Was haben eine betrogene Backpackerin, ein nackter Alter, ein prolliger Frauenheld und ein düsterer Containerbahnhof mit Mozarts Oper Don Giovanni gemeinsam? Nicht viel. Stefan Kimmigs Inszenierung an der Bayerischen Staatsoper ist sehr modern und hinterlässt den Zuschauer ratlos – im Gegensatz zum hervorragenden Ensemble.

Die Oper spielt in einem grauen und trostlosen Containerbahnhof, der nur durch die Kostüme ein paar wenige Farbtupfen bekommt. Links über dem Geschehen ist ein Flachbildschirm angebracht, der dem Publikum bei Bedarf bildlich die recht offensichtlichen Gefühlslagen der Darsteller vorführt, ansonsten jedoch von der eigentlichen Geschichte ablenkt. Die verschiedenen Szenen werden durch die beweglichen Container gestaltet, die durch Öffnen einer Wand verschiedene Bühnenbilder möglich machen.

Kimmig gibt Don Giovanni als pöbeligen Neureichen, der mit winterlichen Jetset-Partys, goldenen Anzügen und übergroßen Sonnenbrillen die Frauenwelt beeindrucken will. Christopher Maltman füllt die Rolle schauspielerisch wie gesanglich perfekt aus. Er unterstreicht Don Giovannis Leichtlebigkeit, indem er mit aller Kraft Zerlina zu verführen versucht und andererseits im zweiten Akt mit zärtlichem Bass Donna Elvira seine Liebe gesteht. Während er größtenteils mit schonungslosem Forte den Lebemann gibt, überrascht Maltman in der Arie „Deh, vieni alla finestra, o mio tesoro“ mit weichem Timbre und zurückhaltendem Piano. Ihm zur Seite steht, zumindest meistens treu, sein Diener Leporello, der von Alex Esposito mit aller nur möglichen Komik ausgestattet wird. Er hat sichtlich Spaß an der Rolle, nimmt mit sehr feiner Dynamik im Pianissimo gerne Kontakt zum Publikum auf behält dabei in den teils zungenbrecherischen italienischen Phrasen den Überblick. Bei aller Komik ist es aber vor allem sein klarer, heller Baritonklang, mit dem Esposito seinem „Chef“ die Show stiehlt. Zusammen mit Maltman bildet er das perfekte „Duo infernale“.

Die größte Entwicklung durchlebt wohl die betrogene Donna Elvira, gesungen von Veronique Gens. Anfangs feuert sie Don Giovanni vor allem ihre tiefen Töne entgegen, während Gens im zweiten Akt ihr Verzeihen mit einem viel weicheren Timbre zum Ausdruck bringt. Selbst ihre merkwürdige Ausstattung einschließlich Campingkocher und Wanderschuhe können diese differenzierte Gestaltung nicht überdecken. Auch die Besetzung für die beiden sich versprochenen Paare Ottavio (Charles Castronovo) und Anna (Erin Wall) sowie Zerlina (Hanna-Elisabeth Müller) und Masetto (Tareq Nazmi) erweist sich als Glücksgriff, denn vor allem ihre ausbalancierten Duette lassen die Verliebten wirklich glaubhaft wirken.

Genauso sorgfältig hat Dirigent Constantinos Carydis das Orchester eingestellt, das mit fein justierten Registern die einerseits finster-lauten und andererseits tänzerischen staccato-Passagen meistert. Vor allem die Holzbläser stimmen sich geschickt mit den Sängern ab und führen deren Linie konsequent weiter. Nur die Verwendung eines Hammerklaviers anstelle eines Cembalos (das zu dieser Zeit bereits etabliert und in Instrumentalwerken durchaus gebräuchlich war) in den Rezitativen ist ein wenig ungewohnt.

Die Übertragung der Don Giovanni-Thematik in die heutige Zeit wäre vielleicht keine schlechte Idee, wenn das Ergebnis seine Intentionen nicht immer nur andeuten würde. So bleibt eine eventuelle Gesellschaftskritik am verschwenderischen Jetset (oder gar an der Münchner Schickeria?) oder an der containerdominierten, globalisierten Welt unverständlich. Auch wird nicht klar, warum Kimmig den Friedhof durch einen Schlachthof mit Schweinekadavern ersetzt. Giovannis Höllenfahrt schließlich wird durch einen Herzinfarkt und eine zitternden Menschenkette ebenfalls nur angedeutet.

Die Inszenierung steht für meinen Geschmack teilweise deutlich im Widerspruch zur Oper Mozarts. Die pompöse Gestalt des Don Giovanni mag sich so gar nicht in die düstere Containerlandschaft einfügen. Außerdem lenkt Kimmig mit Flatscreen oder erfundenen Charakteren wie dem zumeist nackten Alter Ego des Don Giovanni, das wohl aus dem Jenseits entwischt ist, vom Wesentlichen ab. Eine gewitzte Idee ist die Tafelszene, in der Giovanni und Leporello die von Mozart eingebauten Musikzitate, die er als Hommage an seine Komponistenkollegen entlehnt hatte, vom Band abspielen lassen und so die „Hits des letzten Sommers“ durchgehen. Das kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Geschehen auf der Bühne kaum mit der Musik aus dem Graben harmoniert. Dieser Don Giovanni will provozieren und einen neuen Blick auf die Oper ermöglichen, bleibt dabei aber inkonsequent und wirft mehr Fragen auf als er beantwortet.

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