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Bühne und Konzert Stuttgarter Premiere

König Marke lässt die Hosen runter

„Wohin nun Treue, da Tristan mich betrog?“ König Marke (Attila Jun) kann’s nicht fassen, und Tristan (Erin Caves) wendet den Blick betroffen von des Königs Unterhosen „Wohin nun Treue, da Tristan mich betrog?“ König Marke (Attila Jun) kann’s nicht fassen, und Tristan (Erin Caves) wendet den Blick betroffen von des Königs Unterhosen
„Wohin nun Treue, da Tristan mich betrog?“ König Marke (Attila Jun) kann’s nicht fassen, und Tristan (Erin Caves) wendet den Blick betroffen von des Königs Unterhosen
Quelle: A.T. Schaefer
Ich Tristan, du Jane: In Stuttgart beschließen Jossi Wieler, Sergio Morabito und Sylvain Cambreling die Spielzeit mit einer abenteuerlichen Neuinszenierung von Wagners „Tristan und Isolde“.

An der Stuttgarter Oper ist ein Regisseur Intendant – heute eher eine Seltenheit. Aus guten Gründen sind auf dem Chefsessel längst eher die Ermöglicher als die Selbermacher gefragt. Die Oper in Stuttgart hatte dann auch unter Klaus Zehelein ihre bislang besten Jahre. Inszenierungen, die Chefsache sind, bergen immer Risiken für ein Haus. Ob Jossi Wieler da die Ausnahme wird, bleibt abzuwarten.

In den letzten zwei Jahren hatte Andrea Moses als starke Hausregisseurin für eine zweite dominierende Handschrift gesorgt. Diese nur gelegentlich, etwa durch einen Calixto Bieito, aufgelockerte ästhetische Doppelherrschaft ist Episode geblieben. Irgendwie hat das alles wohl doch nicht so gut geklappt.

Unstrittig gehören der Schweizer Wieler und sein künstlerischer Dauerpartner Sergio Morabito zu den sensiblen Könnern nicht nur im Ländle. Gerade weil man bei den beiden fast immer auf ihrem Niveau bedient wurde, war man jetzt umso verblüffter: Dieser „Tristan“, fünf Tage vor dem Start der Bayreuther Festspiele, ist richtig ärgerlich!

Hier ist extensives Bodenturnen angesagt

Wagner selbst nennt sein Opus „Handlung“; Wieler und Morabito machen daraus „Aktion“. Das erste ist ein irreführendes Etikett des Schöpfers, das auf das Innere verweist und dann doch nicht nur inwändig ist. Das zweite ist schlichtweg ein Irrtum. Zumindest, wenn man so mit Vollgas auf die Musik losgeht, parodiert und demontiert wie jetzt in Stuttgart.

Zwischen den Glitzer-Lianen im Zaubergarten des Mittelaktes albert das Paar wie Tarzan und Jane mit ihrem „Ich Tristan, du Isolde“ ausgelassen, vor allem gegen die Verklärung der Musik. Bloß kein „O sink hernieder, Nacht der Liebe!“ Hier ist extensives Bodenturnen angesagt. Wenn Tristan das Affenmännchen mimt und vermutlich das animalisch Ungesteuerte vorführt, dann ist das einfach nur peinlich. Nicht wie sie es machen und dabei noch singen, sondern dass sie es machen müssen, ist das Ärgernis.

Die Absicht, gegen übertriebenes Pathos und eine weihevolle Erstarrung anzuinszenieren, die angeblich die „Tristan“-Rezeption beherrscht, so das Programmheft, ist gut und schön. Die genau dem entsprechende Inszenierung hat aber Peter Konwitschny schon vor mehr als einem Jahrzehnt in München abgeliefert. Die Stuttgarter Zweitwagnertäter (ihr „Siegfried“ ist 15 Jahre her) parodieren und demontierten was das Zeug hält.

Dieser Opernkahn läuft schnell auf Grund

Die Bühne von Bert Neumann beginnt mit einer hochgestochenen Behauptung. Auf dem Vorhang ist Jeremy Benthams „Panopticon“ projiziert. Das ist eine Architektur gewordene Überwachungsutopie, bei der von einem Turm aus alle Zellen eines auf ihn ausgerichteten Rundbaus beobachtet werden können. Vorbild für diverse Gefängnisse oder die NSA – Netzvision aus dem 18. Jahrhundert.

Sicher findet sich da auch ein Zusammenhang zu einer Liebe, die an der (über-)wachenden Wirklichkeit scheitert. Irgendwie hängt ja alles mit allem zusammen. Der optische Coup beim Inflagranti-Ende der Liebesnacht, mit dem der rote Rundhorizont vor einer gleißenden Neonwand fällt, und auch uns blendet, ist aber keine Auflösung.

Dieser ganze „Tristan“-Kahn läuft aber nicht nur im dritten Akt und – bildlich gesprochen – im Großen und Ganzen mit einem Riesenleck auf Grund. Die Protagonisten verheddern sich auch im Kleinen so wie Tristan und Isolde beim Liebesspiel in den Seilen. Querverweise auf den „Fliegenden Holländer“ (wie die Geisterseeleute zwischen wogenden Pappwellen und Isolde am Spinnrad) kommen hier nur wie müde Kalauer daher.

Scharfe Buhs für den Regisseur

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Immerhin bleibt die Regie bei der Figurendemontage konsequent. Kurwenals Zuneigung (vielleicht Liebe) zu Tristan wird als hündische Unterwerfung auf allen Vieren ebenso denunziert, wie die Trauer des Königs über den Verrat durch eine Weinerlichkeit bei runtergelassenen Hosen. Brangäne liebt Hokuspokus, und Melot ist zur reinen Spottfigur mit Rigoletto-Buckel degeneriert. Dass Tristan bei Isoldes Schlussvision aufsteht und noch mal seine gesamte parodierende Bewegungschoreografie zusammenfasst, bevor er einfach zur Seite abgeht, ist zwar konsequent – neu oder originell ist es nicht.

Und musikalisch? Auch Stuttgarts Generalmusikdirektor Sylvain Cambreling meidet das Rauschhafte der Musik, seziert mehr als er atmet (oder dem Hörer den Atem verschlägt), lässt sich auf die Veräußerlichung ein, mit der die Protagonisten aufs Armereck- und Händering-Theater reduziert werden. Erin Caves scheut als Tristan kein vokales Risiko, ist auch im dritten Aufzug erstaunlich kraftvoll. Christine Iven spielt als Isolde ihr wunderbares Piano und die schöne Mittellage so oft aus, dass man die fahle Höhe hinnimmt. Tadellos dagegen bewähren sich Shigeo Ishino als Kurwenal und Katarina Karnéus als Brangäne. Attila Jun ist auch in Unterhose ein Marke-Ereignis von Rang.

So viele Buhs musste Jossi Wieler schon lange nicht einstecken. Am Ende fragt man sich, ob das „nur“ der Demontageversuch eines zentralen Werkes der Opernliteratur oder ein ästhetischer Paradigmenwechsel Jossi Wielers war. Das erste wäre zu verschmerzen, das zweite aber wäre wirklich schade.

Termine: 23., 27. Juli

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