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"Fausts Verdammnis"
Inszenierung mit Brüchen

Eine Produktion reich an ausdrucksstarken, fantasievollen, kraftvollen und märchenhaften Szenen, die allerdings Mühe haben, sich zu einem runden Ganzen zu verbinden: Mascha Droist hat Berlioz' Faust an der Deutschen Oper in Berlin gesehen – und ist punktuell auch voll des Lobes.

Von Mascha Drost | 24.02.2014
    Der französische Komponist (u.a. "Die Trojaner", "Requiem") Hector Berlioz in einer zeitgenössischen Darstellung. Er wurde am 11. Dezember 1803 in La Cote-Saint-Andre geboren und verstarb am 8. März 1869 in Paris.
    Berlioz hatte wenig Skrupel, dieses Opus Magnum nach eigenem Gutdünken zu verändern, angefangen mit der Hauptfigur. (picture-alliance / dpa)
    Ab in die Hölle mit ihm - zu Fegefeuer, Teufel, Seelenpein, ab in die ewige Verdammnis. Von wegen: Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen - mit diesem Faust nimmt es kein gutes Ende, Goethe hin oder her.
    Überhaupt hatte Berlioz wenig Skrupel, dieses Opus Magnum nach eigenem Gutdünken zu verändern, angefangen mit der Hauptfigur, die hier nicht als wissensdurstiger, suchender Künstler in Erscheinung tritt, sondern als gelangweilter Dandy - an der Welt nicht verzweifelt, sondern ihrer überdrüssig. Ein passiver Held, und an der Deutschen Oper vielleicht auch deswegen nicht mit einem schweren Tenor besetzt, sondern mit Klaus Florian Vogt, dem lyrischsten Heldentenor, den die Opernwelt derzeit aufzubieten hat.
    Die vielen innigen Passagen gelingen in vollendeter Schönheit, da strömt diese fast schon engelsgleiche Stimme frei und unbeschwert - findet an den dramatischen Stellen, an diesem Abend jedenfalls, nicht zu gleicher Überzeugungskraft. Fast schon symptomatisch für diese Produktion, die reich ist an ausdrucksstarken, fantasievollen, kraftvollen und märchenhaften Szenen, die allerdings Mühe haben, sich zu einem runden Ganzen zu verbinden. Vielleicht auch unmöglich bei einem Stück, das eine wilde Mischung aus Oper, Oratorium und Sinfonie ist, mit gigantischen Chorszenen und pompösen Orchestereinlagen.
    Kostümbild und Orchesterleistung hervorragend
    Christian Spuck greift in seiner Inszenierung diese Brüche auf - er lässt Soldaten etwa in Trippelschritten antreten, ein harmlos-lächerlicher Aufmarsch, der allerdings in einer balletthaft dargestellten Vergewaltigung endet. Choreografie und Tanz spielen überhaupt eine herausragende Rolle - mit leichter Hand und untrüglichem Sinn für Wirkung gestaltet Christian Spuck die Chor- , die Massenszenen, egal ob Soldaten, Geister oder Teufel - es sind bewegte Tableaus mit Anleihen an Cabaret oder Revue, virtuos in Szene gesetzt. Irrlichter spuken nosferatugleich über die Bühne, der Bauerntanz gerät zum Vaudeville - ein großes Kompliment an die Kostümbildnerin Emma Ryott, deren markant-originelle Ausstattung maßgeblich zur optischen Wirkung dieser Produktion beiträgt und den Zuschauer über die eine oder andere inszenatorische Durststrecke hinwegblicken lässt.
    So hell und jünglingshaft ihr treuloser Liebhaber auch klingen mag - Clementine Margain ist eine stimmlich resolute, dabei aber warm und dunkel klingende Margarethe, die wie ihr Gegenspieler Mephisto - von Samuel Youn kraftvoll verkörpert, keinerlei Mühe hat, sich gegenüber dem Orchester zu behaupten. Einem Orchester, das in seiner gigantischen Besetzung über den Graben hinausragt, sich bis auf das Proszenium ausbreitet und trotzdem als überaus sensibler und differenzierter Klangriese agiert. Donald Runnicles führte sein Orchester überlegen durch Berlioz' Partitur, volltönend aber nicht wuchtig in den dramatischen Passagen, die lyrischen Episoden fast noch eindrucksvoller in ihrer französisch-schlanken Intensität und mit einem Niederknien schönen Solo der Englischhornistin. Für einen so rauschhaften und größenwahnsinnigen Komponisten wie Berlioz war es im Gesamten eine vielleicht etwas überkontrollierte Vorstellung - und für die vom Regisseur imaginierte "teuflische Revue" sollte man noch ein paar Scheite mehr in das höllische Feuer legen.