"Die Frau ohne Schatten" von Richard Strauss: ein Opernmärchen, bei dem in München die Gefühlsfetzen fliegen.

Foto: Wilfried Hösl

Nach seinem Erfolg mit dem Ring in Bayreuth erwartete man ihn in München sehnsüchtig. Dass der Russe Kirill Petrenko sein Amt als Generalmusikdirektor der Bayerischen Staatsoper mit Die Frau ohne Schatten antrat, zeigt dann auch, dass er ambitioniert ist. Es gab für die schwere Kost zwar konkrete Gründe: Genau vor 50 Jahren wurde nämlich das im Krieg zerstörte Nationaltheater mit diesem Opernunikum wiederöffnet. Von vielen Strauss-Kennern heiß geliebt, ist dieses aus der Zeit gefallene Opernmärchen ansonsten aber fürs Publikum und für die Häuser, die sich daran wagen, eine Herausforderung.

Nicht nur der Personal- und Orchesteraufwand - auch die Geschichte selbst hat es in sich. Und, ja: Der ungehemmte finale Jubel über den hereinbrechenden Kindersegen wirkt in Zeiten der Selbstbestimmung (bei der Zahl der eigenen Nachkommen) wie eine Agitation gegen abnehmende Geburtenzahlen. Regisseur Krzysztof Warlikowski setzt dem Aufmarsch unzähliger Kinder mit Projektionen von Ikonen der Moderne und der Popkultur (u. a. Superman, Gandhi, Monroe, Marx) allenfalls einen ästhetischen Kontrapunkt entgegen.

Letztlich verschärft er das Ganze damit noch. So platt wie das große Happy End, bei dem nur noch ein Werbespruch für das Betreuungsgeld fehlte, ist es davor freilich nicht. Den Zugang zur Welt des (von Ausstatterin Malgorzata Szczesniak) mit Hintersinn und diskreter Opulenz knapp angedeuteten Luxussanatoriums findet er über ein langes Zitat aus Alain Resnais' Film Letztes Jahr in Marienbad (1961). Die Suche nach dem anderen, die hier traumwandlerisch herüberweht, wird auf der Bühne so zu einer Suche nach sich selbst. Vor allem bei den beiden Frauen, die ihre Kinderlosigkeit als existenzielles Problem empfinden.

Ein Kaiser am OP-Tisch

Der integrierte Waschsalon, in dem Barak mit Frau und Brüdern haust und arbeitet, ist dabei keine andere Welt, höchstens ein anderer Fall. Die Übermächte aus Keikobads Reich, von denen die Amme raunt, überschwemmen als gutgemachte Videowassermassen die Bühne. Der schöne Mann, mit dem die Färbersfrau verführt werden soll, um ihren Schatten (sprich ihre Gebärfähigkeit) auf die Kaiserin zu übertragen, ist ein flotter Callboy in Unterhemd und Jeans (und dann ohne), der zwar mit Honorar, jedoch unverrichteter Dinge wieder abzieht.

Immer, wenn es unheimlich oder traumhaft wird, öffnet sich die Rückwand wie ein Portal und gibt den Blick auf einen klinisch gekachelten Saal frei: Zu seiner drohenden Versteinerung wird der Kaiser auf einen OP-Tisch verfrachtet, den er dann aber unversehrt wieder verlässt. Dazwischen marschieren immer wieder Kinder mit Falkenmasken oder früh gealtert durchs Bild. Zumeist hält Warlikowski geschickt die Balance zwischen Sanatorium mit Traumtherapie und surrealen Versatzstücken.

Immerhin lässt er es zu, dass wir auch die Frage der Kaiserin "Jedoch was wird aus ihr?", mit der sie moralische Verantwortung übernimmt, da sie das eigene Glück nicht mit dem Opfer der anderen erkaufen will, als zentrale Erkenntnis sehen können. Was dann doch über die extreme Fixierung auf Mutterschaft und Unterwerfungsrhetorik der Färbersfrau hinwegtröstet.

Passendes Ensemble

Natürlich hat München ein zum besonderen Anlass passendes Ensemble beisammen. Johan Bothas Kaiser ist hochsouverän, Adrianne Pieczonkas Kaiserin eindringlich. Wobei Wolfgang Koch und Elena Pankratova als Färberspaar die Chancen zu intensiver, auch anrührender Gestaltung noch überzeugender ausspielen.

Deborah Polaski macht als Amme gute Figur in ihrem Wandel von der Therapeutin über die diabolische Freundin bis hin zum Wahnsinn. Wie erwartet findet das eigentliche Ereignis im Graben statt. Anders als Christian Thielemann, der mit seiner akribischen Detailarbeit in Salzburg die Opulenz funkeln ließ, setzt Petrenko auf Suggestionskraft und Wucht einer Musik, die kein Pathos scheut. Der Jubel war groß. (Joachim Lange, DER STANDARD, 26.11.2013)