München
Des Wahnsinns stille Größe

Gespannt erlebt das Premierenpublikum das München-Debüt von Diana Damrau als Lucia di Lammermoor

27.01.2015 | Stand 02.12.2020, 21:43 Uhr

Alles was ihr blieb, ist sein schrottreifes Cabriolet und eine Waffe – Diana Damrau als Lucia an der Münchner Staatsoper - Foto: Hösl

München (DK) Mehr als 20 Jahre ist es her, dass Edita Gruberova eine wirklich fulminante „Lucia die Lammermoor“ in München prägte – und damals gab es vereinzelt Seufzer, dass man erst Joan Sutherland hätte erleben müssen. Der Fluch des schweren Erbes. Er wird wie der Stab einer Stafette weitergereicht, und so seufzten gestern manche nach der Gruberova.

Denn man geht nicht einfach so in die Oper, wenn Diana Damrau ihr hiesiges Rollendebüt gibt. Man schreitet zur Andacht, bereit zum Niederknien – oder eben nicht. Das Premieren-Publikum kniete nicht, obwohl der Schlussapplaus rauschte und Rosen flogen. Vielleicht spielte der vom Dirigat verweigerte Zwischenapplaus eine Rolle oder, dass mitten in Lucias Wahnsinnsarie, bevor sie im Gerangel ein Bauchschuss niederstreckt, im Rang wegen einer Ohnmacht großes Rumoren anhob. Es wurde leider nicht der perfekte Abend für Damrau. In ihren größten Momenten hält man zwar den Atem an, wenn sie aus einem belanglosen Rezitativ plötzlich Sphärenmusik gestaltet, mit der Geige als Klangzwilling singt, in der Mittellage perfekt ihre sanften Bögen moduliert – aber sie ist nicht durchgehend auf der luziden Höhe ihrer Kunst.

Nun, wer ist das schon. Ein musikalischer Erfolg wird der Abend dennoch, schon wegen Kirill Petrenko, der wohl auch noch aus Fliegenschissen auf Notenlinien etwas Grandioses zaubern könnte. Wie erst erklingt unter seinem Dirigat Gaetano Donizettis Belcanto-Ganzstück! Petrenko schreibt im Programmheft, die Partitur sei spannend wie einen Krimi, und tatsächlich treibt er sie durch eine mit dem Florett dirigierte Tour de Force von tänzerischer Leichtigkeit, ganz ohne jene dröhnende Wucht, mit der man sie oft malträtiert. Auch die berühmte Glasharfe erklingt, die Donizetti als brandneue Novität für die zentrale Arie der Titelfigur vorgesehen hatte – und die bei der Premiere 1835 in Neapel fehlte, weil das Honorar des Glasharfenisten ausstand. So hatte die arme Lucia in ihrem Wahn fortan eine Flöte an ihrer Seite, bis 1991, in München übrigens, gesungen von der Gruberova unter dem Dirigat von Michel Plasson, erstmals nackenhaarsteifende Glasklänge mit den Koloraturen der Sängerin zugleich schwangen.

Die Regie der jungen Polin Barbara Wysocka erzeugte hingegen zwar schöne Theaterfotos, konnte aber nicht halten, was diese versprechen. Schon wenn blasse Kinder als Sängerdouble über die Bühne schleichen, bekommt der geübte Operngast die Déjà-vu-Krätze, dazu noch Stummfilmprojektionen, Schmierereien an der Wand, umgestürzte Möbel. Ach ja. Wie oft noch?

Dass sich eine Powerfrau wie die Damrau mit einem ungeliebten Mann verheiraten lässt, sobald ihr Bruder mit der Faust droht, dass ihr ein Tenor imponieren sollte, nur weil er einen dicken Schlitten fährt und so gut rückwärts einparken kann – wer, bitte, soll das glauben? Immerhin erzeugt Wysocka für diesen Edgardo, wunderbar gestaltet von Pavol Breslik, eine gewisse Fallhöhe. Er wandelt sich überzeugend vom lendengesteuerten Chauvi zum Gescheiterten, Desillusionierten, und das ist bei einem wenig psychologisch aufgeladenen Libretto schon sehr viel.

Ebenfalls verdient applaudiert wurde dem Bass Georg Zeppenfeld als Erzieher Raimondo. Es war kein schlechter Abend, wahrlich nicht – und man kann sich freuen, wenn es in zwanzig Jahren eine Neuinszenierung geben wird. Dann nämlich seufzt man in der Pause bekümmert: „Ich habe ja noch die Damrau gehört – kein Vergleich. Wirklich!“