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Ausgrabung

Sensationelle Opern-Wiederentdeckung

Kultur / Lesedauer: 3 min

Sensationelle Wiederentdeckung: Niccolò Jommellis Oper „Il Vologeso“ an der Staatsoper Stuttgart
Veröffentlicht:16.02.2015, 21:53

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Nach fast 250 Jahren ist die Oper „Il Vologeso“ von Niccolò Jommelli jetzt zum ersten Mal wieder szenisch aufgeführt worden. Mit dieser Ausgrabung feiert die Staatsoper Stuttgart den 300. Geburtstag des einst europaweit berühmten Komponisten. 2014 gehörte Jommelli neben Gluck und C.P.E. Bach zu den „Klassik“-Jubilaren, wurde aber anders als die beiden Altersgenossen vom Musikbetrieb kaum gewürdigt. Die Stuttgarter Produktion bestätigt seinen Rang als begnadeter Musikdramatiker.

Zu Recht sehen Jossi Wieler und Sergio Morabito, die „Il Vologeso“ unter dem Titel „Berenike, Königin von Armenien“ inszeniert haben, an „ihrem“ Opernhaus besonderen Bedarf für eine Rehabilitation Jommellis. Immerhin hat der 1714 bei Neapel geborene, 1753 vom württembergischen Herzog Carl Eugen als Hofkapellmeister engagierte Komponist Stuttgart zu internationalem Ruhm verholfen. Von Zeitgenossen wurde er einst „Italiano in Stoccarda“ genannt, vom jungen Mozart als Vorbild bewundert.

An seiner einstigen Wirkungsstätte ehrt man Jommelli nun ergänzend zu den „Berenike“-Vorstellungen mit Konzerten und Vorträgen. In Ludwigsburg gibt es zudem eine Sonderausstellung. Dort hat 1766 zum Geburtstag Carl Eugens auch die Uraufführung des „Vologeso“ stattgefunden. Mit 3000 Plätzen war das Ludwigsburger Opernhaus damals das größte in ganz Europa. 1769 wurde Jommellis Meisterwerk in Lissabon zum letzten Mal szenisch gespielt. Ein Akt kam noch 1912 zur Eröffnung des Stuttgarter Großen Hauses auf die Bühne.

Aus der Versenkung geholt wurde „Il Vologeso“ freilich nicht erst jetzt vom Regieteam der Staatsoper Stuttgart. Bereits 1993 hat der Jommelli-Spezialist Frieder Bernius die erste konzertante Wiederaufführung am Eckensee dirigiert und dann auch die erste CD-Einspielung vorgelegt. Wieler und Morabito haben nun in bewährter Zusammenarbeit mit Anna Viebrock (Bühne und Kostüme) einen modernen Zugang zu Jommellis letzter Opera seria gewählt. Das Libretto von Mattia Verazi bietet die gattungstypischen Konstellationen von Liebe und Politik.

Der römische Feldherr Lucio Vero hat den Partherkönig Vologeso besiegt und wirbt heftig um dessen Gattin Berenice, die ihn jedoch empört zurückweist. Als zusätzliches Hindernis taucht die mit Lucio verlobte Lucilla auf. Ihr stellt Lucios Vertrauter Aniceto nach. Auch Flavio, der Lucilla als Gesandter des Kaisers begleitet, verfolgt eigene Liebes- und Machtinteressen. Da schenkt man sich nichts an gegenseitigen Intrigen. Vor allem Lucio versucht sein Ziel skrupellos zu erreichen.

Für ihre Zeit moderne Partitur

Viebrocks Bühne zeigt im Hintergrund zerstörte Häuser unserer Zeit. Davor steigen breite Stufen zu einem steinernen Brunnen an. Bemalte Stoffbahnen suggerieren römische Säulen. Hektisch rennen zur Ouvertüre junge Leute in schmuddeliger Freizeitkleidung durcheinander. Einige ziehen sich um. Ein Schwert, barocke Kleider und andere Utensilien kommen ins Spiel. Offenbar wird eine Freiluftaufführung vorbereitet. Leider lässt sich dieses Konzept einer verfremdenden Rahmenhandlung nicht über die ganze Oper schlüssig durchhalten.

Die Vorgabe einer Laienvorstellung kollidiert mit der Notwendigkeit professioneller Bühnenpräsenz. Vieles bleibt unklar. Eine bezwingende Atmosphäre, wie man sie von anderen Inszenierungen dieses Teams kennt, will nicht entstehen. Gleichwohl gibt es immer wieder gelungene Szenen, die im Verbund mit Jommellis genialer Musik überwältigen. Der ehemalige Stuttgarter Generalmusikdirektor Gabriele Ferro erweist sich am Pult des reduzierten, fast auf Bühnenhöhe hochgefahrenen Staatsorchesters als feinfühliger Anwalt der für ihre Zeit unglaublich modernen Partitur.

Mit drei geteilten Streichergruppen, wenigen Bläsern und einem brillanten Continuo-Team wird plastisch musiziert. Ana Durlovski (Berenice), Catriona Smith (Flavio) und der Countertenor Igor Durlovsli (Ancieto) singen achtbar, bleiben aber hinter Jommellis virtuosem Belcanto heftiger Leidenschaften zurück. Sebastian Kohlhepp (Tenor) als windiger Lucio Vero, Sophie Marilley (Sopran) als gefangener Vologeso und Helene Schneiderman (Mezzosopran) als damenhafte Lucilla bieten vokal und szenisch sensationelle Rollenporträts.

Weitere Vorstellungen am 19. und 22. Februar, am 9., 17., 22., 25. und 30. Mai sowie am 4. Juni. Karten gibt es im Internet unter: www.staatstheater-stuttgart.de