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Liebesschwüre auf dem Friedhof
Von Thomas Molke /
Fotos von Thomas Jauk (Stage Pictures)
Nachdem Jens-Daniel Herzog in Dortmund die letzte Saison mit Verdis wohl berühmtester Schiller-Vertonung Don Carlo eröffnet hat, hat man auch für diese Spielzeit als Eröffnungspremiere eine Oper dieses Komponisten ausgewählt, die aus dem Repertoire nicht mehr wegzudenken ist, auch wenn endlose Kämpfe mit der damaligen Zensur ausgefochten werden mussten, bis das Werk nach zahlreichen Änderungen der Personen, des Ortes und der Zeit der Handlung schließlich am 17. Februar 1859 unter dem Titel Un ballo in maschera zur Aufführung gelangte. Zunächst wurde die historische Vorlage um den schwedischen König Gustav III., der 1792 an den Folgen eines während eines Maskenballs von Johann Jakob Anckarström verübten Attentats starb, nach Pommern ins 17. Jahrhundert verlegt. Doch auch das reichte der verantwortlichen Behörde in Neapel, wo das Stück ursprünglich zur Uraufführung gelangen sollte, nicht. Man fertigte unter dem Titel Adelia degli Adimari eine neue Fassung an, die von Kämpfen zwischen den Kaiser- und Papsttreuen in Florenz um 1385 handelte. Doch das ging Verdi zu weit. Er ging mit dem Stück nach Rom, verlegte die Handlung nach Nordamerika, machte aus dem schwedischen König den Grafen Richard (Riccardo), den Gouverneur von Boston und feierte mit der Uraufführung einen Triumph, der Verdi für zahlreiche Italiener zu einem Vorreiter des Freiheitskampfes machte. Amelia (Susanne Braunsteffer) bei Nacht auf dem Friedhof Dabei interessierte Verdi an dieser Oper weniger die politische Konstellation als vielmehr die Dreiecksbeziehung zwischen den Hauptfiguren Riccardo, Renato und Amelia. Renato ist seinem Freund und Vorgesetzten Riccardo treu ergeben und will ihn mit allen Mitteln vor dem drohenden Attentat beschützen, bis er glaubt, dass seine Frau Amelia ein Verhältnis mit Riccardo habe. Dieser vermeintliche Vertrauensbruch lässt ihn umschwenken und zum Attentäter werden. Amelia fühlt sich zwar zu Riccardo hingezogen, bekämpft aber mit aller Macht ihre Gefühle. Dass es zu einem Rendezvous auf dem Friedhof kommt, ist eher zufällig, da Amelia nur dorthin gegangen ist, um eine Pflanze zu suchen, die sie von ihrer Liebe zum Grafen befreit. Riccardo wiederum scheint des Regierens überdrüssig zu sein und sich nur für die Frau seines Freundes zu interessieren. Erst nach den Ereignissen auf dem Friedhof beschließt er, Renato und Amelia zurück nach England zu schicken, um nicht mehr in Versuchung zu geraten. Doch diese Entscheidung kommt zu spät. Renato tötet den Grafen auf dem Maskenball. Für die Dramatik des Stückes ist es folglich nicht erforderlich, die Handlung wieder nach Schweden zurückzuverlegen und die Urfassung unter dem Titel Gustavo III. zu spielen, wie es seit 1935 bei Neuinszenierungen immer mal wieder zu erleben ist. Ulrica (Anja Jung, Mitte mit den Damen des Chors) bei ihrer Séance Auch Katharina Thoma verzichtet in ihrer Inszenierung auf einen historischen Bezug zum schwedischen König Gustav III. und präsentiert die Geschichte in einem opulenten Bühnenbild von Soutra Gilmour, das mit hohen Steinbögen eine längst vergangene Zeit wieder heraufbeschwört und dem einen oder anderen Zuschauer vielleicht den Traum eines "klassischen" Opernerlebnisses erfüllen mag. Dass Thoma am Ende aber dennoch teilweise heftige Unmutsbekundungen über sich ergehen lassen muss, dürfte wohl einigen Regieeinfällen geschuldet sein, die das Publikum dann doch nicht mit Zustimmung goutierte. Ein Stein des Anstoßes sind dabei wahrscheinlich die vier Grabfiguren, die sich nahezu durch das ganze Stück ziehen. Während bereits die Ouvertüre auf dem Friedhof spielt und es dort zu einer verhängnisvollen Begegnung zwischen Amelia und Riccardo kommt, die den Gouverneur im weiteren Verlauf des Stückes scheinbar regierungsunfähig macht, steigen die Figuren im zweiten Akt, wenn Amelia auf dem Friedhof nach der Blume sucht, nicht nur von ihren Grabsteinen herab, sondern tanzen auch noch um Amelia herum. Im anschließenden Zusammentreffen mit Riccardo breitet dieser dann auf einem riesigen Grabstein seinen Mantel aus, als ob er Amelia anschließend auf den Gräbern verführen wolle. Wenn die Grabfiguren dann auch noch im dritten Akt beim Maskenball auftauchen und dort zum Menuett tanzen, wirkt das als Tanz mit dem Tod dann vielen Zuschauern doch zu platt. Liebesschwüre auf dem Friedhof: Riccardo (Stefano La Colla) und Amelia (Susanne Braunsteffer) Auch der Einsatz des wirklich niedlichen Kindes von Renato und Amelia wird in der Inszenierung übertrieben. Es gibt nicht die geringste Veranlassung, das Kind in der Friedhofsszene auftreten und seine Mutter beobachten zu lassen, während diese sich in ihrer großen Arie "Ecco l'orrido campo" auf die Suche nach dem Zauberkraut begibt. Natürlich sind auch Amelias Gedanken an ihren Sohn ein Grund für ihren Wunsch, sich von ihren Gefühlen für Riccardo zu befreien. Aber Amelia sieht ihr Kind in dieser Szene ja gar nicht, weil der Junge sich hinter einem Grabstein versteckt. Ob es dabei Thomas Personenregie oder der übertriebenen Darstellung von Susanne Braunsteffer anzulasten ist, dass man Amelia in dieser Szene ihren inneren Konflikt nicht abnimmt, ist schwer zu entscheiden. Jedenfalls leidet sowohl bei Braunsteffer als auch bei Stefano La Colla als Riccardo die Glaubwürdigkeit der Figuren durch ausladende Gestik. Ob Renato seine Frau unter dem weißen durchsichtigen Schleier mit dem großen weißen Hut, den sie auch vorher schon getragen hat, wirklich nicht erkennen kann, ist ebenfalls fragwürdig. Noch will Renato (Sangmin Lee, rechts) seinen Freund Riccardo (Stefano La Colla, links) retten. Musikalisch bewegt sich die Aufführung auf hohem Niveau, auch wenn die Abstimmung zwischen dem spielfreudigen Opern- und Extrachor und den Dortmunder Philharmonikern zumindest zu Beginn der Aufführung noch etwas wackelt, was aber vielleicht auch einer gewissen Premierennervosität geschuldet sein mag. Anja Jung begeistert als Ulrica mit voluminösen Tiefen, die unter die Haut gehen, und einem Mezzo, der ihn den Höhen eine großartige Dramatik entwickelt. Ob man ihre Hütte als Salon des ausgehenden 19. Jahrhunderts anlegen muss, in dem sie mit zahlreichen Frauen der vornehmen Gesellschaft eine Séance zur Geisterbeschwörung durchführt, ist sicherlich Geschmacksache. Der große Schatten, der hinter der Fensterfront bei der Anrufung der Götter der Unterwelt entsteht, darf allerdings als durchaus gelungener Effekt betrachtet werden. Tamara Weimerich legt den Pagen Oscar mit jugendlich frischem Sopran und beherztem Spiel an. Morgan Moody und Claudius Muth zeichnen die beiden Verschwörer Samuel und Tom mit finsterem Bass und bedrohlichem Spiel, auch wenn nicht nachvollziehbar wird, wieso Riccardo bereits am Ende des ersten Aktes nach der Prophezeiung bei Ulrica sieht, wie Tom die Waffe auf ihn richtet. Stefano La Colla stattet Riccardo mit einem höhensicheren Tenor aus und entwickelt direkt in seiner ersten großen Arie "La rivedra nell' estasi", wenn er erfährt, dass Amelia unter den Gästen für den bevorstehenden Maskenball ist, in den Spitzentönen enorme Strahlkraft. Stimmlich findet er auch in den beiden großen Duetten mit Braunsteffer im zweiten und dritten Akt zu einer bewegenden Innerlichkeit, die sich leider nicht auf das Spiel der beiden überträgt. Susanne Braunsteffer verfügt als Amelia über einen kräftigen Sopran und kann in ihren beiden großen Arien im zweiten und dritten Akt mit leuchtenden Höhen und dramatischem Ausdruck punkten. Musikalischer und darstellerischer Höhepunkt des Abends ist Sangmin Lee als Renato. Glaubhaft gestaltet er den Wandel vom treuen Freund zum Verschwörer, nachdem er seine Frau verdächtigt, ein Verhältnis mit Riccardo zu haben. Szenenapplaus erhält er für seine große Arie im dritten Akt "Eri tu", wenn sich seine Wut auf seine Frau allmählich gegen seinen Freund Riccardo richtet und er beschließt, ihn statt seiner Frau zu töten. So gibt es am Ende großen Beifall für die musikalische Gestaltung des Abends, während das Regieteam einige Unmutsbekundungen einstecken muss. FAZIT Wer eine konventionelle Inszenierung des Maskenballs sehen will, wird in Dortmund trotz einiger unnötiger Regieeinfälle sicherlich auf seine Kosten kommen. Musikalisch lässt die Produktion keine Wünsche offen.
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ProduktionsteamMusikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme Chor Licht Dramaturgie
Opern- und Extrachor des Statisterie des Dortmunder Philharmoniker
Solisten *Premierenbesetzung Riccardo Renato Amelia Ulrica
Oscar, Page Silvano, ein Matrose
Samuel, Verschwörer
Tom, Verschwörer
Ein Richter
Ein Diener Amelias
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