„Wozzeck“ in Darmstadt : Zwei Mordsmusiken für Georg Büchner
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Der ewige Außenseiter: Ralf Lukas als Wozzeck in der Oper von Alban Berg Bild: Barbara Aumüller
Musikoffensive im Büchner-Jahr: Das Staatstheater Darmstadt zeigt die „Wozzeck“-Opern von Alban Berg und Manfred Gurlitt an einem Abend. Der Doppelschlag überzeugt auf ganzer Linie.
Das Darmstädter Theater, in der deutschen Bühnenklassifikation ein mittleres Haus, war immer schon eine Bühne mit höherem Anspruch. Man braucht gar nicht in die zwanziger Jahre zurückzublicken, als der Dirigent Karl Böhm und der Regisseur Carl Ebert zum Ensemble gehörten. Während der ganzen Nachkriegszeit strahlten von Darmstadt, der Stadt der Künste, Impulse auf die gesamte deutsche Theaterlandschaft aus. Im Provisorium der Orangerie sorgten Regisseur Harro Dicks und die Dirigenten Hans Zanotelli und Hans Drewanz immer wieder für überraschende Wiederentdeckungen und Novitäten, im Schauspiel Intendant Gustav Rudolf Sellner mit seinem Bühnenbildner Franz Mertz für eine neue Ästhetik des Theaterspielens überhaupt: Das gesprochene Wort als Handlungsträger wurde wieder in seine entscheidende Bedeutung eingesetzt.
Danach haben die Intendanten Gerhard F. Hering und Kurt Horres die Linie konsequent fortgeschrieben. Seit 2004 knüpft John Dew mit wechselndem Erfolg als Intendant an diese große Tradition an - 2014 wird er die Leitung des Staatstheaters an Karsten Wiegand übergeben. Zuletzt würdigte Dew mit einer umfangreichen Orff-Reihe den Komponisten der „Carmina Burana“ und zeigte damit, dass Carl Orff für die Revitalisierung des Theaters eine nicht ganz unwichtige Rolle spielte.
Zum Geburtstag zwei Ständchen
Jetzt galt es, Georg Büchner zu dessen zweihundertstem Geburtstag zu ehren. Was böte sich da für einen Opernmacher an? Natürlich eines der beiden Bühnenwerke, die nach Büchners Dramenfragment „Woyzeck“ entstanden sind: Alban Bergs epochales Meisterwerk, aber auch der weniger bekannte „Wozzeck“ von Manfred Gurlitt. Viele Opernbühnen fühlen sich aus der Verpflichtung für die Moderne schon entbunden, wenn sie den längst zum Klassiker avancierten „Wozzeck“ von Berg auf den Spielplan setzen. In Darmstadt jedoch wagte John Dew den doppelten „Wozzeck“: beide an einem Abend, hintereinander. Da die zwei Werke zeitlich nicht allzu lang geraten sind, ergab sich insgesamt nur eine gut dreieinviertelstündige Spielzeitdauer, die vom aufmerksamen und hochinteressierten Darmstädter Publikum mit langem, sogar enthusiasmiertem Beifall aufgenommen wurde. In Darmstadt lernt man gern immer noch etwas dazu!
Ein Vergleich zwischen den beiden „Wozzeck“-Vertonungen ist interessant - und überflüssig zugleich. Beide basieren auf derselben Textquelle, entwickelten sich jedoch, fast zur gleichen Zeit komponiert (in den frühen zwanziger Jahren), zu eigenständigen musiktheatralischen Kunstwerken. Berg setzte sein großes Orchester „symphonisch“ ein, Büchners Szenen werden durch großangelegte Zwischenspiele verbunden. Gurlitts Orchester ist kleiner besetzt - wechselnde kammermusikalische Instrumentalkombinationen ergeben oft überraschende Klangreize. Und Gurlitt verbindet die achtzehn Szenen, die er aus Büchners Vorlage filterte, bewusst nicht durch symphonische Zwischenspiele. Berg denkt in größeren formalen Zusammenhängen, Gurlitts Fassung entspricht dafür mehr der aufgebrochenen Form von Büchners Drama. Sie wirkt daher für unser Empfinden heute moderner, aktueller und weniger opernhaft als Berg.