Vaudeville-Figuren: Harald Wurmsdobler als Feuerwehrmann stellt Ringer Schmitz (Tomasz Pietak), Herrn Biedermann (Stephen Chaundy) und Kellner Eisenring (Till von Orlowsky) zur Rede.

Foto: Armin Bardel

Wien - Herr Biedermann hat reichlich Kohle - sie quillt aus der Feuerstelle seines meterhohen metallenen Kamins in sein Wohnzimmer und flutet dieses partiell. Und der vermögende Haarwasserfabrikant hat auch Angst. Angst vor den Brandstiftern, die in seiner Umgebung umgehen und schon etliche Häuser abgefackelt haben.

Im Semper-Depot zeigt die Neue Oper Wien Simon Voseceks zweiaktige Oper Biedermann und die Brandstifter, nach dem gleichnamigen Bühnenklassiker von Max Frisch. Der gebürtige Prager hat das Werk von 2005 bis 2007 als Student an der Wiener Musikuni komponiert und dafür 2008 den Förderpreis des Kunstministeriums erhalten - Jurymitglied war damals Walter Kobéra. Nun steht Kobéra, Langzeitintendant der Neuen Oper Wien, am Dirigentenpult des amadeus ensemble wien und leitet die Uraufführung einer teilweise überarbeiteten Fassung.

Musikalischer Frisch

Es habe ihn gewundert, erzählt Vosecek im Einführungsgespräch, dass niemand vor ihm auf die Idee gekommen sei, Frischs Bühnenstück zu vertonen - es sei "so musikalisch aufgebaut". Und dass er dann auch die Rechte dafür bekommen habe, wäre die fast noch größere Überraschung gewesen. Er habe kaum Kürzungen vornehmen müssen und lediglich die moralisierende Komponente des Stücks zurückgenommen und das von Frisch später hinzugefügte Nachspiel eliminiert. Das kommentierende Element des Werks, der Chor der Feuerwehrleute, ist aber natürlich noch da: Vosecek lässt die drei Männer (Harald Wurmsdobler, Christian Kotsis, Frédéric Pfalzgraf) in handfesten Dur- und Molldreiklängen vor dem drohenden Unheil warnen.

Ansonsten komponiert Vosecek atonal, das Tonmaterial ist von lichter Faktur und meist von feingliedriger, tänzerischer Beweglichkeit. Gern zeigt der Mittdreißiger die klingenden Dinge in einem zarten Zerrspiegel der Groteske - verfremdete Blasmusikeinsprengsel finden sich etwa in der Schilderung des Ringers Schmitz. Das Grauen ist bei Vosecek hell: Hohe, lang gehaltene, sich reibende Töne der Violinen, assistiert von den Klarinetten, erinnern an gleißende, schmerzende Lichtstrahlen. Die Vielfältigkeit und die selbstverständliche Präzision von Voseceks Kompositionskunst beeindrucken: Die 90-minütige Oper hat, wie ihre literarische Grundlage, das Zeug zum Klassiker.

Von der klassischen Eleganz der 1920er-Jahre auch die Kostüme (Nele Ellegiers), beeindruckend mächtig sowie harmonisch sich in Sempers Architektursprache einfügend das Bühnenbild (Dominique Weisbauer), präzise die Zeichnung der Charaktere (Inszenierung: Béatrice Lachaussée): Frauen an die Bühnenmacht!

Von ängstlichem Snobismus Biedermann (Stephen Chaundy) und seine exaltierte Frau (Barbara Zamek-Gliszczynska), von tiefenentspannter, genießerischer Unverfrorenheit Ringer Schmitz (Tomasz Pietak) und Kellner Eisenring (Till von Orlowsky), die Lachaussée als Vaudeville-Figuren zeigt. Dazwischen aufgerieben die Hauskraft Anna (Katharina Tschakert). Die soliden künstlerischen Leistungen von Sängern und Musikern wie auch die außergewöhnlichen des Komponisten werden begeistert bejubelt. Eine ganz feine Sache. (Stefan Ender, DER STANDARD, 19.9.2013)