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Il trovatore: Erinnerungen, die wirken wie gemalt

Anna Netrebko ist ein Ereignis. Sie singt Verdi golden strahlend. "Il trovatore" spielt sich derweilen mit Farben und Gemälden.

Il trovatore: Erinnerungen, die wirken wie gemalt
Il trovatore: Erinnerungen, die wirken wie gemalt


Irgendetwas stimmt hier nicht ganz. Wir sind im Gemäldesaal eines Kunstmuseums. Ein Führer erklärt einer Schar von Besuchern in obligater Alltags(touristen)kleidung anhand von Porträtbildern eine komplizierte (Familien-)Geschichte. Die Aufsichtspersonen sitzen unbeteiligt da. Eine beginnt zu singen: "Die Nacht war ruhig und still." Und sie erinnert das Lied eines Troubadours.

Erinnerung überhaupt: Nach und nach steigen die Personen in historische Kostüme. Sie sind nicht wirklich die Personen der Gemälde, ahmen auch nicht ihre Haltungen nach. Und doch sind sie wie in einer seltsamen Zeitverschiebung Teil einer pittoresken Vergangenheit.

Und alsbald benehmen sie sich auch so, als wären sie nicht nur in einem Kunst-, sondern zugleich auch in einem Opernmuseum. Man gibt dort "Il trovatore" von Giuseppe Verdi. Das ist eine der absonderlichsten Geschichten der Opernhistorie. Man kann diese Intrigen, Verwechslungen, fatalen Zufälligkeiten von Schicksalsschlägen, Liebes- und Hass- und Leidenschaftsstorys mit unübersichtlichen Rückblenden und Querverweisen gar nicht nacherzählen. Irgendwie geht es um zwei Männer, die nicht wissen, dass sie Brüder sind, die sich bekriegen um Macht, Einfluss und vor allem um dieselbe Frau. Was soll man heute mit dieser Oper? "Herrlich" und "fantastisch" fand das der Komponist 1852 und war Feuer und Flamme, auch im tragischen Wortsinn: Denn das Schicksal nimmt seinen Lauf, lang bevor das Drama beginnt - mit der Zigeunerin Azucena, die versehentlich ihr eigenes Kind ins Feuer wirft.

Zum bloßen Nachspielen zu verwirrend und einfältig ist diese Oper. Was soll man heute damit? Es gibt Wege: in Brüssel vor einiger Zeit in die bedrängend klaustrophobische Erinnerungspsychologie, in Wien und Berlin in den knallbunten Comicstrip. Oder eben, wie seit Samstag im Großen Festspielhaus in Salzburg, ins Museum. Alvis Hermanis erzählt dort eigentlich eine ganz andere Geschichte. Somit stimmt hier wirklich irgendetwas nicht ganz.

Der Regisseur, der wie immer auch sein eigener Raumerfinder ist, flüchtet sich in eine realistisch penibel und pingelig ausgemalte Historie, die zugleich wundersam surreal ist. Permanent beginnen sich die Bilderwände zu bewegen, hin und her, vor und zurück zu fahren, behängt mit einem ganzen Arsenal von wechselnden Bildern: Porträts und jeder Menge Mutter-mit-Kind-Darstellungen. Als sei das nicht schon genug, fahren auch noch gelegentlich die Decken herunter und sind weitere Projektionsflächen. Jede Pose wirkt einen Tick zu ausgestellt Mittendrin spielen die Personen, zuweilen beobachtet von den irreal auftauchenden Museumsbesuchern aus unserer Gegenwart, gute, alte Oper - so vielleicht, wie sie immer noch das Gros der Opernbesucher lieben könnte: museal, in Posen, an der Rampe. Herrlich! Fantastisch! Und der Chor gruppiert sich zu den denkbar malerischsten Tableaux. Die mannigfaltig abgestuften Rottöne der Kostüme von Eva Dessecker: eine luxuriöse Augenweide. Das Licht von Gleb Filshtinsky: ein Traum.

Und doch stimmt hier wieder etwas nicht ganz: Jede Pose wirkt einen Tick zu ausgestellt, jede Gruppierung einen leichten, kaum merklichen Dreh zu perfekt, zu gewollt, zu artifiziell. Es ist, als ob der Regisseur mit einem ironischen, vielleicht gar leicht süffisant-zynischen Lächeln mit den Erwartungshaltungen an das Schöne, Prachtvolle spielen wollte. Man hegt immer den leisen Verdacht, er wolle das Publikum hinters Licht führen.

Und ja, dann passiert es doch tatsächlich: Im vierten, letzten Teil wird das Museum leergeräumt, die Gemälde sind abgehängt. Und übrig bleibt vor leeren Wänden: ein einsamer, wie auf sich selbst zurückgeworfener Mensch. Leonora hat das schwere Kostüm abgelegt, ist wieder in die Aufsichtsperson geschlüpft und singt - ganz ohne Posen, dafür ganz bei sich - ihre große Abschiedsszene: "Auf den rosigen Flügeln der Liebe". Netrebkos Stimme wirkt wie pures Gold Das sind die überwältigendsten Momente der unvergleichlichen Anna Netrebko an diesem Abend. Mit schlichter, inniger, herrlich gespannter Kantilene, bruchlos durch alle Register, immer auf der idealen Linie und auf einem wunderbar strömenden Atem, dazu befähigt zu den leuchtendsten Farben und allerfeinsten Nuancen und Schattierungen, wirkt diese Stimme derzeit wie pures Gold. Dabei hat sie eine Fülle und Wärme des Ausdrucks und eine gleichsam natürlich gewachsene Dramatik der Leidenschaft, die ihresgleichen sucht.

Das sind aber auch die tollsten Momente des Dirigenten Daniele Gatti, der mit akribischer Beharrlichkeit die ungewöhnlichsten Farbwerte sucht, weit mehr als das Schneidige, Plakative, das "Schlagerhafte" der Partitur. Die Wiener Philharmoniker spielen das mit einer impressionistischen Zartheit und Delikatesse, dass es ein Wunder ist. Und gleichwohl wünschte man sich vor diesem magischen Finale manches schärfer pointiert, vieles fließender im Tempo, weniger wuchtig in den Klangsäulen, natürlicher geatmet, mit weniger Röntgenblick, mit mehr "Fleisch".

Apropos: Wie Röntgenaufnahmen, Schemen der Erinnerung einer Erinnerung sozusagen, erscheinen im Schlussbild noch einmal Gemälde auf der leeren, fleckigen, purpurroten Museumswand. Kostüme als leere Hülsen Das schnelle, opernpragmatische Ende einer unlogischen Geschichte toppt Alvis Hermanis schließlich mit letzten Gesten irrealer Verrücktheiten: Die Kostüme - auch Leonora, die zuvor ihr Bühnenkleid nur zur Hälfte wieder auf ihren Körper gebracht hat, trägt jetzt wieder ihre Historienbildrobe - sind nur noch lauter leere Hülsen für leere (also letztlich auch sinnentleerte) Körper. Das ist ein finaler merkwürdiger (und dabei des Merkens würdiger kluger) Kommentar zu einem merkwürdigen Stück.

Dieses sei im Übrigen, so geht ein sprichwörtliches Bonmot, ungeachtet aller kruden Handlung, ganz leicht zu besetzen: Man brauche nur die vier besten Sänger der Welt. Nun: Anna Netrebko ist über alle Zweifel erhaben: jetzt auch eine Leonora von Weltformat.

Plácido Domingo als Graf Luna, in seinem 74. Lebensjahr, ist größter Respekt zu zollen. Immer noch spielt er dank Disziplin und Technik und unüberbietbarer Bühnenerfahrung mit vitalem Einsatz erstaunliche Reserven aus, bei deutlich knapperem Atem zwar, aber im Timbre so charakteristisch und unverwechselbar, dass durch den neu gewonnenen Bariton der unverkennbare Schmelz des früheren Tenors durchschimmert. Robust und ohne falsche Drücker Francesco Meli als Manrico verkörpert den geradlinigen, robusten, gesunden Verdi-Tenor von heute, kontrolliert und ohne falsche Drücker, sozusagen die solide Bank dieses etwas heterogenen, aber gut aufeinander eingespielten Ensembles. Marie-Nicole Lemieux als Azucena fügt sich diesem ein: die "Außenseiterin", die das Drama in Gang und es stimmlich unter Strom setzen sollte, was durch darstellerische Präsenz entschieden besser gelingt als durch das vokale Differenzierungsvermögen.

Auch wenn da das Idealmaß nicht erreicht wird: Der programmierte Höhepunkt dieser Salzburger Festspiele hat auf hohem, immer auch zum Nachdenken anregenden Niveau stattgefunden. Alle Beteiligten, einschließlich der Trägerinnen und Träger der kleinen Rollen und des nicht immer ganz exakt koordinierten Wiener Staatsopernchors, durften zum Schluss in Jubel baden.

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