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Walzerklang

Walzerklang tönt nur noch von ferne

Kultur / Lesedauer: 4 min

Bregenzer Festspiele mit der Oper „Geschichten aus dem Wiener Wald“ eröffnet
Veröffentlicht:24.07.2014, 17:29

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Am Schluss nimmt Oskar seine Marianne auf den Arm und trägt sie halb triumphierend, halb fürsorglich weg. Er ist am Ziel, sie aber eine zerstörte Frau. Davor singen beide großartig aneinander vorbei. Er erinnert sie an den Tag, als sie die gemeinsame Verlobung platzen ließ und mit dem Filou Alfred durchbrannte. Damals habe er ihr bereits prophezeit, dass sie seiner Liebe nicht entgehen werde. Sie hingegen beklagt, dass Gott ihr keine Antwort auf die Frage gab, was er mit ihr vorhabe.

Im Duett behaupten beide ihre Position gegeneinander und schaukeln sich im grandiosen Kampf der Stimmen hoch. Was zu todtraurigen Bläserklängen begann, mündet in tobenden Orchesterlärm. Mit ihm endet Heinz Karl Grubers Auftragsoper „Geschichten aus dem Wiener Wald“, die jetzt zur Eröffnung der Bregenzer Festspiele uraufgeführt wurde. Die Koproduktion mit dem Theater an der Wien wird dort im nächsten Frühjahr übernommen. Intendant David Pountney hatte sich von Gruber ursprünglich eine „echte Buffa“ gewünscht.

Der 1943 in Wien geborene Komponist, Dirigent und Chansonnier wollte jedoch Ödön von Horváths Tragikomödie „Geschichten aus dem Wiener Wald“ vertonen. Pountney ließ sich überzeugen. Statt eines „Songspiels“ in der Art von Kurt Weill, wie sich das Horváth einst ertäumte, hat Gruber nun freilich eine durchkomponierte Oper geschrieben. Das Libretto ließ er sich von Michael Sturminger einrichten, der zwar den Text der Vorlage gekürzt, aber nur originale Horváth-Sätze verwendet hat.

Die Partitur imponiert mit ihrer gelungenen Mischung aus komplexer Faktur und hörerfreundlicher Oberfläche. Gruber hat großen Wert auf Textverständlichkeit und Kantabilität der Solopartien gelegt. Der brillant instrumentierte Orchestersatz darf in Zwischenspielen mächtig aufrauschen. Sobald jedoch gesungen wird, tritt er dezent zurück, um leichtfüßig die am Sprechtempo orientierten Dialoge zu begleiten. Das verliert sich streckenweise in etwas trockenem Parlandoton, gewinnt aber immer wieder atmosphärische Qualitäten.

Als unauffälliges Leitmotiv dient ein fragmentarisches Zitat des titelgebenden Strauß-Walzers, das auf einem verstimmtem Schifferklavier gespielt wird. Bei Szenenübergängen weht das Motiv immer wieder wirkungsvoll aus dem Off herein. Dem „Lied von der Wachau“ hat Gruber eine volkstümlich vertraute Melodie gegeben, der die Begleitung jedoch stets die Grundtonart verweigert – ein ohrenfälliges Pendant zur Doppelmoral der Protagonisten. Bei der Szene im Nachtlokal spielt eine kleine Combo (Jazzorchester Vorarlberg) auf der Bühne. In vielschichtigen Ensembles trifft ariose Eindringlichkeit auf erschütternde Orchesterdramatik.

Michael Sturminger (Regie) hat die bittere Satire über die Verlogenheit und den fiesen Egoismus des Wiener Kleinbürgertums in die Gegenwart verlegt. Details erinnern gleichwohl an die dreißiger Jahre des Originals. Im Hintergrund zeigt ein großer Fotoprospekt ferne Hochhäuser hinter einem Wald. Davor sieht man eine Wasserfläche. Ihr strebt anfangs die Verlobungsgesellschaft in Badekleidung zu, während sich im Vordergrund der veritable Skandal um Marianne und Alfred anbahnt (Bühne und Kostüme: Renate Martin und Andreas Donhauser).

Später sieht man eine Ladenpassage mit den Eingängen zu Oskars Fleischerei, Valeries Souvenir-Shop und zum Haus von Mariannes Vater. Im glitzernden Nachtlokal „Maxim“ turnen „nackerte“ Revuegirls an Stangen. Gäste sitzen auf schwarzen Ledersesseln. Bewegliche Kulissen ermöglichen szenisch fließende Übergänge. In ständig wechselndem Ambiente spitzen sich die unterschwelligen Brutalitäten der Figuren zu. Auch bei Gruber fehlt keine der wichtigen Personen der Vorlage. In Bregenz sind die vielen unterschiedlichen Charaktere vokal und darstellerisch rollendeckend besetzt.

Ilse Eerens findet als schüchterne Marianne zu tragischer Größe. Daniel Schmutzhard (Alfred), Jörg Schneider (Oskar), Michael Laurenz (Erich), Angelika Kirchschlager (Valerie), Albert Pesendorfer (Zauberkönig), Anke Vondung (Mutter), Robert Maszl (Hawlitschek), Alexander Kaimbacher (Ferdinand) und nicht zuletzt Altstar Anja Silja als beinharte Großmutter begeistern mit sensationellen Leistungen. Bei der Premiere gab es einhelligen Applaus für alle Beteiligten, besonders aber für den dirigierenden Komponisten am Pult der Wiener Symphoniker.

Weitere Vorstelleungen von „Geschichten aus dem Wiener Wald“: 27. Juli und 3. August; Informationen und Tickets: www.bregenzer-festspiele.com