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Lulu mit dem Kopf durch die Wand

Marlis Petersen wurde in München als sensationelle Lulu gefeiert. Nicht jeder in der Oper bemerkte ihren Bühnenunfall.

Lulu mit dem Kopf durch die Wand
Lulu mit dem Kopf durch die Wand
Lulu mit dem Kopf durch die Wand
Lulu mit dem Kopf durch die Wand

Das nennt man hart im Nehmen. Die Rolle der Lulu ist ohnehin eine der größten Herausforderungen im Leben einer Sopranistin. Und dann das: Im zweiten Akt knallt "Lulu" Marlis Petersen beim Auftritt im Furor an eine der Scheiben im komplizierten Glaslabyrinth, das Dmitri Tcherniakov sich für seine Inszenierung ausgedacht hat. Blutfleck auf dem Glas, das weiße Kleid zeigt Blutspuren - und Marlis Petersen singt und spielt weiter, als ob nichts gewesen wäre. Und sogar hinterher noch bei der Premierenfeier im Keller jazzt sie mit der Hausband, von "Big Spender" bis "I Got Rhythm", ausgelassene Stimmung allerseits. Wie in alten Zeiten, als Marlis Petersen mit einer Band ihr Gesangsstudium finanzierte. Wer in die Nähe kam, sah um die Nase der Sopranistin doch langsam die Nachwirkungen des Bühnenunfalls herandräuen, man ahnte, was kommen musste.

Tags darauf hatte sich das Missgeschick farbig ins Gesicht geschrieben, den Humor hat Marlis Petersen dennoch nicht verloren. Der "neue Lidschatten Lila Lulu" scherzte sie gegenüber ihren ob der Bilder mit der hämatomgezeichneten Augenpartie entsetzten Freunden. Und guten Mutes erschien sie am vergangenen Freitag zur zweiten Aufführung. Wieder ein Riesenerfolg, die Maske hatte gute Arbeit getan, "man hat nichts gesehen und die Schmerzen verschwinden mit dem Adrenalin des Stückes sofort", meldete Marlis Petersen auf Anfrage. Immerhin hieß die Diagnose "dislozierte Nasenbeinfraktur".Die Staatsoper schweigt
Die Bayerische Staatsoper hüllte sich in Schweigen, aus dem Haus ist dennoch zu erfahren, dass sich der Intendant Nikolaus Bachler eher cool geäußert habe. Jeder wäre selbst dafür verantwortlich, wie man sich bei den Scheiben bewege und agiere. Doch schon bei den Proben soll es Unfälle gegeben haben, Schnittwunden, Nasenbeinbrüche und Krankenhausaufenthalte. Letztes Opfer bei der zweiten Vorstellung war jemand vom Aufnahmeteam.

Ob sich die Einstellung zum gefährlichen Terrain ändert, gar Maßnahmen ergriffen werden? Man wird sehen. Mit dieser Art von Dramatik hat zur Premiere niemand gerechnet. Wenn deutsche Zeitungen empfehlen, sich extra wegen Marlis Petersen unbedingt diese "Lulu" anzuschauen, hat das andere Gründe, künstlerische. Darum geht es eigentlich bei solchen Anlässen.

Dass in München nicht nur die Musikfreunde den Abend genossen, sondern auch Profis wie Regisseure, Intendanten, Musiker und Journalisten anreisten, hing mit dem Team zusammen, das die Bayerische Staatsoper engagiert hatte. Und es zeigte sich wieder einmal, dass Kirill Petrenko nicht umsonst als dirigierender "Wunderknabe" gefeiert wird. Der stille Generalmusikdirektor leitete Bergs Meisterwerk - die dreiaktige, von Friedrich Cerha erstellte Fassung - mit einem Sensorium für dramatische Ausgewogenheit, das kostbar ist, und dennoch mit einer klanglich breiten Sinnlichkeit, als ob er Mahler oder Strauss im Ohr hätte. Niemals aber vergaßen er und das exzellente Orchester die Anforderungen, denen die Sänger ausgesetzt sind. Als weiterer Publikumsmagnet gilt Dmitri Tcherniakov, mehrmals schon "Regisseur des Jahres" und wie erwähnt auch sein eigener Ausstatter. Sein gefahrvolles, spiegelndes Glaslabyrinth ergibt Sinn, in Zwischenspielen zeigen Statisten choreografierte Geschlechterkämpfe bis zur Erschöpfung. Er sorgt immer wieder für Spannung ob seines Hanges, von anderen Dreh- und Angelpunkten her zu inszenieren und intelligent zu überraschen.Die beste Ausgangsbasis
Die beste Ausgangsbasis für einen hoch gehandelten Abend also, den die Hauptdarstellerin krönte. Marlis Petersen ist wohl die Lulu unsrer Tage, was nicht nur daran liegt, dass sie damit ihre bereits neunte Produktion absolviert, sondern dass sie wie gewohnt völlig in der Rolle aufgeht. Natürlich ist sie nicht mehr das blutjunge Ding, das in aller Naivität die gierigen Männer ins Verderben stürzt. Die deutsche Sopranistin ist in dieser Produktion eine alterslos tragische Frauenfigur, die alle in Bann und ins Verderben zieht, sie singt die schwierige Partie mit lyrischer Inbrunst und ohne jegliche technische Grenze. Phänomenal. In der Besetzung gab es keine Schwachstelle. Bo Skovhus kommt als Dr. Schön nur mit Brutalität von Lulu los, als Jack the Ripper muss er zusehen, wie Lulu ihm das Messer entreißt, um sich selbst zu töten. Von Rainer Trost (Maler/Neger), Matthias Klink (Alwa), Wolfgang Ablinger-Sperrhacke (Prinz/Marquis) bis zu Martin Winkler (Athlet) und Daniela Sindram (Gräfin Geschwitz) sind alle am Höhenflug dieser "Lulu" intensiv beteiligt.

Oper: Alban Berg, Lulu. Bayerische Staatsoper. Noch am 3. 6., 6. 6. (dazu Livestream), 10. 6. Wiederaufnahme 20. 9., 23. 9., 26. 9. 2015.

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