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Wahnsinnsoper

Eine Wahnsinnsoper

Kultur / Lesedauer: 4 min

Eine Wahnsinnsoper
Veröffentlicht:27.01.2015, 18:48

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Eine glänzende Neu-Inszenierung erlebt Donizettis Oper „Lucia di Lammermoor“ mit Diana Damrau und Kirill Petrenko an der Staatsoper München.

Diese Lucia ist kein armes Hascherl. Sie ist – übrigens auch schon bei Donizetti – eine verliebte, junge Frau, die vehement um ihre Liebe kämpft – und darüber verrückt wird. Donizetti hat aus der traurigen Geschichte der Lucia von Lammermoor eine fulminante Belcanto-Oper gemacht. Und fulminant ist die Neu-Inszenierung von Barbara Wysocka an der Staatsoper München – weil Diana Damrau die Titelrolle bravourös gestaltet und Kirill Petrenko am Pult Außerordentliches gelingt.

Belcanto steht unter Kitsch-Verdacht. Der legendäre Ferenc Fricsay setzte in seiner ersten Saison 1956/57 als Bayerischer Generalmusikdirektor zwischen die Erstaufführungen „Chowantschina‘ und „Wozzeck“ die „Lucia di Lammermoor“ auf den Spielplan. Warum?, wurde er gefragt. „Weil ich eine Erika Köth habe“, antwortete der Dirigent. Heute hätte Kirill Petrenko sagen können: „Weil ich eine Diana Damrau habe.“

Die Münchner Neu-Inszenierung ist in zwei Punkten sogar so etwas wie eine Uraufführung. Denn einige Passagen in Lucias Wahnsinns-Arie begleitete nicht wie sonst die Flöte, sondern eine Glasharmonika. Das entspricht den Intentionen des Komponisten, der als Instrumentationsgenie den unheimlichen entkörperlichten, gleichwohl magischen Klang dieses Instruments einsetzen wollte. Aus unbekannten Gründen gelang dies bei der Uraufführung 1835 in Neapel nicht.

Außerdem hat Kirill Petrenko viele kleine Striche aufgemacht. Zum Beispiel: Die sogenannte Wahnsinnssarie der Lucia wird stets nur als Bravournummer empfunden. Doch Petrenko lässt Einwürfe und Aktionen der Umstehenden zu und steigert die Arie so zu Wahnsinnsszene.

Die wichtigste Entdeckung ist ein Duett zwischen Lucia und ihrem zwielichtigen Vertrauten Raimondo (Georg Zeppenfeld). Der überredet Lucia mit pfäffischer Schlauheit und balsamischer Bassesfülle, der Familienräson zuliebe den ungeliebten Arturo zu heiraten.

Die Damrau ist ein Ereignis

Lucia ist nämlich von Anfang an, auch bei Donizetti, kein armes Hascherl, erschöpft sich nicht in romantischem Schwärmen oder mädchenhafter Verletzlichkeit. Sie ist eine junge verliebte Frau, selbstbewusst, vehement intensiv, die sich zu ihrer Liebe zu Edgardo bekennt. Wenn Diana Damrau sich mit virtuosesten Koloraturen in Glückserinnerungen verliert, erzählt sie von Erlebtem und nicht nur von Erträumtem. Ihre Gefühle verströmt sie in den Duetten, Ensembles. In der Wahnsinnsszene dominiert die Brillanz. Erfordert sie Verzweiflung, dramatischen Ausbruch, dann erschüttert Diana Damrau noch im leisen Erlöschen. Ein Ereignis.

Man weiß nicht, wann und wo sich Lucia und Edgardo begegneten. Aber Lucia hat sich in Pavol Breslik den vokal besten Liebhaber erwählt: eine herzlich-leidenschaftliche Stimme, strahlende Lyrik, glanzvolles Forte. Brüder kann man sich nicht ausssuchen. Dalibor Jenis spielt einen etwas groben Enrico und geht auch mit seinem fabelhaften Material etwas sorglos um. Sehr gut alle Nebenrollen, man dankt für das Sextett.

Karajan hat „Lucia“ dirigiert, Abbado, Fricsay – nun Kirill Petrenko. Er trug die Sänger, balancierte das dynamische Gleichgewicht von Bühne und Orchester. Er spürte den Tempi als dem inneren geistigen und emotionellen Atem nach, vermittelte im Einklang mit den Sängern orchestral ausdrucksvoll alle Situationen. Er sieht im dramatischen Donizetti den Vorgänger Verdis, seine Energie, seine Kraft, er pointiert rhythmisch exakt, mit federnder Eleganz, pulsierenden Steigerungen.

Die Geschichte von Liebe und Tod im biedermeierlich romantischen Schottland des frühen 19. Jahrhunderts: Barbara Hanicka hat dafür einen ramponierten Ballsaal gebaut, in dem man eine Limousine parken, Eheverträge schließen, intrigieren ‚ sich umarmen, auch den Verstand verlieren oder sich erschießen kann. Die junge Regisseurin Barbara Wysocka erzählt, überraschend genau, den Kampf einer jungen Frau um ihre Unabhängigkeit von Macht und Liebe in der Upper Class Amerikas um 1960 (und behindert sonst die persönlichkeitsstarken Sänger wenig). Ihre weiteren Überlegungen finden sich im Programmheft deutlicher als auf der Bühne.

Ovationen – nur das Inszenierungsteam begeisterte nicht alle. Vielleicht wunderten sich einige, dass Liebende um 1950 nur Briefe schrieben, die dann folgenreich unterschlagen wurden. Warum haben sie nicht telefoniert ?

Bayerische Staatsoper, Kartentelefon: (089) 21 85 19 20, www.staatsoper.de