Die Regieanweisung lautet "gestern, heute und morgen": Bernd Alois Zimmermanns "Die Soldaten" in München.

Foto: W. Hösl

Aus der Staatsoper in München ist ein Triumph zu vermelden: für den russischen Generalmusikdirektor des Hauses, Kirill Petrenko, für ein überragendes Protagonistenensemble, für den Regisseur Andreas Kriegenburg und sein Team - und eigentlich auch für das Haus und seinen Intendanten Nikolaus Bachler, die eben doch mehr können, als nur Opernluxus eventgerecht zu verpacken.

Das Bemerkenswerteste daran aber ist das Werk, das den Anlass dafür liefert: Die Soldaten von Bernd Alois Zimmermann (1918- 1970)! Ein Opernmonstrum aus dem Jahre 1965 mit dem Ruf der Unspielbarkeit. Durch sein Libretto, das der Komponist nach dem Drama von Jakob Michael Reinhold Lenz selbst verfasst hat, kommt es aus der Vergangenheit.

Verwurzelt ist es in den Bedrohungen seiner Entstehungszeit und der Wut der Vorachtundsechziger. Vor allem aber bricht es alle ästhetischen Grenzen der Gattung auf und verweist so in die Zukunft. Die Zeitangabe des Librettos lautet denn auch "gestern, heute und morgen".

Andrea Schraads Kostüme greifen diesen Spagat durch die Zeiten direkt auf. Die Bühne wird beherrscht von einem riesigen Kreuz aus lauter Käfigen, zur Gefangenen- oder Frauenhaltung. Oder als bürgerliches Gefängnis. Diese Konstruktion bewegt sich vor und zurück. Lange Tafeln können von der Seite hinzukommen. Simultanität und schneller Szenen- und Stimmungswechsel sind so kein Problem. Die jüngsten beiden Versuche, dieses Ausnahmewerk der Moderne zu stemmen, liegen noch nicht lange zurück. Bei den Salzburger Festspielen hatte Regisseur Alvis Hermanis alle Register seines Hyperrealismus gezogen und einen historischen Bilderbogen aufgefächert.

Und in Zürich wendete sein Kollege Calixto Bieito den Instrumentenkasten seiner brutalen wie realistischen Methode auf Bernd Alois Zimmermanns Opus magnum an. Der bemerkenswerteste Unterschied zu diesen beiden Vorgängerinszenierungen ist die Musikalität, mit der es Kriegenburg gelingt, sowohl die Metaphorik der genialen Bühne von Harald B. Thor auszufüllen als auch im Detail aus der Musik heraus, man muss schon sagen: zu choreografieren.

Andreas Kriegenburg, dem in der letzten Zeit auch schon einmal Routiniertes unterlaufen ist, ist mit dieser Inszenierung in Hochform. Die gescheitelten und sich zackig bewegenden Soldaten sind in ihren stilisierten schwarzen Uniformen leicht mutierte Nachfahren ihrer unseligen deutschen Vorbilder.

Zwischen ihnen wird der Abstieg der Bürgerstochter Marie von der ambitionierten Braut zur Soldatenhure dank der phänomenalen Barbara Hannigan zum Totentanz einer geschundenen Seele. Sie ist eine zarte Frau, die durchs Leben schweben möchte, aber von der Brutalität der Männer zugrunde gerichtet wird.

Musik des Schreckens

Im Graben hält Kirill Petrenko den gewaltigen Apparat mit faszinierender Übersicht zusammen, lässt nie einen Zweifel aufkommen, dass es hier um Musik und nicht um den puren Lärm des Schreckens geht, und trägt damit seinen Teil zur völligen Kongruenz von Musik und Szene bei. Nun ist das Münchner Nationaltheater zwar nicht jener utopische Raum, der Zimmermann vorschwebte, aber so wie er diesmal genutzt wird, kommt er ihm möglicherweise recht nahe. Von wegen unspielbar! Man muss es halt nur können. Petrenko ist der unumschränkte Maestro, das gesamte Ensemble eine Idealbesetzung. Ob nun Michael Nagy als Maries braver Verlobter Stolzius oder Daniel Brenna als Desportes bis hin zu Hanna Schwarz als Maries Großmutter oder Nicola Beller Carbone als elegante Gräfin de la Roche: Vokaler Luxus ist allenthalben zu hören.

Surrealer Albtraum

So gerät der Abend zu einem surrealen Albtraum latenter Gewaltbereitschaft. Aus dem Menetekel der Atombombe aus der Zeit des Kalten Kriegs wird der Aufschrei geschundener Seelen im gleißenden Widerschein aktueller Katastrophen.

Am Ende ist der gesamte Saal völlig aus dem Häuschen. Ein Triumph zeitgenössischer Opernkunst. (Joachim Lange, DER STANDARD, 3.6.2014)