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"Falstaff" am Nationaltheater Mannheim
Jugendkultur von vorgestern

Zum 200. Geburtstag des Komponisten Guiseppe Verdi erfreut sich sein letztes Werk "Falstaff" großer Beliebtheit. Christof Nel setzt bei seiner Interpretation des Stücks am Nationaltheater Mannheim auf Klamauk.

Von Frieder Reininghaus | 15.12.2013
    Kein Vorhang verdeckt die Sicht auf den Ort des kommenden Geschehens. Durch eine von spitz dreieckigen roten Raumkörpern gerahmte Öffnung, die nicht nur entfernt an einen gierigen Mund erinnert, geht der Blick auf eine Metallkonstruktion im Hintergrund - drei Etagen sind durch mehrere Treppen miteinander verbunden und bieten verschiedene Spielorte an. Vorn, vorm roten Schlund, steil abfallende Schrägen. Roland Aeschlimann hat eine anspielungsreiche, zweckdienliche und eigentlich ideal zu bespielende "Falstaff"-Landschaft konstruiert, in der sich Protagonisten verstecken, in der sie hinuntergestürzt werden und vor allem: in der sie aus guten Positionen singen können.
    Thomas Jetsako, der Titelheld in halblangen geblümten Unterhosen, ist kein versoffener und heruntergekommener alter Fettsack, sondern eine distinguierte Figur in den besten Jahren - mit beachtlicher Stimme und differenzierten darstellerischen Fähigkeiten. Dass sein Wanst ein Kissen ist, unterstreicht das Kostüm von Barbara Aigner. Der baumlange schlanke Lars Møller verkörpert den hanseatischen Großkaufmann Ford, der in der Firma so wenig etwas anbrennen lässt wie zuhause bezüglich Frau Alice. Von der ist nicht unbedingt klar, ob gewisse Insignien des alten Adels sie nicht doch reizen. In Iris Kupke als doppelt begehrter Hausfrau, Eunju Kwon als liebeswütiger und heiratswilliger Tochter Nannetta und Edna Prochnik als emsig bemühter, aber auch ein bisschen schriller Mrs. Quickly verfügt das Mannheimer Ensemble über ein feines und leistungsstarkes Damen-Terzett, zu dem noch Ludovica Bello als besonders geförderte Mrs. Mag kommt.
    Der Kapellmeister Etiinger kurbelt vom Graben aus das Brio an, setzt insgesamt auf zügige, mitunter fast forciert wirkende Tempi. Angesichts der Tour de Force ist frappierend, wie weithin präzise die Einsätze und das Zusammenspiel klappen. Und so war der freundliche Beifall für den erheblich in Anspruch genommenen Chor, die Kapelle und die Solisten in voller Höhe verdient.
    Christof Nel sorgte für eine historische Kostümierung des Theater-Humors, den er nach den Mustern des Boulevard-Theaters der 50er Jahre in Bewegung setzen lässt - mit hypermotorischem Überschuss. Sein Personal wurde zugerichtet wie für einen Kostümfilm mit Liselotte Pulver und eine Premiere des Millowitsch-Theaters vor einem halben Jahrhundert. Es versteckt sich hinter dauerwackelnden Zimmerpflanzen, hantiert ausgiebig mit Hirschgeweihen und hält Zappeln per se schon für "lustig". Derartige Bespaßung war schon in jener Ehrhard-Ära, in der das Gros der Mannheimer Premierenbesucher noch jugendfrisch und Gelsenkirchener Barock der letzte Schrei war, nur bedingt lustig. Nel macht am Nationaltheater auf Jugendkultur von vorgestern. Das ist mehr als die Höchststrafe Altersheim für den "Falstaff".
    Der Verdi-Forscher Anselm Gerhard - er wird im Programmheft zitiert - schrieb einmal, dass "eine am Buffonesken orientierte Lektüre von Verdis ,dramma giocoso‘ dem abgründigen Ingrimm dieses kompromisslosen Alterswerks nicht gerecht werden kann". Aeschlimanns vieldeutiger Mund hätte die beste Chance geboten, dies klar und ohne Klamauk zu tun und zu zeigen, dass und wie die BürgerInnen von Windsor sich wehren - zugleich gegen den Klassendünkel des Ritters, der als ein letzter Repräsentant zu einer verkommenen Elite gehört, und zugleich gegen seine sexuelle Übergriffigkeit: die des zwar immer noch imponierenden, aber für den Liebesmarkt "hoffnungslos" zu alten Sir John. Eigentlich gar nicht so schwierig. Da muss ein Regisseur nur präzise nachdenken - und das Handwerk beherrschen.