Vor diesem Wiener Wald muss sich keiner fürchten

(c) APA/DIETMAR STIPLOVSEK
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Die Uraufführung von HK Grubers "Geschichten aus dem Wiener Wald" in Bregenz zeigt: An die Abgründigkeit der Vorlage kommt man schwer heran.

Draußen in der Wachau“ steht sie noch, die Zither der Großmutter. Doch diesmal stimmt die garstige Alte nicht die wehmütig süße Melodie der „Geschichten aus dem Wiener Wald“, den namensgebenden Strauß-Walzer für Ödön von Horváths Volksstück, an. Anja Silja, die großartige, sekundenschnell präsente, einstige Hochdramatische, sitzt hinter Betonpaneelen, wie sie heute entlang der Wachauer Bundesstraße vor Hochwasser schützen sollen. Sie greift giftig in die Saiten, entreißt der Zither nur ein paar krachend böse Töne.

Diese Wachau ohne „Wiener Wald“ steht also im Festspielhaus von Bregenz, wo Heinz Karl Grubers musikalische Dramatisierung des Stoffes ihre Uraufführung erlebt hat. Es ist ein Auftrag an den Wiener Komponisten. Regisseur Michael Sturminger war es, der Gruber vor Längerem das Stück zur Vertonung vorgeschlagen hat. Als der Bregenzer Intendant, David Pountney, später an Gruber mit der Bitte um eine neue Oper herantrat, dachte man an etwas Komisches – und kam dann doch auf Horváth zurück. Sturminger hatte bereits das Libretto fertig. Besser: Horváth auf die wichtigsten Szenen verknappt.

Mördergruben der Wienerherzen

Die Handlung setzt mit der dritten Szene ein, dem Ausflug an die Donau, bei dem der Abstieg von Marianne ihren Anfang nimmt. Davor steht eine Art Prolog. Marianne, die Lichtgestalt, taucht nach ein paar heftigen Anfangsakkorden aus Wabernebel auf und singt glockenhell zerbrechlich und schmeichelnd tonal ihr „Lied von der Wachau“, bevor sie in den Mördergruben der Wienerherzen zerrissen wird. Heiter beginnt es noch an der Donau, bis sich Marianne aus der von ihrem despotischen Vater arrangierten Verlobung mit dem feist-fiesen Fleischhauer Oskar hinaus in die Arme des Hallodri Alfred wirft. Sturminger und Gruber platzen gleich mit den Tatsachen heraus. Wer Horváths Vorlage nicht kennt, wird einige Zeit benötigen, um sich in diesem Getummel an der Donau zurechtzufinden. Auch mangelt es Sturmingers grundsolider Regiearbeit doch an Schärfe. Da hätte man sich manches in dem nüchtern wandelbaren Dekor von Renate Martin und Andreas Donhauser durchaus handfester und präziser gezeichnet gewünscht.

Ein wenig zu oft erstarren die Sänger singend in ihren Posen. Vielleicht liegt es auch daran, dass sie von Grubers Vertonung stark gefordert sind. Er lässt seine Sänger viele Passagen des Textes schnell sprechgesangsartig ausführen. Darunter hat er, selbst am Pult der famos aufspielenden Wiener Symphoniker stehend, einen farbenfrohen Klangteppich ausgelegt. Ein reich collagiertes, lebendig filigranes Paralleluniversum, bei dem sich keiner vor zu neuen Klängen fürchten muss. Und das oft nach Grubers großem Vorbild Strawinsky schielt, vergnügt Weill und Eisler ins Gedächtnis ruft, Jazziges, Schlager, Walzer und andere Tänze zu einem dichten und dennoch auch eigenständigen Muster verwebt, das Sänger aber nicht wirklich Halt gibt. Das Ergebnis klingt meist leicht und ansprechend, fordert rhythmisch aber gewaltig. Der Titelwalzer darf nur aus dem verstimmten Piano in der „Stillen Straße“ dröhnen.

Ilse Eerens, eine eindringliche Marianne

Mit seinen „Geschichten aus dem Wiener Wald“ beweist HK Gruber seine geschickte Theaterpranke, die jedoch noch mehr Krallen hätte zeigen dürfen. Die Abgründigkeit, die Ironie, die Brutalität, die aus Horváths Text spricht, schimmert nur durch. Manche der hart gedrechselten Sätze des Stücks verweichlichen gar, wenn sie Gruber, um auch ariose Passagen einflechten zu können, mehrmals wiederholen lässt. Die Sänger bewältigen allesamt bewundernswert ihre neuen Rollen. Ilse Eerens ist mit ihrem hellen Sopran eine eindringliche, anrührende Marianne, die ihrem Oskar (Jörg Schneider glänzt mit seinen lyrischen Tenorqualitäten) doch nicht entkommen kann. Mit schöner stimmlicher wie darstellerischer Lebendigkeit kann Angelika Kirchschlager als Valerie punkten, ebenso Albert Pesendorfer als beinahe zu sympathischer Zauberkönig, während der Alfred von Daniel Schmutzhard recht eindimensional ausfällt.

Am Ende, wenn Marianne verzweifelt und resigniert, fährt Gruber den Apparat noch einmal hoch: zum großen, dramatischen Duett. Bei Horváth liest sich das anders. Aber vielleicht war es die Lust, dem Werk einen jubelgerechten Schlusspunkt zu geben. Bei der Uraufführung hat es gewirkt.

DIE BREGENZER FESTSPIELE

Eröffnung. Zum Auftakt der letzten Bregenzer Festspiele unter Intendant David Pountney wurden am Mittwoch HK Grubers „Geschichten aus dem Wiener Wald“ nach Ödön von Horváth uraufgeführt. Die Koproduktion mit dem Theater an der Wien ist noch am 27.7. und am 3.8. in Bregenz zu sehen und wird im März 2015 vom Theater an der Wien übernommen. Auf dem See wird bis 25. August die „Zauberflöte“ gezeigt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.07.2014)

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