiša Tošic, DER STANDARD, 17.6.2013)