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"Don Giovanni": Auf der Reise zur Hölle der Gier

Mozart und "Don Giovanni": Das ist bei den Salzburger Festspielen eine wechselvolle Geschichte. Ist die aktuelle Produktion mutig genug, neue Wege zu suchen?

"Don Giovanni": Auf der Reise zur Hölle der Gier
"Don Giovanni": Auf der Reise zur Hölle der Gier
Hotels sind rätselhafte Durchgangsstationen. Flüchtig kreuzen sich für Momente Lebensläufe, die Menschen sind einander in vertrauter Fremdheit nahe und fern zugleich. Im Zwischenreich von Lobby und Bar passieren Schicksale, von denen man nichts Genaues weiß. Sie kommen, verweilen kurz und gehen: Passagen. Und was hinter den Zimmertüren passiert, das geht ohnehin niemand etwas an.

Die Halle eines Grand Hotels hat Bühnenbildner Rolf Glittenberg für den neuen "Don Giovanni" der Salzburger Festspiele in schwere, dunkle Holzvertäfelungen gekleidet, die Beleuchtung bleibt diffus, bis das tatsächlich Überwirkliche eintrifft. Da erleuchtet sich (in der Vorlage heißt das: Friedhofsszene) ein Bodenrechteck neongrell. "Was für eine Nacht. Heller als jeder Tag", singt Don Giovanni rätselhaft. Er ist Lüstling, unersättlich Lebensgieriger, aber auch Mörder, Vergewaltiger, Hurenbock. Und unerschrockener, kompromissloser Herausforderer des Schicksals, der den Tod nicht fürchtet, weil er ihn negiert.

In diesem Ambiente mit seinen Treppen, Galerien und Türen, hinter denen Geheimnisse wohnen, ließe sich Mozarts und da Pontes "Don Giovanni" durchaus aufregend erzählen. Die Ansätze, die Regisseur Sven-Eric Bechtolf findet, sind ja auch nicht schlecht. Als erfahrener Schauspieler und handwerklich versierter Regisseur weiß er, wie man Personen führt, Konstellationen schafft, Beziehungen herstellt. Im ersten Akt gelingt das durchaus mit Leidenschaft und Furor. Dann geht ihm spür- und sichtbar die Luft aus. Die Abgründe, die diese Regie mehr an- als aufreißt, das letztlich Metaphysische gar: Sie werden nicht (mehr) inszeniert, sondern nur noch routiniert gestellt. Genau dort, wo es interessant zu werden verspricht, zieht sich Bechtolf auf eine nur ordentliche Erzählung der Story zurück.

Bertholf wagt etwasAber: Mozart nur "ordentlich" ins Bild zu setzen, den "Don Giovanni", die "Oper aller Opern", zumal, ist zu wenig. Auf ihre Art sind da, nur die Salzburger Festspiele genommen, alle starken, auch großen Inszenierungen oft, aber mit Mut bis über den Rand des Möglichen gegangen: Patrice Chereau, Martin Kušej, Claus Guth. Die Gefahr des Scheiterns inklusive. Aber: Sie haben sich allein durch ihr Risiko in die jüngere Festspielgeschichte eingeschrieben. Bechtolfs Arbeit wird das wohl versagt bleiben.

Dabei wagt auch er etwas. Wir haben uns ja schon daran gewöhnt: Don Giovanni ist ein verlebter Lebemann, ein alternder Sexprotz, dem nichts mehr gelingt, ein Verlorener ohne Halt, ein Junkie, der die letzte Runde seines Lebens dreht.

Das alles ist der neue Don Giovanni im "Haus für Mozart" nicht. In Gestalt von Ildebrando d'Arcangelo ist er, mit dunkler, bassestief grundierter Stimmfarbe, ein Mannsbild, in dem das Testosteron explodiert. Die langen schwarzen Haare nach hinten gegelt, in schwarzer Hose und Hemd und Schlangenmustermantel zeigt er bodygebuildete Muskeln, die gut und gerne darauf schließen lassen, dass er auch Ähnliches in der Hose haben könnte. Als er jedenfalls Zerlina, das Bauern- (hier dem Ambiente gemäß ein Dienst-)Mädchen, zu sich einlädt, kümmert er sich mittendrin im Duett ("La ci darem la mano") gar nicht mehr um die eben Eroberte, sondern ist schon hinter der nächsten Zimmermädchen-Kittelschürze her.

Alle werden Handlanger seiner ObsessionenKein Wunder dann, dass der amouröse Multitasker, der kein Charakter, sondern ein Typus, eine emblematische Figur ist, der alle anderen zu Handlangern seiner Obsessionen werden lässt, am Ende von den Toten aufersteht. Alle Überlebenden geisterhaft galant verabschiedend, sucht er sich sofort ein neues Mädchen: der Verführer als ewiger, unersättlicher Lüstling, als Prinzip der (Sex-)Gier, als infernalischer (Böse-)Wicht, dem selbst die rotglühenden Höllenteufel nichts anhaben können.

Warum nur hat Regisseur Bechtolf so viel Scheu davor, das nicht nur nett und unverbindlich zu illustrieren, sondern ihm eine szenische Tiefendimension zu geben?

Vielleicht hätte es nur eines musikalischen Partners bedurft. Der Dirigent Christoph Eschenbach ist es nicht. Zwar liegt ihm die Dramatik des "Don Giovanni" näher als das filigrane Beziehungsgeflecht von "Così fan tutte" vor einem Jahr. Die groß besetzten Wiener Philharmoniker werden zu romantisch-pastosem Farbauftrag angehalten, sie klingen aber auf weite Strecken nur hemdsärmelig, klobig, oft über Gebühr laut, plump, ja: vulgär. Und sie spielen zu oft zu schlampig. Wo bleiben Mozart'sche Schreckens-, wo bleiben erst recht: die Herztöne? Da gibt es keine Idee einer Interpretation, die herausfordern könnte.

Je stärker der Druck aus dem Kessel des Orchestergrabens steigt, desto größer wirkt der Druck auch auf die Stimmen und ihre Energien. Das deutlichste Opfer: Anett Fritsch als zur bloßen Rachefurie hochgetriebene, wie übersteuert klingende Donna Elvira, deren Sopran je länger je mehr auch im Vibratoraum zu schlingern beginnt. Zwischentöne müssen in diesem pauschalen Kraftakt allzu sehr auf der Strecke bleiben.

Verhaltene Lenneke RuitenLenneke Ruiten bleibt als Donna Anna lange (noch) zu verhalten, gibt vor allem (zu) wenig Resonanz und abgestützte Substanz im tieferen Bereich ihrer Stimme zu erkennen. Auch das große Schlussrondo baut sie vor allem von der Höhe her - das aber zuletzt so, dass man endlich nach drei Spielstunden ein paar wirklich von innen heraus bewegende, anrührende Mozarttöne vernimmt.

Wer sich an sein nasales Timbre gewöhnt, wird solche zwar auch bei Andrew Staples als Don Ottavio spüren, dafür bleibt aber die Farbe seines Tenors zu eintönig, die Ausdrucksintensität zu schmal.

Don Giovanni und sein (geschundener) Diener in allen Lebenslagen, Leporello, sind hier ein eigenartig "verkehrtes" Paar. Ildebrando d'Arcangelo treibt den Giovanni-Bariton deutlich in die Tiefe, viril und dunkel, markant und kräftig, glutvoll und leidenschaftlich. Dafür stößt er in den zarten Momenten, etwa im Ständchen, deutlich an die Obergrenzen seines Tonumfangs.

Luca Pisaroni ist an seiner Seite kein kerniger Bassbuffo, sondern eine intelligente, immer mit leichtem Parlandoton und flexibel schattiertem Organ ausgestattete, also variantenreich agierende Spielfigur aus einem Guss.

Dass im Ensemblegefüge Valentina Naforita als Zerlina eher schwer, Alessio Arduini als Masetto sehr elegant besetzt sind: Hat das vielleicht tiefer gehend damit zu tun, dass sie keine Bauersleute mehr sind, sondern Hotelbedienstete?

Im Spannungsfeld zwischen Libertin und Ordnungsmacht, in das Bechtolfs Regie diesen "Don Giovanni" auch stellt, macht der erzene Bass von Tomasz Konieczny als Komtur unerbittlich unbeugsame Figur. Der Commendatore, Auslöser der rasanten Sturzfahrt in den Tod, fällt hier übrigens durch einen Messerstich seiner Tochter, die ihn zwar mit der Hand des Verführers tötet, mit dem unabsichtlichen Vatermord aber womöglich auch eigene Traumata bewältigt. Noch ein Ansatz, den zu verfolgen spannend gewesen wäre.

Sängerisches Fazit: Die divergierenden Einzelkräfte wirken doch zu heterogen auf die Mozart'sche Ensemblekultur, die Balancen austesten statt Gewichte in die Waagschale legen sollte und auf deren Neuaufbau gerade in Salzburg Intendant Alexander Pereira so viel Wert legen wollte. Ein junges, neues Mozartensemble: Es ist hier leider wieder nicht zu hören.

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