Für
Geist und Seele
Von Bernd
Stopka / Fotos von Wilfried Hösl
Am 21.
November 1963 hob sich im Münchner Nationaltheater der
Vorhang für die erste Opernaufführung nach dem
Wiederaufbau des im Krieg zerstörten traditionsreichen
Hauses. Die Premiere der Frau ohne
Schatten von Richard Strauss fand in
geschlossener Gesellschaft vor geladenen Gästen statt.
(Für die erste öffentliche und prunkvolle Premiere
zwei Tage später hatte man Wagners Meistersinger
ausgewählt). Auf den Tag genau 50 Jahre später feiert
München nun das Jubiläum der Wiedereröffnung ebenfalls
mit der Frau ohne Schatten.
Aber
es war nicht nur das Jubiläum, das eine besondere
Spannung hervorrief und auch nicht der im nächsten
Jahr zu feiernde 150. Geburtstag des Komponisten. Zu
einem besonderen Teil war es sicher das erlesene
Sängerensemble, zu einem anderen Teil auch die Frage,
wie Regisseur Krzysztof Warlikowski sich diesem Werk
nähert, nachdem er hier mit einem viel beachteten Eugen Onegin Furore gemacht hatte. Aber
vor allem war es die Vorfreude auf das erste
Opernpremierendirigat von Kirill Petrenko in seiner
Funktion als neuer Generalmusikdirektor des Hauses,
der heuer für sein fantastisches Bayreuther Ring-Dirigat
außerordentlich
groß
gefeiert wurde.
Die
Erwartungen waren also hoch und wurden von Münchens
neuem Chef am Pult nicht nur erfüllt, sondern
übertroffen. Petrenko analysiert die Partitur und
lotet sie feinsinnig aus, erarbeitet Details, die
sich in höchster Präzision zu einem großen Ganzen
fügen und nicht um ihrer selbst willen in den
Vordergrund geholt werden, denn Petrenko verliert
sich nicht in einem pseudointellektuellen
Herumstochern in der Partitur wie so mancher seiner
Kollegen. Er hat auch keine Angst vor großen
Gefühlen, ungeheuren Ausbrüchen und sinnlichster
Zartheit. Die Kombination von alldem in erstaunlich
selbstverständlich wirkender Zusammensetzung lässt
ein gleichermaßen
intellektuelles wie leidenschaftliches Dirigat
entstehen. Musik zum Erstaunen und darin Baden,
Musik für Geist und Seele – gänzlich unmanieriert
mit natürlichen, fließenden, dynamischen Bewegungen
geformt.
Adrianne Pieczonka (Die
Kaiserin), Johan Botha (Der Kaiser), Statisterie
Schon
am Vormittag hängen in den Schaukästen am
Nationaltheater Fotos der Neuinszenierung. Auf den
ersten Blick sieht das einmal mehr nach unbequemem
Regietheater aus – doch am Abend auf der Bühne stellt
es sich ganz anders dar. Krzysztof Warlikowski erzählt
im Bühnenbild und in den Kostümen von Malgorzata
Szczesniak mit sowohl konkreten Aussagen als auch
vagen Assoziationsangeboten eine spannende, sich
überwiegend erschließende, in vielen Details
überzeugend ins Heute geholte Geschichte.
Die
Kaiserin befindet sich zur Behandlung und
psychischen Verarbeitung ihrer Kinderlosigkeit in
einem Luxussanatorium. Der Kaiser besucht sie, die
Amme begleitet sie. Den Färbersleuten gehört die
Wäscherei im Untergeschoss der Klinik. Barak kümmert
sich um seine drei Brüder, von denen zwei sozial
auffällig und einer geistig behindert ist (bewegend,
wie er diesen anzieht und auf die Beine stellt). Seine attraktive Frau
singt davon, dass sie „bezahlt und gekauft“ wurde,
was heutzutage die Assoziation einer aus dem Katalog
ausgesuchten Ehefrau hervorruft. Auf jeden Fall
arbeitet sie in der Wäscherei mit, fühlt sich aber
zu einem anderen Leben bestimmt. Dabei ist sie keine
wütende Furie, sondern eine verletzte Seele, eine
unglückliche, an ihrem Schicksal leidende Frau, die beim
Ehekrisengespräch auf der Bettkante entschuldigend
tröstend Barak die Hand auf das Knie legt „Dritthalb
Jahr bin ich dein Weib – und du hast keine
Frucht gewonnen aus mir und mich nicht gemacht zu
einer Mutter“. Das sind die gleichen Probleme wie
ein paar Etagen höher.
Wolfgang Koch
(Barak), Elena Pankratova
(Die Färberin)
Auf
der Bühne erscheinen die Ebenen nebeneinander. Links
die Luxusseite, rechts die Wäscherei mit Schlafstätte.
Zwei auf und zu schwingende Wände zeigen einen
vorderen dunkel holzvertäfelten und einen hinteren
hellen, eher kühl sachlich ausgestatteten Raum. Öffnet
sich
nur
eine Wand, stehen Räume neben- und hintereinander.
Nicht nur räumliche Dimensionen eröffnen sich dadurch.
Als verbindendes Element steht in der Mitte ein Tisch,
der von beiden Welten genutzt wird. Hier soll die
Kaiserin speisen, hier legen Baraks Brüder die Füße
hoch. Hier lässt sich der Kaiser über den
Gesundheitszustand seiner Gattin unterrichten und hier
verhandeln Amme, Färberin und Kaiserin den Schatten.
Hier berät sich der Kaiser mit seinem Lieblingsfalken
(der immer noch Blut im Gefieder hat), und andere
Falken spielen Skat. Hier sitzt die Kaiserin ihrem
Vater Keikobad gegenüber und schlussendlich wird am
gleichen Tisch mit Champagner auf den künftigen
Nachwuchs angestoßen, nachdem Barak einen passenden
Trinkspruch zum Besten gegeben hat: „Nun will ich
jubeln, wie keiner gejubelt“.
Doch so
geradlinig und einfach bleibt die szenische
Umsetzung nicht. Ein Kind, das von einer Hirschkuh
geboren wird, in blutiges Rot gekleidet, könnte eine
Darstellung der Kaiserin sein, einem Wesen aus einer
anderen Welt, die sich
vom Kaiser verletzt aus einer Gazelle in eine Frau
(zurück)verwandelt und auf dem Weg zur Menschwerdung
jetzt noch ein Kind ist. Dieser Art gibt es einige
Elemente, die Rätsel aufgeben, aber nicht
kontraproduktiv (ver)stören. Sachlich unklar bleibt,
warum Amme und Kaiserin zum Aufsuchen und Verlassen
der Wäscherei manchmal den Fahrstuhl benutzen müssen
und manchmal einfach nur die Bühnenseiten wechseln.
Die Fische für Baraks Abendessen fängt die Amme
kurzerhand aus dem Aquarium – das ja eigentlich zur
Luxusabteilung gehört. Die zusammengestellten
Ehebetten zieht sie schlicht nur ein Stück
auseinander. Warum Falken die sich lasziv gebärdende
Färberin umbuhlen und warum ein Falkenjunges Barak
das Schwert gibt und nicht die Amme, erschließt sich
nicht wirklich. Und bei allem, was an Tiefe und
Überzeugungskraft auf der Bühne zu sehen ist: Es
wird auch viel herumgestanden oder herumgesessen.
Deborah Polaski (Die
Amme), Johan Botha (Der Kaiser), Adrianne Pieczonka
(Die Kaiserin), Statisterie
Besonders
stark wirken stille Momente, wenn beispielsweise auch
die Kaiserin den Gesang der Wächter hört und sehr
nachdenklich ins Leere schaut. Ebenso, wenn die Amme
mit Barak eine Zigarette raucht und nicht ganz klar
wird, mit wem sie nun geschäftlich verbunden ist.
Eindrucksvoll erscheint auch das Falknerhaus, das
mittels grüner Beleuchtung einfach, aber überzeugend
dargestellt wird. Hier gibt es viele Kinder mit
Falkenköpfen. Es lebt nicht nur der Lieblingsfalke im
Falknerhaus – es gibt noch mehr und die haben Junge.
Geradezu witzig wirkt die Angewohnheit der Amme, sich
mit einer Schlafmaske auf die Lederliege zu legen,
wenn alles nach ihrem Plan läuft. Der Jüngling, den
sie herbei“zaubert“, ist ein käuflicher Stripper,
dessen vom Libretto geforderte geistige Abwesenheit
dadurch entsteht, dass er sich ganz der über Kopfhörer
gehörten Musik hingibt. Im zweiten Akt erscheint er
bekleidet, zieht sich dann aber bis auf einen
transparenten Slip aus und wird anschließend von der
Amme in bar ausgezahlt. Ein böser, aber guter
Regieeinfall.
Zu Beginn
des dritten Aktes sieht man einen sachlich kühlen
Raum mit Echtzeituhr. Die Tiefe, in die Barak und
seine Frau getrennt hinabgezogen wurden, heißt hier
– der Überschwemmung
entsprechend
–
unter
Wasser. Menschen, Soldaten, Tiere, Gegenstände
versinken schattenartig im Hintergrund. War es ein
Tsunami? Die leidenschaftliche Färbersfrau und ein
genervter, rauchender Barak sitzen im geringen
Abstand voneinander auf Stühlen. Ihre Trennung ist
keine räumliche, sondern eine innere. Und es
erscheint fast so, als wolle der Färber nun nicht
mehr, was die Färberin nun endlich will. Zwei
gouvernantenhaft alt wirkende Kinder führen sie aus
ihren Kerkern. Statt eines Kahns mit Amme und
Kaiserin zieht ein Kind ein Ruder über die Bühne.
Ebenso wie Färber und Färberin sitzen Amme und
Kaiserin auf zwei Stühlen und die Kaiserin vollzieht
ihre innere wie äußere Trennung, die für die Amme
eine rosa Zwangsjacke bedeutet, nachdem der Bote sie
vom Suizid mit einer Büroschere abgehalten hat.
Keikobad (der hier tatsächlich auftritt),
durchschreitet als schwacher Greis die Bühne, ein Greis
in
einer Welt voller unheimlich ausschauender Greise,
die anbietend Gläser mit dem Wasser des Lebens
hereintragen. Eine Welt, die Nachwuchs dringend
nötig hat – vielleicht hat Keikobad seine Tochter
deshalb zu den Menschen gehen lassen.
Scheintot
liegt der Kaiser auf einem Seziertisch und wird von
Ärzten untersucht, vielleicht entnehmen sie sogar
Organe, ein alter Diener hält die Totenwache. Zum
glücklichen Ende bringen Kinder Barak und seine Frau
nacheinander auf die Bühne und beim jubelnden Finale
sieht man die Kinder auf der Rückwand mit ihren
Schatten Figuren malen und auf- und absteigen. Das
wäre ein schönes, sinniges, das Kinder/Schattenthema
verbindendes Schlussbild. Doch der Regisseur will
mehr: Ganz am Ende werden dezent bewegte Bilder von
Marylin Monroe, Siegmund Freud, Gandhi, dem jungen
Buddha und King Kong samt ihn umfliegendem Flugzeug
und weiteren markanten Persönlichkeiten und Figuren
auf die Wände der Bühne projiziert. Was will uns das
sagen? Vor allem eins: Weniger wäre hier mehr
gewesen.
Johan Botha (Der Kaiser),
Elena Pankratova (Die Färberin), Adrianne
Pieczonka (Die Kaiserin), Wolfgang Koch (Barak),
Kinderchor und Statisterie
Bild- und Videoprojektionen
scheinen ebenso wie Filmeinspielungen auf der
heutigen Theaterbühne unverzichtbar zu sein, wobei
sich in dieser Produktion zwei unterschiedliche
Einsatzmöglichkeiten zeigen. Zur Einstimmung in Zeit
und Raum noch vor Beginn der Oper
werden Szenen aus dem Film L'année
dernière à Marienbad aus dem Jahr 1961
eingespielt.
Der Zuschauer durchschreitet barocke Räume und
Flure eines Grand Hotels und beobachtet
Begegnungen der High Society. Doch das ist eher
verwirrend und unnötig und erscheint als ein
sehr gewollter Verbindungsversuch von Film und
Bühne.
Ganz fantastisch und als das
Theaterereignis verstärkendes Mittel ist
hingegen die Illusion der Wanderung des Kaisers
als die ganze Bühne umfassende Projektion
filmisch umgesetzt. Vom Sternenhimmel schwebt
man erst in, dann durch einen Wald, geht an
Grabsteinen vorbei und auf den Tempel zu. Ebenso
großartig bebildert ein gewaltiger
Wassereinbruch filmisch die Regieanweisung zum
Ende des zweiten Aktes. Überzeugender können
filmische Mittel auf der Theaterbühne nicht
eingesetzt werden.
Elena Pankratova gelingt es sehr
überzeugend, die von der Regie geforderte
Entwicklung der Färbersfrau auch stimmlich
darzustellen. Lyrisch, wenn sie als verletzte Seele
mitleidsvoll ihren Gatten tröstet, furienhaft in
ihrer Wut und geradezu ausufernd leidenschaftlich,
wenn sie Baraks bestimmende, durchaus gewaltbereite
Ader kennen und lieben lernt. Das Absprechen ihres
Schattens könnte allerdings ein wenig mehr Gänsehaut
vertragen. Als ihr Gatte lässt Wolfgang Koch viele
balsamische Töne und einen formidablen finalen
Trinkspruch hören. Hier und da fehlt aber noch die
letzte Nuance oder ein satter Ton zu einer ganz und
gar runden Leistung. Adrianne Pieczonka lässt ihren
großen Sopran farbenreich strahlen und singt
ausdrucksstark eine sehr leidenschaftliche,
frauliche Kaiserin. Johan Botha ergeht sich als
Kaiser mit den bekannten schauspielerischen
Defiziten in ebenso bekanntem Schöngesang, stößt
hier aber immer mal wieder an seine stimmlichen
Grenzen. Ein bisschen mehr Dramatik und Volumen täte
stellenweise gut. Deborah Polaski debütiert als Amme
und singt die Partie intensiv gestaltend untadelig
und kann auf ihre immense Darstellungskraft und
Bühnenpräsenz bauen. Allerdings wird auch bei ihr
hörbar, dass ein dramatischer Sopran nicht einfach
als dramatischer Mezzosopran eingesetzt werden kann,
wenn er sich vom Sopranfach verabschiedet. Da fehlt
dann doch schmerzlich die (hier geforderte
dämonische) Tiefe. Stellvertretend für ein bis in
die kleinste Partie erlesenes Ensemble sei Sebastian
Holecek als stimmgewaltiger Geisterbote genannt. Mit
Leidenschaft und hoher Präzision folgt das Orchester
seinem neuen GMD. Betörend schön umschwelgen
Solo-Violine und Solo-Cello das Ohr. Chor und
Kinderchor klingen prächtig, homogen und
hochkultiviert.
FAZIT
Eine
musikalisch hochkarätige, emotionsgeladene
Produktion der Frau ohne Schatten
(die unter Opernfreunden liebevoll „FroSch“ genannt
wird). Spannend ist auch die szenische Umsetzung mit
vielen überzeugenden Details. Nicht in jedem Moment
verständliches, aber doch gutes Regietheater.
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Produktionsteam
Musikalische Leitung
Kirill Petrenko
Inszenierung
Krzysztof Warlikowski
Bühnenbild und Kostüme
Malgorzata Szczesniak
Licht
Felice Ross
Choreografie
Claude Bardouil
Video
Denis Guéguin
Videoanimation
Kamil Polak
Chor
Sören Eckhoff
Kinderchor
Stellario Fagone
Dramaturgie
Miron Hakenbeck
Bayerisches Staatsorchester
Chor der Bayerischen Staatsoper
Kinderchor der Bayerischen Staatsoper
Statisterie
und Kinderstatisterie
der Bayerischen Staatsoper
Solisten
Der Kaiser
Johan Botha
Die Kaiserin
Adrianne Pieczonka
Die Amme
Deborah Polaski
Der Geisterbote
Sebastian Holecek
Hüter der Schwelle des Tempels
Hanna-Elisabeth Müller
Erscheinung eines Jünglings
Dean Power
Stimme des Falken
Eri Nakamura
Eine Stimme von oben
Okka von der Damerau
Barak, der Färber
Wolfgang Koch
Färberin, seine Frau
Elena Pankratova
Der Einäugige
Tim Kuypers
Der Einarmige
Christian Rieger
Der Bucklige
Matthew Peña
Keikobad
Renate Jett
Drei Dienerinnen
Iulia Maria Dan
Laura Tatulescu
Okka von der Damerau
Stimmen der Ungeborenen
Hanna-Elisabeth Müller
Eri Nakamura
Laura Tatulescu
Tara Erraught
Heike Grötzinger
Okka von der Damerau
Stimmen der Wächter
Andrea Borghini
Rafał Pawnuk
Leonard Bernad
Kinderstimmen
Iulia Maria Dan
Hanna-Elisabeth Müller
Eri Nakamura
Tara Erraught
Okka von der Damerau
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