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Anatevka - Fiddler on the Roof

Musical in zwei Akten mit einem Prolog
Gesangstexte von Sheldon Harnick
Buch von Joseph Stein basierend auf den Geschichten von Scholem Alejchem
Musik von Jerry Bock

in deutscher Sprache

Aufführungsdauer: ca. 3h (eine Pause)

Premiere im Opernhaus Dortmund am 19. Oktober 2013




Theater Dortmund
(Homepage)
Über den Dächern von Anatevka

Von Thomas Molke / Fotos von Thomas M. Jauk (Stage Pictures)

Als Jerry Bocks Fiddler on the Roof am 22. September 1964 seine Uraufführung am Broadway erlebte, hatte wohl zunächst keiner mit dem überwältigenden Erfolg dieses Werkes gerechnet, das mit dem Antisemitismus und der Vertreibung der russischen Juden im beginnenden 20. Jahrhundert einen für das Musical der 60er Jahre absolut untypisches Thema zum Inhalt hatte. Dennoch war es wohl gerade der ungewöhnliche musikalische Mix aus jüdischer Folklore mit Klezmer und eingängigen Melodien wie dem berühmten "Wenn ich einmal reich wär" auf der einen Seite und die liebevolle Zeichnung der Charaktere auf der anderen Seite, die dem Musical zu der damals längsten Laufzeit am Broadway verhalfen und dazu führten, dass es auch heute noch zu den meistgespielten Werken dieser Gattung zählt. Ob der in der letzten Spielzeit zum Kammersänger ernannte Hannes Brock in Dortmund den Ausschlag gegeben hat, dieses Stück jetzt auf den Spielplan zu setzen, mag nur gemutmaßt werden. Jedenfalls handelt es sich bei dem Milchmann Tevje um eine Paraderolle, die Brock in seiner langjährigen Karriere als Charakterdarsteller noch fehlte.

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Yente (Petra Einhoff, links) preist Golde (Ilse Winkler, rechts) den Fleischer Lazar Wolf als gute Partie für Tzeitel an.

Johannes Schmid erzählt in seiner Inszenierung die bewegende Geschichte einer jüdischen Dorfgemeinschaft, die aus dem kleinen russischen Städtchen Anatevka infolge der Pogrome von 1905 vertrieben wird, einfühlsam und mit großer Liebe zu den Charakteren, wobei die Kostüme von Stefanie Bruhn sich an der geschilderten Zeit orientieren und nur das Bühnenbild von Michael S. Kraus und Daniel Unger recht abstrakt gehalten ist. Vor einem riesigen Prospekt im Hintergrund, auf den eine pittoreske Landschaft gemalt ist, die wohl erklären mag, warum die Dorfbewohner an ihrem doch recht kargen Leben in dem "Schtetl" festhalten, ist ein Teil der Bühne als schräges Dach emporgefahren, auf dem der Fiedler (Maurice Maurer) zu Beginn seine Melodie ertönen lässt. Vor diesem Dach sieht man ebenfalls zwei Erhebungen auf der rechten und linken Seite, die ebenfalls Dächer stilisieren könnten, so dass der Eindruck entsteht, dass sich nicht nur der Geiger auf dem Dach befindet, sondern dass sich jeder im Dorf durch das Festhalten an der Tradition als Flucht aus eines realen Lebens, das von Repressalien durch die russische Gesellschaft geprägt ist, quasi über den Dächern des Dorfes einer Illusion hingibt. Dass dieses Traumgebilde jäh zerstört wird, macht die Szene auf Tzeitels und Mottels Hochzeit deutlich. Unter dem Dach wird eine Holzwand sichtbar - sind die Bewohner zur Feier der Hochzeit in die Realität hinabgestiegen? -, die von russischen Soldaten eingerissen wird. Mit grellen, kalten Scheinwerfern, die nach der Verwüstung der Hochzeit in den Zuschauersaal scheinen, wird das Publikum in die Pause entlassen.

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Tevje (Hannes Brock) im Zwiegespräch mit seinem Gott

Nach der Pause ist nicht nur das Dach im Hintergrund verschwunden, sondern auch die Erhebungen davor sind nicht mehr sichtbar, und der ganze restliche Teil spielt auf einer nahezu leeren Bühne, die nur ab und an durch wenige Requisiten wie eine Bank, hochgewachsene Bäume, die aus dem Schnürboden herabgelassen werden, oder eine einsame Bahnhofstation angereichert wird. Ist man nun auf dem (traurigen) Boden der Realität angekommen, der am Ende zur Vertreibung aus dem Dorf führen wird? Alles, was geblieben ist, ist die pittoreske aufgemalte Landschaft im Hintergrund. Doch wenn die Dorfbewohner nach und nach Anatevka verlassen - um anzudeuten, dass sie sich in alle Welt verstreuen, lässt Schmid sie größtenteils in den Publikumssaal hinabsteigen -, versinkt auch dieses Bild und lässt nur einen leeren weißen Prospekt zurück. Der Fiedler spielt noch einmal seine Melodie vom Anfang und verstummt; kein großes musikalisches Finale, was an dieser Stelle auch äußerst unpassend gewesen wäre.

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Noch geht es auf der Hochzeit von Tzeitel (Ileana Mateescu, im Hintergrund links) und Mottel (Lucian Krasznec, 2. von links im Hintergrund) recht ausgelassen zu (im Vordergrund: Tanzensemble, hinten links: Tevje (Hannes Brock), auf dem Dach: der Geiger (Maurice Maurer)).

Dabei betont Schmid in seiner Inszenierung auch Momente der Hoffnung. Als besonders gelungen ist hier die Szene im Wirtshaus zu nennen, in der Tevje mit dem Fleischer Lazar die geplante Verlobung mit Tevjes Tochter Tzeitel feiert. Wie hier der ausgelassene Tanz der Juden, "Zum Wohl", zunächst von den Russen unterbrochen wird, ein russischer Vorsänger das Lied zu einer eigenen russisch angehauchten Melodie abwandelt und dann nach anfänglicher Irritation Russen und Juden in einem gemeinsamen Tanz erkennen, dass sie eigentlich gar nicht so verschieden sind, ist szenisch und musikalisch großartig umgesetzt. Auch "Tevjes Traum", in dem Tevje durch einen fingierten Traum seine Frau Golde davon überzeugt, dass Tzeitel nicht den Fleischer, sondern den armen Schneider Mottel heiraten soll, wird mit großem Witz in Szene gesetzt. Zahlreiche Geister umschwirren hier Goldes und Tevjes Ehebett, während Ileana Mateescu als Geist der verstorbenen Oma Tzeitel scheinbar aus ihrem Grab steigt und die Hochzeit mit Mottel anordnet. Dass die Darstellerin der verstorbenen Oma auch gleichzeitig die zu verheiratende Tochter ist, birgt eine gewisse Doppelbödigkeit. Wenn dann Christiane Groenefeld als wahnsinniger Geist der verstorbenen Fruma-Sara über die Bühne schwebt und letztendlich Golde von der Hochzeit zwischen Tzeitel und Mottel überzeugt, wird deutlich, welcher Charme und Witz bei aller Melancholie des Stückes in der Vorlage liegt.

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Tevje (Hannes Brock) und Golde (Ilse Winkler) müssen Anatevka schweren Herzens verlassen.

Um die Vielschichtigkeit dieses Stückes herauszuarbeiten, bedarf es eines guten Ensembles, das zum einen die komödiantischen Momente nicht in flache Gags abdriften lässt, zum anderen aber auch einen Wechsel zu den melancholischen Szenen ohne Brüche glaubhaft darstellen muss. Dies gelingt in Dortmund ohne Ausnahme. Der von Granville Walker einstudierte Chor macht direkt bei dem rhythmisch anspruchsvollen Auftrittslied "Tradition" die große Spielfreude und die gesangliche Homogenität deutlich, auch wenn in der tänzerischen Choreographie noch kleine, vielleicht der Premieren-Nervosität geschuldete Ungenauigkeiten zu beobachten sind. Petra Einhoff zeichnet mit schneidender Stimme eine exaltierte Heiratsvermittlerin Yente, die von Schmid in der Personenregie als teilweise recht missgünstige Frau gezeichnet wird. Lucian Krasznec interpretiert den Schneider Mottel liebevoll und herrlich unbeholfen, findet aber im entscheidenden Moment den Mut, Tevje Paroli zu bieten und erfolgreich um Tzeitels Hand anzuhalten. Ileana Mateescu beweist ihre Wandlungsfähigkeit vor allem in der Doppelrolle als brave Tochter Tzeitel und leicht verrückt wirkender Geist der Oma Tzeitel. Auch Tamara Weimerich und Anke Briegel, sowie Morgan Moody und Markus Schneider überzeugen als jüngere Töchter Hodel und Chava bzw. deren zukünftige Partner Perchik und Fedja.

Ein regelrechtes Traumpaar geben Ilse Winkler und Hannes Brock als Golde und Tevje ab. Winkler spielt die recht barsche Art der Mutter, die das heimliche Familienoberhaupt darstellt, herrlich aus, und Brock versteht es, mit viel Fantasie und Witz sowohl im Gespräch mit seinem Gott, als auch mit seiner Frau die eigenen Standpunkte geschickt zu vertreten und wortgewandt durchzusetzen. Wie er sich in hartem innerem Kampf dazu durchringt, Mottel und Perchik für seine Töchter Tzeitel und Hodel zu akzeptieren, beweist, welch darstellerische Tiefe Brock dem Milchmann zu geben vermag. Dass er seiner Tochter Chava die Verbindung zu dem Russen Fedja nicht verzeihen kann, schmerzt, aber bleibt in Brocks Darstellung absolut nachvollziehbar. Den wohl bewegendsten Moment erreichten Brock und Winkler in dem wunderbaren Duett "Ist es Liebe?", in dem Tevje seine Frau nach 25 Jahren fragt, warum sie beide eigentlich zusammen sind. Großartig ist hier vor allem Winkler, die diese Frage zunächst als absolut läppisch abtut, sich aber am Ende doch die Gefühle für ihren Mann eingesteht. Philipp Armbruster rundet mit den flott aufspielenden Dortmunder Philharmonikern den Abend wunderbar ab, so dass es am Ende lang anhaltenden und begeisterten Applaus für alle Beteiligten wird.

FAZIT

Diese Produktion dürfte sich in dieser Besetzung und Inszenierung zu einem Kassenschlager der Spielzeit entwickeln.

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Produktionsteam

Musikalische Leitung
Philipp Armbruster

Inszenierung
Johannes Schmid

Bühne
Michael S. Kraus
Daniel Unger

Kostüme
Stefanie Bruhn

Video
Jana Schatz

Choreographie
Michael Schmieder

Choreinstudierung
Granville Walker

Licht
Ralph Jürgens

Dramaturgie
Wiebke Hetmanek

 

Opernchor und Statisterie des
Theaters Dortmund

Dortmunder Philharmoniker

 

Solisten

*Premierenbesetzung

Tevje, Milchmann
Ks Hannes Brock

Golde, seine Frau
Ilse Winkler

Tzeitel, seine Tochter / Oma Tzeitel
Ileana Mateescu

Hodel, seine Tochter
Tamara Weimerich

Chava, seine Tochter
Anke Briegel

Shprintze, seine Tochter
*Anna Katharina Schulz /
Maret Zeino-Mahmalat

Bielke, seine Tochter
*Dana González /
Leah-Sophie Grün

Mottel, Schneider
Lucian Krasznec

Perchik, Student
Morgan Moody

Fedja, ein junger Russe
Markus Schneider

Yente, Heiratsvermittlerin
Petra Einhoff

Lazar Wolf, Fleischer
Thomas Günzler

Wachtmeister
Florian Schmidt-Gahlen

Mordcha, Gastwirt
Savo Pugel

Mendel, Sohn des Rabbi
Thomas Warschun

Avram, Buchhändler
Carl Kaiser

Rabbi
Georg Kirketerp

Yussel
Johannes Knecht

Russischer Vorsänger / Moshe
*Blazej Grek /
Primoz Vidovic

Mirila / Fruma-Sara
Christiane Groenefeld

Schandel, Mottels Mutter
Renate Höhne

Geiger
*Maurice Maurer /
Albrecht Maurer

Tanzensemble
Shaw Coleman
Bernardo Fallas
Olaf Reinecke
Raphael Spiegel
Hayato Yamaguchi
Victor Alfonso Zapata Cardenas


Weitere
Informationen

erhalten Sie vom
Theater Dortmund
(Homepage)



Da capo al Fine

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