WELTGo!
Journalismus neu erleben und produktiver werden
Ihr Assistent Journalismus neu erleben und produktiver werden
WELTGO! ENTDECKEN
  1. Home
  2. Kultur
  3. Bühne und Konzert
  4. Salzburger Festspiele: Lauter alte Liebesakte(n)

Bühne und Konzert Salzburger Festspiele

Lauter alte Liebesakte(n)

Freier Feuilletonmitarbeiter
Gerangel um Mozart: Andrew Staples (Ottavio), Alessio Arduini (Masetto), Anett Fritsch (Donna Elvira), Valentina Nafornita (Zerlina) und Lenneke Ruiten (Donna Anna) schlagen auf den als Giovanni verkleideten Leporello (Luca Pisaroni) ein Gerangel um Mozart: Andrew Staples (Ottavio), Alessio Arduini (Masetto), Anett Fritsch (Donna Elvira), Valentina Nafornita (Zerlina) und Lenneke Ruiten (Donna Anna) schlagen auf den als Giovanni verkleideten Leporello (Luca Pisaroni) ein
Gerangel um Mozart: Andrew Staples (Ottavio), Alessio Arduini (Masetto), Anett Fritsch (Donna Elvira), Valentina Nafornita (Zerlina) und Lenneke Ruiten (Donna Anna) schlagen auf de...n als Giovanni verkleideten Leporello (Luca Pisaroni) ein
Quelle: REUTERS
Nachts im Mozart-Opernmuseum: Mit Sven-Eric Bechtolfs Inszenierung von Mozarts „Don Giovanni“ wurden Salzburgs Festspiele eröffnet. Es sieht alles aus, als wäre es 25 Jahre alt. Es klingt auch so.

In Zürich war es 2006 eine Mischung aus Bar und Ballsaal, jetzt ist es eine Hotelhalle – mit Bar. Dabei kann man Salzburgs Schauspielchef und bald auf zwei Jahre interimistischem Intendanten Sven-Eric Bechtolf gar nicht vorwerfen, dass er sich in seiner zweiten Regie-Annäherung an „Don Giovanni“ wiederholen würde. Vieles ist jetzt ganz anders. Man erlebt, terminiert als Opernauftakt des diesjährigen Festivals an der Salzach und Mittelstück der mit Christoph Eschenbach am Pult erarbeiteten Mozart-/Da-Ponte-Trilogie, keinen Aufguss. Trotzdem ist es ziemlich alt aussehendes und sich anhörendes Musiktheater.

Gefühlte 25 Jahre könnte diese Inszenierung klanglich wie optisch auf dem Buckel haben. Wir sind in einem dieser hübsch glatten, aber auch öd nichtssagenden Einheitsgelasse, wie sie Rolf Glittenberg schon Anfang der 90er, gern holzvertäfelt, in zeitloser Eleganz baute. Auch an den fein fallenden Roben, die seine Frau Marianne hat schneidern lassen, ist nichts auszusetzen, außer dass Reptilienprint für den ewigen Verführer eben ziemlich out ist.

Giovanni sieht gut aus, schmiert sich aber durch die Noten

Darüber hinaus darf Ildebrando d’Arcangelo, der – wie sein ewiger, gepflegt lyrisch und schön singender Leporello Luca Pisaroni – die Rolle auch schon ziemlich lange (oft auch im Tandem) singt, noch nackte Arme unter der Abendweste zeigen, einen roten Samtanzug vorführen und im Frack bella figura machen. Dafür freilich schmiert die etwas knarzig gewordene, nicht mehr so leicht anspringende Stimme nonchalant durch die Noten, auch mit den rhythmischen Werten nimmt er es nicht so genau.

Der längst bekennende Wertkonservative Bechtolf mag sich mit dem üblichen Giovanni-Weltbild unserer Regietage – ein angeödet ausgehöhlter Cyber-Pornograf in der Internetsexhölle – nicht anfreunden. Das ehrt ihn. Er besteht auf den für das Schöpferduo so wichtigen sozialen Unterschieden zwischen den Protagonisten. Und er mag den von seiner Libido gehetzten Libertin, der sich alles nimmt, weil er frei ist, unbedingt als „romantischen Held von metaphysischen Dimensionen“ sehen.

Realismus wird hier nur behauptet

Alles schön. Das hätte man gern in einer intelligenten, heutigen Interpretation gesehen. Aber warum führt Bechtolf dann so banal sein Personal vor? Warum dieser Giovanni immer nach der nächsten Zofe hechelt, wenn er gerade noch dem Stubenmädchen Zerlina (die schönste, charakteristischste Stimme des Abends: Valentina Nafornita) im Duett die Hand reicht und den Busen begrabscht – es wird nicht klar. In diesem seltsamen Grand Hotel, das mit den bereits problematischen Zeitangaben der Vorlage (etwa 24 Stunden, beginnend mit Donna Annas Vergewaltigung) vollends aus den Fugen gerät, stimmt nichts wirklich, obwohl beständiger Realismus behauptet wird.

Während der Ouvertüre, die Eschenbach und die seidig säuselnden Wiener Philharmoniker bereits so schokoladenüppig und dabei biskuitweich nehmen wie den Rest der Partitur, verharrt die glamouröse Statistengesellschaft still, die Einzelfiguren schälen sich heraus und Don Giovanni checkt ein. Das Licht ist kalt, Nebel dräut, eine rote Teufelsfratze taucht hinter dem Tresen auf ,ein nackter weiblicher Satan wartet im zentralen Zimmer oben auf der Galerie. Doch die Hoffnung, Bechtolf könnte sich hier der kalten Vivisektionshaltung von Pasolinis „Saló oder die 120 Tage von Sodom“ anschließen, ist so schnell verblasen wie die Kunstwolken.

Der große Budenzauber im Grand Hotel

Es bleibt ein Budenzauber. Da treffen sich Politpopanze (etwa der dröhngewaltige Thomas Konieczny als Komtur), Klerus und Militärs, es wird nicht erklärt, warum. Donna Anna (die ordentliche, aber anfangs schrille, unpersönliche Lenneke Ruiten) geht sehr bestimmt ins Zimmer, aus dem später Giovanni rennt, und sie ist es, die das Messer führt, mit dem dieser ihren Vater mordet.

Sie zieht sich dauernd um. Der blöde, begriffsstutzige Leporello, den Luca Pisaroni mehr und mehr als Deppen stilisiert, behält aber seinen Ledermantel die ganze erste Opernhälfte an. Im Hotel heiraten nachts die Dienstboten (der viril ölige Barkeeper Masetto von Alessio Arduini gefällt mit Stimme wie Sixpack) und feiern unverfroren.

Die Teufel kommen aus der Küchentür

Ständig kommen die falschen Leute aus der Küchentüre. Anfang des zweiten Aktes scheint der Morgen der Abreise zu glimmen, aber weil die Oper noch weitergeht, wird es wieder dunkel, und die Koffer, aus denen Leporello vorher auch in der Registerarie einen Stapel alter Liebesakte(n) hervorgekramt hat, stehen weiter rum. Weil Annas Verlobter Ottavio, hier ein Militär, bekanntermaßen ein Schwächling ist, muss er Arien singend im Sessel verharren; Andrew Stapels singt ihn dementsprechend eindimensional und steif, freilich mit geläufiger Koloratur.

Anzeige

Sehr bekannt dünkt uns zudem die Donna Elvira, Giovannis Ex-Frau im schlammbespritzten Brautkleid, als Gin-Junkie. Anett Fritsch ist anfangs auch zu laut und grob, singt aber ihre „Mi tradi“-Arie mit Aplomb und Allüre. Zum höllischen Finale, wo es rot raucht und blitzt, die Satane in Brigadestärke aus der Küchentür marschieren wie die Schachtelteufel aus dem „Jedermann“-Finale, darf sie sich dann ihr Nonnenhabit überwerfen, während Giovanni einfach umfällt.

Das Metaphysische ist bloß ein Theatertrick

Überhaupt das Metaphysische: bei Sven-Eric Bechtolf sind es nur Ausflüchte und Theatertricks. Der steinerne Gast zeigt sich erstmals, als Giovanni sein Ständchen im zweiten Akt singt, dann steht er weißgeschminkt hinter einer Gedenkbüste, die plötzlich in der Hotelhalle eingerichtet wird, und die später Anna wie ein Baby wiegen wird. Zum Finalsextett erhebt sich natürlich der tote Giovanni wieder und hechelt weiter – unbelehrbar und wenig erfolgreich – dem Duft der Frauen hinterher. Der aber müffelt hier vernehmlich nach Mottenkugeln.

Dem Tandem Bechtolf und Eschenbach – als Ersatz für den abgesprungenen Franz Welser-Möst (der am Freitag im neuen „Rosenkavalier“ seinen Frieden mit den Festspielen und Alexander Pereira machen wird) – ist in Salzburg die große Ehre wiederfahren, als erstes Duo alle drei Mozart-/Da Ponte-Opern herauszubringen.

Wirklich schlecht ist’s nicht, Herausragendes fehlt aber auch

Nach der arg gezausten „Così fan tutte“ vom vergangenen Jahr ist der „Don Giovanni“ nun nicht wirklich schlecht geworden. Aber eben auch nicht sonderlich gut, herausragend gar. Man wähnt sich wie nachts im Mozart-Opernmuseum. Viel Bekanntem, wenig Originellem, manch Ratlosem begegnet man auf diesem historisch anmutenden Parcours. Nicht alles klingt präzise, oft kuschelt es nur. Eschenbach ist bemüht, streichelt seinen Amadé, aber so preziös und zahnlos zuckerschnutig mag man ihn einfach nicht mehr hören.

Den Salzburger Festspielen wird, wie auch Bayreuth in Sachen Wagner und von wem auch immer, ein Exzellenzanspruch, ja eine Art Führungsrolle in Sachen Mozart-Interpretation zugesprochen. Dem meistenteils jubelnden Premierenpublikum scheint das nach den dirigentischen Aufklärern Harnoncourt, Minkowski, Nézet-Séguin und Ticciati wieder völlig egal zu sein, es darf nur nicht (ver)stören.

Diesen Gefallen tut ihm der neue, dabei altbackene „Don Giovanni“, der sich so stur wieder hinter dem Zeitgeist bewegt. Was aber mit Sicherheit keine vorauseilende Avantgarde ist. Nur die Endlosschleife mäßig kreativer Tradition.

Termine: 30. Juli, 3. (live auf Servus TV, zeitversetzt auf Classica), 6., 12., 15., 18. August

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema