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Happy End mit pessimistischem Unterton
Von Thomas Molke
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Fotos von Bettina Stöß Ariodante ist nach Orlando Händels zweite Oper, in der er eine Episode aus Ludovico Ariostos Ritterroman Orlando furioso vertont. Dieses Epos, in dem Karl der Große zum Sieger über die ungläubigen Sarazenen hochstilisiert wird, erfreute sich zu Händels Lebzeiten großer Beliebtheit und war für Opernadaptionen ebenso beliebt wie die mythologischen Geschichten um Orpheus und Odysseus. Allein das Libretto des Florentiner Hofdichters Antonio Salvi wurde ein Dutzend Mal vertont. Auch Händel griff bei seiner Komposition auf diese Textgrundlage zurück, als Neuerung führte er allerdings in jedem Akt Balletteinlagen für die berühmte Tänzerin Marie Sallé ein, die mit ihrer Tanztruppe in den Pantomimen von John Rich, mit dem er das Theatre Royal in Covent Garden für die Aufführungen gemeinsam nutzte, für Furore gesorgt hatte. Freude am schottischen Königshof: Ariodante (Tamara Gura, stehend) soll Ginevra (Olga Pasichnyk, rechts daneben) heiraten (restliche Gäste von links: König (Almas Svilpa), Polinesso (Ieva Prudnikovaite), Lurcanio (Michael Smallwood), Odoardo (Albrecht Kludszuweit) und Königin (Larissa Zhukova), im Hintergrund: Statisterie). Die Geschichte behandelt einen Nebenstrang aus Ariosts Ritterroman, der mit den eigentlichen Hauptfiguren, den beiden Paladinen Ruggiero und Orlando, nichts zu tun hat. Auch auf Orlandos Vetter Rinaldo, der durch einen Sturm nach Schottland verschlagen wird, und mit seinem Eingreifen das glückliche Ende herbeiführt, wird in der Oper verzichtet. Ginevra, die Tochter des Königs von Schottland, liebt Ariodante, einen Vasallen des Königs, den ihr Vater gerne als zukünftigen Thronfolger akzeptieren will. Doch Polinesso, der Herzog von Albany, ist ebenfalls in Ginevra verliebt und liebäugelt mit dem schottischen Thron. Als er jedoch von Ginevra zurückgewiesen wird, ersinnt er mithilfe der Hofdame Dalinda eine Intrige und gaukelt Ariodante vor, dass seine geliebte Ginevra untreu sei. Aus Verzweiflung will Ariodante sich das Leben nehmen. Sein Bruder Lurcanio gibt Ginevra die Schuld dafür und fordert vom König, seine Tochter wegen ihrer Untreue mit dem Tod zu bestrafen. Als der König einwilligt, erklärt sich Polinesso bereit, die Ehre der Königstochter zu verteidigen. Obwohl Ginevra dies ablehnt, kommt es zum Kampf zwischen Lurcanio und Polinesso, dem letzterer zum Opfer fällt. Als der König nun selbst für seine Tochter kämpfen will, taucht der tot geglaubte Ariodante wieder auf. Dalinda, die mittlerweile selbst vor Polinessos Häschern fliehen musste, weil er sie als Mitwisserin beseitigen wollte, hat den jungen Ritter aufgeklärt, dass sie es gewesen sei, die er in Ginevras Kleid mit dem Nebenbuhler in trauter Zweisamkeit gesehen habe. So ist Ginevras Ehre gerettet, und der Hochzeit steht nichts mehr im Weg. Odoardo (Albrecht Kludszuweit, links) bringt schlechte Nachrichten für Ginevra (Olga Pasichnyk) und ihren Vater (Almas Svilpa, zweiter von rechts) (ganz rechts: Polinesso (Ieva Prudnikovaite), im Hintergrund: Königin (Larissa Zhukova)). Jim Lucassen scheint, der Glaubwürdigkeit der Handlung zu misstrauen und führt einige inhaltliche Änderungen ein, die sich nicht immer als ganz schlüssig erweisen. Wenn Ariodante Zeuge der vermeintlichen Untreue seiner geliebten Ginevra wird und sich aus Verzweiflung das Leben nehmen will, wird er von Polinessos Verbündeten außer Gefecht gesetzt, allerdings nicht getötet, sondern in ein unterirdisches Verlies gebracht, wo dann später auch Dalinda eingesperrt wird. So wird zwar nachvollziehbar, wie Ariodante von Ginevras Unschuld erfährt. Für das Entkommen aus diesem Verlies präsentiert Lucassen allerdings keine glaubwürdige Lösung. Ein Verbündeter löst völlig unmotiviert Ariodantes Fesseln, bevor er Polinesso den Degen reicht, mit dem dieser die Königstochter verteidigen will. Polinesso sticht diesen Diener zwar kurzerhand ab, dass Ariodantes Fesseln gelöst sind, nehmen aber weder er noch seine anderen Diener zur Kenntnis. Nach Polinesso Tod taucht Ariodante dann wie ein deus ex machina am Kampfplatz auf, um unerkannt für Ginevra zu streiten, bevor er sich seinem Bruder zu erkennen gibt. Ariodante (Tamara Gura, Mitte) wird vom Volk (Statisterie) gefeiert (ganz links: Dalinda (Katharina Bergrath)). Auch das Happy End bekommt in Lucassens Ansatz einen bitteren Beigeschmack. Sicherlich lässt sich hinterfragen, ob aus Dalinda und Lurcanio am Ende wirklich ein glückliches Paar werden kann. Schließlich hat Dalinda Ariodantes Bruder zu Beginn ja mehr als schroff abgewiesen. Wenn Lurcanio nach Auflösung der Intrige plötzlich erneut Gefühle für Dalinda aufkeimen fühlt, sorgen die eingeblendeten Übertitel bei dem einen oder anderen Zuschauer in der Tat für einige Belustigung. Von daher ist Lucassens Idee, die beiden eher widerwillig bei ihrem Duett zusammenzuführen, durchaus nachvollziehbar. Ob aber Ginevra und Ariodante nach diesen Ereignissen auch nicht mehr richtig zueinander finden können, ist mehr als diskutabel. So wirkt es schon befremdlich, wenn bei dem Schlussduett der beiden "Bramo haver mille cori", in dem sie ihr erneutes Glück besingen, Ginevra ständig versucht, sich aus den Umarmungen Ariodantes zu befreien. Auch dass beim jubelnden Schlusschor alle in schwarzer Trauerkleidung auftreten, trübt das Happy End. Ferner lässt Lucassen das Stück auch nicht mit dem Jubelchor enden, sondern greift eine traurige Melodie wieder auf, die bereits zu Beginn des zweiten Teils aus dem Off ertönte, als Ginevra in schwarzer Trauerkleidung die Bühne betrat. Kein glückliches Ende für Ariodante (Tamara Gura) und Ginevra (Olga Pasichnyk)? Im Gegensatz zu anderen Ariodante-Produktionen wird in Essen nicht gänzlich auf Tanzeinlagen verzichtet, für die allerdings nicht ein Ballett, sondern die Statisterie des Aalto-Theaters zum Einsatz kommt. Bereits während der Ouvertüre treten die Herren der Statisterie durch hohe Türen, die den großen Bühnenraum quaderförmig einrahmen, auf, legen die Schutzkleidung zum Fechten an und beginnen einen momentan noch spielerischen Kampf. Später wird die Bühne durch eine hohe Wand in der Mitte zweigeteilt, und auf der linken Seite unterhalten die Damen der Statisterie die weibliche Gesellschaft mit einem höfisch anmutenden Tanz, während die Herren auf der linken Seite erneut Fechtkämpfe ausüben. Welche Rolle die von Lucassen eingeführte stumme Königin spielt, bleibt unklar. Zwar stört ihre Anwesenheit während des Stückes nicht weiter, wenn sie allerdings nach Ariodantes Rückkehr diesen auf eine Art und Weise zu liebkosen versucht, der weit über schwiegermütterliche Zuneigung hinausgeht, beginnt man doch die Notwendigkeit dieses Regie-Einfalls zu hinterfragen. Musikalisch wäre die Produktion normalerweise mit nur einer Gastsängerin ausgekommen. Doch Michaela Selinger und Christina Clark fielen krankheitsbedingt aus, so dass auch für die Titelpartie und die Partie der Dalinda Tamara Gura und Katharina Bergrath einspringen mussten. Glücklicherweise hatten beide diese Rollen für das Salzburger Landestheater in der vergangenen Spielzeit einstudiert, so dass sie die Partie nicht von der Seite einsingen mussten, sondern szenisch integriert werden konnten. Gura begeistert dabei als Ariodante mit warm timbriertem Mezzo und wunderbar beweglichen Koloraturen. Ein Höhepunkt des Abends stellt ihre große Arie "Scherza infida" dar, in der sie der tiefen Trauer über die vermeintliche Untreue Ginevras bewegend Ausdruck verleiht. Im dritten Akt trumpft sie mit absolut heldenhaften Tönen auf. Bergrath begeistert als Dalinda mit glockenklarem Sopran und bewegt vor allem im dritten Akt, wenn sie von Reue geplagt wird. Olga Pasichnyk interpretierte vor ein paar Spielzeiten bereits Händels Semele in Essen und punktet auch als Ginevra erneut mit sauberen, beweglichen Koloraturen. Mit bewegendem Spiel macht sie Ginevras Leiden absolut nachvollziehbar. Von den Ensemble-Mitgliedern lässt vor allem Ieva Prudnikovaite in der Partie des bösen Polinesso aufhorchen. Mit virilem Spiel und einer dunkel-timbrierten Mittellage arbeitet sie den schurkenhaften Charakter des Herzogs von Albany wunderbar heraus. Michael Smallwood stattet Ariodantes Bruder mit einem leichten, lyrischen Tenor aus, der der Partie angemessen ist. Almas Svilpa wirkt als König von Schottland nicht so souverän, wie man es normalerweise von ihm gewohnt ist. Man hat den Eindruck, dass er stimmlich leicht indisponiert ist, da sein Bariton in den Tiefen etwas belegt und in den Höhen sehr angestrengt klingt. Matthew Halls präsentiert sich bei seinem Debüt am Pult der Essener Philharmoniker als Barockspezialist und zaubert einen anmutenden Barockklang aus dem Orchestergraben, der wie die Leistungen der Solisten mit großem Applaus bedacht wird. Auch das Regie-Team findet beim Publikum begeisterte Zustimmung. FAZIT Es ist schön, dass im Aalto auch einmal wieder eine Barockoper Premiere feiert. Musikalisch kommt man dabei auf seine Kosten, auch wenn das Stück szenisch einige Längen besitzt. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
ProduktionsteamMusikalische Leitung
Inszenierung Bühne und Kostüme Choreographie Licht Dramaturgie
Essener Philharmoniker Statisterie des Aalto-Theaters
Solisten*Premierenbesetzung
Der König von Schottland
Ariodante, Vasall des Königs
Ginevra, Tochter des Königs
Lurcanio, Ariodantes Bruder
Polinesso, Herzog von Albany
Dalinda, Vertraute Ginevras
Odoardo, Günstling des Königs
Die Königin von Schottland
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