München
Püppchen im Protztempel

Mozarts Spätwerk "La Clemenza di Tito" hat an der Bayerischen Staatsoper Premiere

11.02.2014 | Stand 02.12.2020, 23:05 Uhr

Falsch verliebt: In Mozarts Oper „Titus“ ist Sesto (Tara Erraught, hinten) für Vitellia (Kristine Opolais) nur eine Schachfigur ihres Rachefeldzuges. - Foto: Hösl

München (DK) Nach der Pause kam der Coup: Noch ist dunkle Leere im Orchestergraben, nur die zwei Sängerinnen der Hosenrollen sind schon da, sie starten mit einem Rezitativ. Und es ward Musik. Angela Brower und Tara Erraught haben schon miteinander im Opernstudio studiert, beide sind groß geworden im Ensemble der Bayerischen Staatsoper – vielleicht würden sie sonst nicht so entspannt, ohne Dirigent und das Cembalo selbst spielend, musizieren.

Atemlos lässt sich das Publikum gefangen nehmen, wie im Traum kommen schließlich Orchester und Generalmusikdirektor Kyrill Petrenko von Bühne und Parkett aus dazu, die Musik schwillt an – der Abend hebt ab.

Dabei war der erste Teil der Mozart-Oper eher konventionell geraten. Die Bühne (Stéphane Laimé) spiegelte die Architektur der Staatsoper. Die Kostüme (Victoria Behr) boten eine Pop-Persiflage der Entstehungszeit, und Regisseur Jan Bosse stellte in diesem Protztempel seine Püppchen geduldig auf. Eine trügerische Bonbonniere der Selbstzufriedenheit. Dabei hatte die Übertitelanlage schon während der Ouvertüre verkündet: „Tito ist 39 Jahre – Zeit umzudenken“. Nach langen Kämpfen und Intrigen an die Macht gekommen, will der römische Kaiser Titus eine Zeit der Milde anbrechen lassen: keine Todesurteile mehr, dafür Wiederaufbau und Frieden. Doch leider sind die Gutmenschen ja auch manchmal etwas fade. Und so schön auch musiziert wurde, so gerecht und selbstlos der Kaiser war – der Funke sprang nicht über. Der britische Tenor Toby Spencer, in dieser Rolle demnächst auch in Wien angekündigt, ist dabei szenisch sympathisch, stimmlich aber vor allem in der Höhe immer wieder unsicher, was womöglich auch der Rekonvaleszenz nach einer Kehlkopf-Krebserkrankung im Jahre 2012 geschuldet ist.

Der große Umschwung erfolgt im zweiten Teil des Abends, da München/Rom in Schutt und Asche liegt, und auch die Darsteller derangiert auf die Bühne stolpern: Der Mordanschlag auf Titus, für den die intrigante Vitellia (furios: Kristine Opolais) Sesto gewann, ist gescheitert. Der Kaiser muss sich nun entscheiden: Den ungetreuen Freund gerecht hinrichten lassen – oder mit unangemessener, aber konsequenter Milde begnadigen? Hier nimmt die Handlung plötzlich Fahrt auf, Tito schmeißt mit Wasserbechern und leidet wie ein Hund an dem Verrat. Und aus dem szenischen Oratorium über Gut und Böse kristallisiert sich die dringliche Frage heraus, warum der Mensch nur stets das Gute will und doch das Böse schafft.

Ein Abend, der dem Verräter gehört – Tara Erraught als Sesto kann die Zerrissenheit, aber auch das Heranreifen ihrer Figur beglückend entwickeln und ist im Schlussapplaus umjubelter Liebling des Publikums. Doch auch Dirigent Kyrill Petrenko wird verdient gefeiert. Er liefert nicht nur eine transparente und schlanke Mozart-Interpretation, sondern ermöglicht auch zwei besonders gelungene szenische Experimente: Wenn Bassklarinettist Markus Schön und Bassetthornistin Martina Beck aus dem Orchestergraben auf die Bühne kommen und mit Sesto und Vitellia musizieren, dann klingt Mozarts Opera seria plötzlich nach Klezmer oder Jazz, das Instrument inspiriert die Stimme – und das Spiel die Musik. Eine beglückende Intimität in diesem riesigen Haus, die man so schnell nicht vergisst.