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"Sweeney Todd - Barbier des Grauens aus der Fleet Street" an der Wiener Volksoper.

Foto: APA/HARALD SCHNEIDER

Wien - Reichlich Räderwerk dreht sich in Sweeney Todd, der ersten Premiere in der neuen Volksopern-Spielzeit. Inspiriert von der perfekten Tötungsmaschinerie des blutrünstigen Titelhelden, einem rachsüchtigen Barbier, siedelt Bühnenbildner Mathias Fischer-Dieskau die Geschehnisse in einem die Frühzeit der Schwerindustrie assoziierenden Maschinenraum an - passend zur Entstehungszeit der Figur des Sweeney Todd in einem englischen Grusel-Fortsetzungsroman Mitte des 19. Jahrhunderts.

Abgesehen von einigen blutroten Schnittstellen ist alles eng und düster: Komponist Stephen Sondheim bezeichnet sein Werk ja als "dunkle Operette" , als "Musical-Thriller" preist es die Volksoper an. Zwischen den XL-Zahnrädern schnurrt auch die Inszenierung von Matthias Davids ab wie geschmiert.

Die Vereinigten Bühnen Wien haben in den vergangenen Jahrzehnten Standards gesetzt, was die Qualität von Musicalinszenierungen anbelangt (leider nicht immer in der Auswahl der Werke), und diese Inszenierung reicht in weiten Teilen an diese Standards heran. Die Kostüme (Susanne Hubrich) und das Licht (Fabrice Kebour) sind stimmungsvoll, die Chorszenen so präzis wie lebendig gestellt. Da hat sich das Musiktheater Linz mit Davids einen Könner als Leiter des Musicals geangelt.

Auch im Orchestergraben wirkt ein Mann mit Klasse: Joseph R. Olefirowicz, am Haus zuletzt mit Leonard Bernsteins Candide zu erleben, animiert das Volksopernorchester zu Schwung und Swing und geht auch in die Vollen, wenn's nötig ist - was ohne weiteres passieren darf, da ja mit Verstärkung gesungen wird. Immer wieder beeindruckend, wie unterhaltsam und reich Sondheims Musik ist. Der wohl vielseitigste lebende Musicalkomponist kann alles: Jazz, gemäßigte Moderne und den klassischen Broadway-Sound samt Herzschmerz- und Ohrwurmqualitäten sowieso. Dagegen ist Sylvester Levay fast ein Hansi Hinterseer.

Die Besetzung ist durchwachsen: präzise, originelle Charakterzeichnungen neben schwammiger Bühnenroutine. Die wundervolle Dagmar Hellberg ist als umtriebige Mrs. Lovett das komödiantische Zentrum dieser (deutschsprachigen) Produktion, Ensemblefaktotum Morten Frank Larsen hinterlässt in der Titelpartie einen zwiespältigeren Eindruck: Er darf zwar - der Traum eines jeden Baritons - einem Tenor beim Singen des hohen C die Kehle durchschneiden und sogar seinen eigenen Chef abmurksen. Aber er knödelt beim Sprechen und Singen, bei all seinem Tun schimmert Oper und Operette durch - wie auch bei Anita Götz als glockenhelle Johanna.

Alexander Pinderak ist als Anthony Hope deren schönstimmiger Liebhaber, Direktor Robert Meyer gibt den Richter Turpin und peitscht sich dafür auch gleich selbst aus. So genial überdreht wie seine Frisur: Vincent Schirrmacher als Pirelli; das dreckstarrende Juwel dieser Produktion: Patricia Nessy als krähende Bettlerin. Tom Schimon bewegt als Tobias Ragg die Herzen, so wie auch der 83-jährige Sondheim, als er zum gefeierten Ensemble tritt und den lautstarken Beifall entgegennimmt. (Stefan Ender, DER STANDARD, 16.9.2013)