Kristine Opolais als exzellente Manon, Jonas Kaufmann als kraftvoller De Grieux, der seiner großen Liebe bis in die amerikanische Verbannung folgt, wo sie in seinen Armen stirbt.

Foto: Wilfried Hösl

Der Wirbel im Vorfeld dieser Manon Lescaut-Premiere war erheblich, weil ausgerechnet Anna Netrebko knapp zwei Wochen zuvor das Handtuch warf. Nach außen wurde dies als einvernehmliche Trennung kommuniziert. Was wirklich passiert ist, wissen wohl nur die Beteiligten. Dem deutschen Regie-Altmeister Hans Neuenfels wird ja ein immer noch
ungestümes Proben-Temperament nachgesagt. Und die Netrebko ist der Superstar, der sich Derartiges erlauben kann.

Andererseits ist Netrebko Profi; bisher jedenfalls hat sie sich von inszenatorischen Zumutungen nie abschrecken lassen. Aber sei’s drum. Sie wird bei den nächsten Opernfestspielen in München, sozusagen zum Ausgleich, als Tatjana in Warlikowskis Eugen Onegin für einen Aufmerksamkeitsbonus sorgen. Da in dieser Produktion mit schwulen Klischees gespielt wird, darf man das fast schon als mutiges Statement in Richtung ihrer russischen Heimat sehen.

An ihrer Stelle war jetzt Kristine Opolais eine vielleicht nicht ganz so kraftvolle, aber fabelhaft mit Jonas Kaufmann harmonierende und das Regiekonzept von Neuenfels exzellent ausfüllende Manon.

Vokal wäre es wohl die eigentliche Katastrophe gewesen, wenn Jonas Kaufmann seinen De Grieux zurückgegeben hätte. Er hat ihn aber stattdessen zum vokalen und emotionalen Kraftzentrum einer Inszenierung gemacht, die sich ohnehin auf den Kern seiner Beziehung zu Manon konzentriert.

Neuenfels liefert in München das Musterbeispiel eines analytischen, zwar souverän mit seinen Mitteln spielenden, doch äußerlich reduzierten Altersstils, der vordergründige Provokation längst nicht mehr nötig hat. Mit einem Decrescendo der Ausstattung vermeidet er jeden optischen Überwältigungsversuch.

Der schwarze abstrakte Einheitsbühnenraum von Stefan Mayer kommt mit Einzelstücken wie Kutsche, Bett im angedeuteten Salon oder einer Schiffswand mit eingebranntem Leck und Gerüst-Steg aus. Die grau gehaltenen Kostüme von Andrea Schmidt-Futerer überhöhen den Chor ins Groteske (man wurde bei den rothaarigen Dickärschen oder dem Tanzlehrer-Affen an die Bayreuther
Lohengrin-Ratten erinnert).

Nur dem smarten Markus Eiche als Lescaut billigt Schmidt-Futerer einen historischen Aufzug zu, vor allemdas tragische Liebespaar rückt sie in die Nähe einer unbestimmten Gegenwart. Die emotionale Überwältigung durch eine Geschichte, in der De Grieux der schönen Manon bis in die amerikanische Verbannung folgt, wo sie in seinen Armen stirbt, überlässt Neuenfels vor allem Puccini.

Der hat mit Alain Altingolu am Pult des Bayerischen Staatsorchesters einen Anwalt, der ihn vor allem in den ersten beiden Akten vor jedem cineastischen Breitband-Verdacht bewahrt. Doch auch wenn er dann die zunehmende Kargheit der am Ende gänzlich leeren Bühne mit entfesselter Leidenschaft füllt, hält er die Balance zu den Sängern. Puccini-Liebhaber kommen da gerade noch auf ihre Kosten. Und für die, die ihn nicht so mögen, ist der Abend eine Einladung genauer hinzuhören – und hinzusehen.

Mögliches Lebensglück

Von weißen Neonleuchten eingerahmt, versucht sich Neuenfels daran, das Scheitern einer großen Leidenschaft als einzige Chance für ein mögliches Lebensglück zu deuten. So wie er es in seinen blitzgescheit-witzigen, projizierten Zwischenkommentaren aus wechselnden Perspektiven selbst anmerkt. In Dresden waren Stefan Herheim und Christian Thielemann mit ihrem aus Österreich aufgewärmten, optischen wie musikalischen Überwältigungsversuch dieser Oper gescheitert. Neuenfels, Altinoglu und eine fabelhafte Sängercrew um Kaufmann und Opolais haben jetzt in München gezeigt, wie man es ganz anders und richtig machen kann. Jubel mit traditionellem Buh-Quantum wie bei jeder Neuenfels-Inszenierung. (Joachim Lange aus München, DER STANDARD, 18.11.2014)