Bernd Alois Zimmermanns "Die Soldaten", dirigiert von Kirill Petrenko - ein Muss!

Der reinigende Albtraum: Bernd Alois Zimmermanns Oper „Die Soldaten“, dirigiert von Kirill Petrenko im Nationaltheater
| Robert Braunmüller
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Eine Trommel schlägt einen brutalen Marsch. Der Zuschauerraum des Nationaltheaters hallt von militärischen Befehlen wider. Das alles steigert sich zu einem Schrei aller Sänger und des Orchesters, der langsam verklingt, bis nur noch ein heftiges Atmen zu hören ist.

Dieser harte Schluss von Bernd Alois Zimmermanns Oper „Die Soldaten“ war in der Vergangenheit vielen Dirigenten peinlich und wurde stets kurz gehalten. Die hochgelobte Aufführung der Salzburger Festspiele von 2012 ließ gar die Kommandos weg. Kirill Petrenko lässt den Schluss fast quälend lang ausspielen, als letzte katastrophale Konsequenz aus der Handlung: Dass Wesener seine von adeligen Offizieren missbrauchte Tochter Marie nicht mehr wiedererkennt, weitet sich zur Menschheitskatastrophe, in der die Musik verstummt und nur noch das Geräusch übrig bleibt.

Das Atmen Maries steht nicht in der Partitur, aber es wirkt zwingend, weil Andreas Kriegenburg die Handlung als eine Art Über-„Wozzeck“ ganz aus den Figuren heraus erzählt, deren Leiden ins Exemplarische gesteigert wird. Andra Schraads Kostüme belassen die Handlung im 18. Jahrhundert der Vorlage von Johann Michael Reinhold Lenz. Die an SS-Uniformen angenäherten Soldaten spielen auf Zimmermanns traumatische Erfahrungen im Zweiten Weltkrieg an, die seine einzige Oper prägen. Wer das Drama von Lenz kennt, mag sich an den dort geäußerten Vorschlag erinnern, zur Lösung männlicher Triebnotstände eine „Lebensborn“-mäßige „Pflanzschule von Soldatenweibern“ zu gründen.

Gewalt in der Familie

Kriegenburgs Kammerspiel deutet an, dass die gesellschaftliche Gewalt zwischen Adeligen und Bürgern mit übergriffigen Familienverhältnissen zusammenhängen, die auch Maries bürgerlichem Vater und den dominanten Müttern dieser Oper nicht fremd sind. Das alles wirkt umso aufwühlender, weil die Inszenierung nach dem Eingangsbild mit den nackten, wie geschlachtete Tiere in Käfigen von Soldaten missbrauchten Frauen zugunsten einer expressionistisch angehauchten Stilisierung auf vordergründiges Theaterblut verzichtet.

Dafür geht es unter die Haut, wie Barbara Hannigan die von Offizier zu Offizier weitergereichte Marie als eine verwunschene Alice in Wonderland spielt. Die Kanadierin wechselt mühelos zwischen Sprechgesang und höchster Lage, sie agiert fast tänzerisch, ist zugleich Mensch und Kunstfigur. In einer besonders starken Szene rennt sie von Tür zu Tür und wird doch jedes Mal abgewiesen.
Auch Michael Nagy (Stolzius), Christoph Stephinger (Wesener), Okka von der Damerau (Charlotte), Nicola Beller Carbone (Gräfin) und Daniel Brenna (Desportes) kommen mit dem von Zimmermann geforderten Extrem-Gesang besser zurecht als ihre Vorgänger in früheren Aufführungen. Auch die kleinen Rollen sind angemessen besetzt, die Textverständlichkeit ist hervorragend.

Eine Meisterleistung des Orchesters

Dennoch: Die Aufführung ist vor allem ein Triumph des Bayerischen Staatsorchesters und seines Generalmusikdirektors Kirill Petrenko. Er verlässt sich nicht nur auf die sicheren Wirkungen und Klangballungen. Auch die impressionistischen Szenen in der Adelswelt mit ihrer zarten Begleitung durch Harfe, Gitarre und Cembalo nehmen ein. Schon in der Ouvertüre überraschten die changierenden Farbwerte im Dauer-Forte, selbst die Übertragung des Schlagzeugs durch Lautsprecher wirkte fast immer natürlich.

Mancher traditionell gestimmte Opernbesucher mag sich nun fragen: Schön und gut, aber muss ich mir eine seriell komponierte Oper von 1965 antun? Deshalb hier Klartext: So perfekt gespielt und gesungen wie im Nationaltheater erscheint diese noch immer abschreckende Kompositionstechnik als einzig mögliche Antwort auf das monströse Geschehen und der Zerstörung des Individuums in dieser Oper. Die Aufführung ist ein harter und intensiver Appell für Menschlichkeit. Ein reinigender Albtraum. Und eine Großtat der Bayerischen Staatsoper, deren Premiere frenetisch gefeiert wurde, als sei eben „Tosca“ zu Ende gegangen.

Wieder am 28. und 31. 5., 4., 6. 6. und im November. Karten unter Telefon 2180-1960. Übertragung auf staatsoper.tv am 31. 5. live ins Internet
 

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