Opéra Bastille: Paris und Richard Wagner sind längst versöhnt

(C) Opéra National de Paris - Charles Duprat
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Philippe Jordan studierte erstmals „Tristan und Isolde“ ein und sorgt für aufregende Klangwirkungen. Demnächst führt er sein Pariser Opernorchester zu dessen erstem Wien-Gastspiel.

Deutsche Oper in Paris? Der Querverbindungen sind viele; man kann sie auf Schritt und Tritt entdecken. Hie und da kann man sie auch hören. Philippe Jordan, Chefdirigent der Pariser Oper und ab Herbst auch Chefdirigent der Wiener Symphoniker, bringt das Orchester der Opéra erstmals für ein Gastspiel nach Wien. Auf dem Programm Französisches, aber auch Wagner und Richard Strauss – darunter das Finale aus „Capriccio“ mit Anja Harteros.

In der Dauerausstellung des Petit Palais hängt übrigens ein Porträt jener „Madame Clairon“, die Strauss in seinem Schwanengesang auftreten lässt. Außerdem wird in „Capriccio“ über das Verhältnis von Text und Musik in der Oper philosophiert, aus einem sehr deutschen Blickwinkel, wie man vielleicht meinen möchte, doch lauscht man Wagner- und Strauss-Aufführungen in der Opéra Bastille, seit Philippe Jordan im Amt ist, besonders animiert, weil man über furiose Orchesterwogen hinweg in aller Regel den Text gut verstehen kann.

Wenn die Sänger deutlich artikulieren. So war es zuletzt bei „Elektra“, so ist es derzeit bei „Tristan und Isolde“. Beide Partituren – im Falle des „Tristan“ war es für den Maestro am vergangenen Dienstag ein Debüt! – erscheinen im Spiel des Pariser Orchesters mit Deutlichkeit durchleuchtet. In Kritiken heißt dergleichen meist „analytisch“, was zu sehr nach Seziertisch riecht. Bei Jordan leben die Klänge, entfalten sich die Melodielinien agil, von Ton zu Ton geschmeidig modelliert.

Die berühmten harmonischen Abenteuer, mit denen Wagner in seinem Werk die Musikgeschichte revolutioniert hat, sind, man hört das in einer solchen Interpretation, nicht unbedingt eine Sache der vertikalen Schichtung, sondern der Kombination horizontaler, eben im weitesten Sinne melodischer Erzählstränge.

Oder deren zufälliger Zusammenkünfte im Zuge der Entfaltung der dramatischen Handlung, erleben wir doch die seelischen Abenteuer von Tristan „und“ Isolde. „Das süße Wörtlein und“, das Isolde besingt, scheint die Zauberformel an diesem Abend. Jordan bringt die – nur im ersten Akt in Sachen Holzbläserintonation ein wenig irritierten – Pariser Opernmusiker auf atemberaubende Weise zum Spielen, fährt die Stimmen mit-, in- und gegeneinander, nimmt sich Zeit für das Abmischen der farblichen Nuancen und sorgt damit nicht nur für die nötige Spannung bei den Hörern. Er breitet auch den Sängern einen Klangteppich, auf dem sie sich ungehindert bewegen können. So klingt die Brangäne der Janina Baechle – die ihre Wacherufe wie der junge Seemann seine (von Pavol Breslik, also eminent wohltönend gesungenen) Lieder aus dem Zuschauerraum erklingen lässt – deutlich entspannter als zuletzt gewohnt. Nicht ein Mal muss selbst ein lyrisch phrasierender, geradezu als Liedsänger agierender Tristan wie Robert Dean-Smith forcieren.

Isoldes imposante Gefühlsattacken

Und dass eine Violeta Urmana die Spitzentöne einzeln herausmeißelt, hat eher mit dem Kampf gegen die eigene, letztlich doch zu tiefe Tessitura als gegen orchestrale Feindseligkeiten zu tun. Doch imponieren an dieser Isolde die mächtigen Eruptionen in den unbeherrscht-wilden Gefühlsattacken des ersten Aufzugs. Exzellent auch die übrige Besetzung mit Jochen Schmeckenbechers kernigem, nur darstellerisch raubeinigem Kurwenal und Franz Josef Seligs König Marke, dessen Monolog – sonst häufig der Durchhänger einer „Tristan“-Aufführung nach dem ausladenden (auch in Paris strichlosen) Liebesduett – geradezu zum Höhepunkt der Vorstellung wird.

Hier kommen die fanatisch mit Ausdruck aufgeladenen orchestralen „Kommentare“, die umso intensiver zu werden scheinen, je mehr Wagner das Stimmengefüge ausdünnt, mit einer klugen deklamatorischen Sängerleistung vollständig zur Deckung, und Hochspannung stellt sich ein.

Das einer recht oberflächlichen Inszenierung von Peter Sellars zum Trotz, die sich disqualifiziert, wenn während der Wacherufe der betrogene König samt dem Verräter Melot bereits erscheint, dann aber unverrichteter Dinge wieder abzieht. Die filmischen Installationen Bill Violas, die mit ihren rituellen Waschungen, Meeresbrandung und Waldweben 2005 viel Aufsehen erregt haben, sehen bereits ein wenig alt aus. Modische Installationskunst wird gegen zeitlose musikalische Schönheit leicht zum ablenkenden Störfaktor – oder zum Kitschdesign. Das lernt man bei einer Wiederaufnahme, die Opernchef Nicolas Joel jenem Mann widmete, unter dessen Führung die Premiere herauskam: Man gedachte zu Beginn Gerard Mortiers mit einer Schweigeminute.

VORSTELLUNGEN

Paris. Vorstellungen in Paris: 12., 17., 21., 25. und 29. April (18 Uhr), am 4. Mai um 14 Uhr.

Wien. Konzerte des Pariser Opernorchesters unter Philippe Jordan im Wiener Musikverein: 18. Juni (mit Thomas Hampson) und 19. Juni (mit Anja Harteros).

Musiksalon. Am 17. Juni spricht Philippe Jordan im Musikverein mit Intendant Thomas Angyan.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.04.2014)

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