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Don Carlo

Oper in vier Akten
Libretto von Camille Du Locle nach dem Drama Don Karlos von Friedrich Schiller
Musik von Giuseppe Verdi

in italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Aufführungsdauer: ca. 3h 25' (eine Pause)

Koproduktion mit dem Nationaltheater Mannheim

Premiere im Opernhaus Dortmund am 29. September 2013




Theater Dortmund
(Homepage)
Freiheit für Flandern?

Von Thomas Molke / Fotos von Thomas M. Jauk (Stage Pictures)

Nachdem bereits in der letzten Spielzeit in Hagen und Gelsenkirchen das diesjährige Verdi-Jubiläum mit Don Carlo eingeleitet worden ist, widmet man sich in Dortmund nun als dritte NRW-Bühne einer Neuinszenierung dieser wohl berühmtesten Vertonung einer literarischen Vorlage von Friedrich Schiller. Und obwohl Verdi sich fast 20 Jahre mit diesem Werk beschäftigt und insgesamt sieben Versionen in französischer und italienischer Sprache geschaffen hat, entscheidet man sich auch in Dortmund für die vieraktige Mailänder Fassung, die auf den sogenannten Fontainebleau-Akt der Pariser Urfassung verzichtet, den Verdi erst 1886 für die fünfaktige Modena-Fassung wieder aufgriff. Ließ sich bereits beim Vergleich der Hagener und der Gelsenkirchener Produktion konstatieren, dass der Regie-Ansatz kaum unterschiedlicher ausfallen könne (siehe auch unsere Rezensionen aus Hagen und Gelsenkirchen), so lässt sich auch Jens-Daniel Herzogs Inszenierung bescheinigen, dass er wiederum einen ganz anderen Zugang zu dem Werk findet, der auch die Beschäftigung mit der dritten Produktion des gleichen Stückes in relativ kurzem Zeitraum absolut spannend macht.

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Posa (Gerardo Garciacano, links) will mit Carlos (Luc Robert, rechts) Flandern befreien.

In den Kostümen von Mathis Neidhardt treffen Gegenwart und Vergangenheit aufeinander, was zum einen zeigt, dass Herzog die Tragödie als zeitloses Geschichtsdrama betrachtet, zum anderen aber auch Schillers Vorlage Rechnung trägt, in der der Marquis von Posa als eine Art Zeitreisender fungiert, der am fundamentalistisch-katholischen, von der Heiligen Inquisition bestimmten spanischen Hof des 16. Jahrhunderts gewissermaßen als Botschafter der 200 Jahre später stattfindenden Aufklärung auftritt. So erscheinen Philipp, Elisabeth und Carlos in historisierenden Kostümen, die an die historischen Vorbilder erinnern, wie sie auf zahlreichen Gemälden überliefert sind, und werden mit Posa, Eboli, dem Großinquisitor, den flandrischen Gesandten und dem spanischen Hof in modernen Kostümen konfrontiert. Das Militär, das Philipps Herrschaft stützt, könnte optisch nahezu jeder gegenwärtigen Diktatur entstammen. Den gleichen Ansatz findet man auch im Bühnenbild, für das ebenfalls Neidhardt verantwortlich zeichnet. An den hochragenden Bühnenelementen erinnern nur die rechteckigen kalksteinfarbigen Fassaden an den Glanz des Escorial in einer längst vergangenen Zeit, während hinter den hohen Bögen die Wände und Türen unverputzt sind.

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Elisabeth (Susanne Braunsteffer, vorne links) mit Eboli (Katharina Peetz, rechts hinten) und den Hofdamen (Damenchor)

Bezüglich der Handlung nimmt Herzog einige Eingriffe vor, die nicht bei allen Zuschauern auf Zustimmung stoßen, so dass sich unter die Beifallsbekundung für die Regie am Ende auch einige Buhrufe mischen. Zu nennen ist hier die Fokussierung auf die Figur des Posa. So lässt Herzog ihn als stummen Beobachter sowohl in der großen Arie des Königs im dritten Akt "Ella giammai m'amò" auf der Bühne anwesend sein, während Philipp beklagt, dass Elisabeth ihn nie geliebt habe, als auch während der folgenden Unterredung zwischen Philipp und dem Großinquisitor, was Posas Entschluss, sich für Carlos opfern zu müssen, wenn er noch etwas für das geknechtete Flandern erreichen will, eine ganz neue Bedeutung gibt. Auch stirbt Posa nicht in Carlos' Armen im Kerker, sondern wird von den Soldaten des Königs abgeführt. Sieht man von kleineren Unstimmigkeiten im Text ab - wieso sollte Posa beispielsweise seine schwindenden Kräfte beklagen, wenn er noch gar nicht von der todbringenden Kugel getroffen worden ist? - gewinnt seine große Abschiedsarie "Io morrò ma lieto in core", in der er bekennt, sich aus Überzeugung für Carlos geopfert zu haben, dadurch ebenfalls ganz neuen Zündstoff. Am Ende ist es dann auch nicht der Geist von Karl V., der den Infanten aus den Fängen der Inquisition befreit und Carlos ins Kloster zieht, sondern der tote Posa, der mit den Worten Karls den Großinquisitor samt Philipp und seinen Häschern von der Bühne flüchten lässt, so dass Carlos allein auf der Bühne zurückbleibt, die gelbe Flagge in der Hand, die für Flanderns Freiheit steht. Sollte Carlo wirklich noch Flanderns Retter werden?

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Posa (Gerardo Garciacano, rechts) fordert von Philipp (Wen Wei Zhang) Freiheit für Flandern.

Lassen sich diese Änderungen mit dem für das Stück ungewöhnlich versöhnlichen Schluss durchaus noch rechtfertigen, bleiben andere Regie-Einfälle weniger nachvollziehbar. Dass beispielsweise die Hofdamen im zweiten Bild des ersten Aktes, wenn sie sich gemäß Libretto in einem Garten vor den Toren des Klosters die Zeit vertreiben, Liegestühle und ein kleine Plastikschwimmbecken auf der Bühne aufbauen, mag noch akzeptabel sein. Wieso sie aber permanent den Pagen Tebaldo malträtieren müssen, wirkt absolut unmotiviert, zumal auch Ebolis Schleiererzählung "Nei giardin del bello", die sie zur Unterhaltung der Damen vorträgt, nichts mit den Qualen zu tun hat, die Tebaldo während dieser Arie erleiden muss. Ebenso problematisch gestaltet sich das Autodafé im zweiten Bild des zweiten Aktes. Hier werden keine Ketzer öffentlich hingerichtet, sondern zwölf Generäle dazu gezwungen, sich nachdem sie wie in Abendmahltradition mit Philipp das Brot gebrochen haben, mit einer Waffe selbst zu richten. Da verpufft auch das Totenlied der Stimme vom Himmel, wenn diese nämlich in grauem Anzug vor die Toten tritt und sich das Gesicht mit blutroter Farbe beschmiert.

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Der Großinquisitor (Christian Sist, links) fordert von Philipp (Wan Wei Zhang, rechts) Posas (Gerardo Garciacano, Mitte) Kopf.

Musikalisch hat der Abend einiges zu bieten. Wen Wei Zhang begeistert als Philipp mit fulminantem Bass. Ein Glanzpunkt des Abends ist natürlich seine große Arie zu Beginn des dritten Aktes "Ella giammai m'amò", in die er die ganze Verzweiflung eines einsamen Mannes legt, der an seinen Aufgaben als Herrscher zu zerbrechen droht. Christian Sist hält als Großinquisitor im anschließenden Duett mit gleicher stimmlicher Qualität dagegen, so dass es durchaus ein spannendes Erlebnis sein dürfte, die beiden Sänger in vertauschten Rollen zu erleben. Luc Robert liefert als Carlos mit durchschlagendem Tenor ein absolut gelungenes Deutschland-Debüt ab. Mit scheinbarer Leichtigkeit schraubt er seine Stimme in seiner Auftrittsarie "Io l'ho perduta!", in der er den Verlust der geliebten Elisabeth beklagt, in schwindelerregende Höhen empor. Susanne Braunsteffer begeistert als Elisabeth mit dramatischem Sopran und fein fokussierten Höhen. Ihre große Arie im vierten Akt "Tu che le vanità", in der sie Carlos vor seiner Abreise nach Flandern erwartet, wird in ihrer Interpretation dem Höhepunktcharakter des Stückes mehr als gerecht. Absolut innig gelingen auch ihre Duette mit Robert.

Gerardo Garciacano lässt als Posa mit markantem Bariton aufhorchen. Sowohl das große Duett mit Carlos "Dio, che nell' alma infondere amor", in dem sich die beiden ewige Treue schwören, geht musikalisch genauso unter die Haut wie seine Abschiedsarie "Io morrò ma lieto in core". Auch die große Szene mit Philipp am Ende des ersten Aktes, wenn Posa zum Vertrauten des Königs avanciert, kann als ein weiterer Glanzpunkt des Abends bezeichnet werden. Julia Amos als Tebaldo, Karl-Heinz Lehner als Mönch, Anke Briegel als Stimme vom Himmel und John Zuckerman als Graf von Lerma zeigen eine solide Leistung. Nur bei Katharina Peetz als Prinzessin Eboli sind einige Abstriche zu machen. Die Übergänge zwischen den dramatischen Höhen und der Mittellage scheinen ihr Probleme zu bereiten und lassen die Dramatik im großen Terzett mit Carlos und Posa im zweiten Akt, wenn sie für Carlos' Zurückweisung Rache nehmen will, verpuffen. Auch die große Arie "O don fatale" im dritten Akt, wenn sie vor ihrer Verbannung ins Kloster beschließt, Carlos aus dem Kerker zu befreien, scheint nicht ganz ihrer Stimmlage zu entsprechen, so dass sie in den Höhen doch recht angestrengt klingt.

Großartige Arbeit hat wieder einmal Granville Walker geleistet, der den Opern- und Extrachor stimmlich hervorragend für diese anspruchsvolle Aufgabe vorbereitet hat. Auch darstellerisch hat Herzog die Massenszenen mit einer geschickten Personenführung in Szene gesetzt. Die Dortmunder Philharmoniker lassen unter der Leitung des neuen Generalmusikdirektors Gabriel Feltz einen satten Verdi-Sound aus dem Orchestergraben erklingen, der die Dramatik des Stückes sauber herausarbeitet. So gibt es für die musikalische Seite an diesem Abend einhelligen Beifall.

FAZIT

Auch wenn einige Regie-Einfälle Herzogs diskutabel sind, gelingt alles in allem eine packende Umsetzung dieser großartigen Oper, die man schon wegen der wunderbaren Musik keinesfalls verpassen sollte.

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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Gabriel Feltz

Inszenierung
Jens-Daniel Herzog

Mitarbeit Regie
Susann Kalauka

Bühne und Kostüme
Mathis Neidhardt

Mitarbeit Kostüme
Verena Polkowski

Choreinstudierung
Granville Walker

Licht
Ralph Jürgens

Dramaturgie
Georg Holzer

 

Opern- und Extrachor des
Theaters Dortmund

Statisterie des
Theaters Dortmund

Dortmunder Philharmoniker

 

Solisten

*Premierenbesetzung

Philipp II, König von Spanien
*Wen Wei Zhang /
Christian Sist

Elisabeth von Valois, seine Gemahlin
Christiane Kohl /
*Susanne Braunsteffer

Don Carlos, Infant von Spanien
Luc Robert

Prinzessin Eboli, Dame der Königin
Katharina Peetz

Rodrigo, Marquis von Posa
*Gerardo Garciacano /
Sangmin Lee

Graf von Lerma
John Zuckerman

Tebaldo, ein Page
Julia Amos

Der Großinquisitor
*Christian Sist /
Wen Wei Zhang

Ein Mönch
*Karl-Heinz Lehner /
Carl Kaiser

Eine Stimme vom Himmel
*Anke Briegel /
Maike Raschke

6 Flandrische Gesandte
Jacoub Eisa
Robin Grunwald
Christian Henneberg
Paul Jadach
Bruno Vargas
Burkhard Zass


Weitere
Informationen

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Theater Dortmund
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Da capo al Fine

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