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Wahnsinn mit Methode
Von Stefan Schmöe / Fotos von Hans Jörg Michel
Es ist schon ziemlich finster, wie sich der russische Schriftsteller Walerie Brjussow 1908 in seinem Roman Der feurige Engel (und 11 Jahre später Sergej Prokofjew in seiner gleichnamig Oper) die Zustände im Köln des 16. Jahrhunderts ausmalten: Da ist die rätselhafte Renata, die seit ihrer Kindheit die Vision eines feurigen Engels hat und mit dem Heranwachsen mehr und mehr die sexuelle Vereinigung mit dieser Erscheinung herbei sehnt. Sie steigert sich in den Glauben hinein, ihrem Engel in menschlicher Gestalt, einem Grafen, begegnet zu sein, wurde aber von diesem verlassen. Der Ritter Ruprecht, der Faszination Renatas erliegend hilft ihr bei der Suche nach dem Grafen, fordert diesem zum Zweikampf und wird schwer verwundet. Renata wird von der Inquisition getötet. In den 20er-Jahren war das symbolistisch-mysteriöse Spiel an der Kippe zwischen Mittelalter und Neuzeit (das Prokofjew im Wesentlichen in den bayerischen Alpen nahe Oberammergau komponierte) offenbar allzu starker Tobak; zur Uraufführung kam es erst nach dem Tod des Komponisten 1954 (konzertant) bzw. szenisch 1955 (und das russische Publikum musste gar bis 1983 warten). Renata und Ruprecht
Natürlich liegt es nahe, das Stück psychoanalytisch zu deuten. Regisseur Immo Karaman, gemeinsam mit Aída Leonor Guardia für das geniale Bühnenbild verantwortlich, verlegt das Geschehen mit deutlichen Anspielungen auf die Entstehungszeit in eine Nervenheilanstalt, genauer gesagt in die Beelitz-Heilstätten bei Berlin, die Anfang des 20. Jahrhunderts zwar streng genommen für Lungenkrankheiten errichtet wurden, aber mit illustren Patienten wie Adolf Hitler (als verwundeter Soldat im 1. Weltkrieg) und Erich Honecker (nach dessen Krebserkrankung zu Beginn der 1990er-Jahre) und einer pompösen Architektur einen beziehungsreichen und immer wieder verstörenden Rahmen abgeben. Die Handlung als Wahnvorstellung einer verwirrten Frau darzustellen, das hätte, allzu nahe liegend, die Absurdität und Phantastik der Handlung sanft abfedern können. Karaman und sein Team (dazu gehört noch Fabian Posca, für Kostüme und Choreographie zuständig) geht es nicht (nur) darum, die Oper zu erklären und zu „retten“, sondern sie setzen den ganzen Wahnsinn dieser ziemlich irren Oper um. In der Heilanstalt: Ruprecht (Mitte) mit der Äbstissin
Es sind im Bühnenbild eben nicht einfach die bombastische Sporthalle der Beelitz-Heilstätten mit ihrer geradezu theaterhaft gestaffeltenen Architektur nachgebaut; sondern immer wieder ändert sich in Sekundenschnelle die Szenerie, indem (beinahe wie Prospekte im Barocktheater) Zwischenwände herunter gelassen werden und bald wieder hochfahren. Oft bekommt der Raum den beklemmenden Charakter eines unterirdischen Gefängnisses, dann öffnet er sich urplötzlich zum Operationssaal der Pathologie, zum Büro oder zum Varieté der 1920er-Jahre. Nicht nur Chefbeleuchter Volker Weinhardt, auch die gesamte Bühnentechnik leisten Bewundernswertes mit diesen überaus raffinierten Szenenwechseln. Ruprecht ist natürlich kein Ritter, sondern Arzt, und die Nonnen (im Original zieht Renata sich in ein Kloster zurück) sind die Krankenschwestern. Laut Libretto gesellen sich Mephisto und Dr. Faust zu Ruprecht – hier sind das zwei Darsteller im klinikeigenen Kabarett. Karaman breitet höchst spannend ein düsteres Anti-Zauberberg-Panorama aus mit bedrohlichen Bildern, den zimperlich geht es nicht zu in dieser Anstalt. Was hier Realität und was Wahn ist, das verschwimmt immer mehr, und am Ende stellt sich die Frage, wer hier eigentlich wahnsinnig ist. Teufelsaustreibung: Renata und der Exorzist
Die beiden Hauptdarsteller leisten Großartiges. Svetlana Sozdateleva stemmt die Riesenpartie der Renata mit keiner ganz großen Stimme (hier und da wären ein paar dramatische Reserven nicht schlecht), aber mit außerordentlicher Intensität, und mit leicht nervösem Vibrato lässt sie sich auch bei großen Klangballungen nicht zum unkontrollierten Schreien verleiten. Boris Statsenko ist markiger, präsenter Ruprecht mit großformatigem, schneidend pointiertem Bariton. Und in den sehr konzentriert aufspielenden Düsseldorfer Symphonikern unter der Leitung von Kapellmeister Wen-Pin Chien haben sie kongeniale Partner. Chien lässt das Orchester mit Wucht, aber nicht lärmend spielen, und die Solisten werden (fast) nie zugedeckt. Der Frauenchor singt mit vibrierender Intensität (Einstudierung: Christoph Kurig). In den kleineren Partien glänzen vor allem Sergej Khomov (Doktor von Nettesheim, Mephisto) und Florian Simson (Jakob Glock), aber auch Renée Morloc (Wahrsagerin) und Susan Maclean (Äbtissin). Jens Larsen dürfte als Exorzist noch mehr vokale Durchschlagskraft haben.
Die Rheinoper beendet die Spielzeit mit einem Paukenschlag. Unbedingt hingehen. Ihre Meinung Schreiben Sie uns einen Leserbrief (Veröffentlichung vorbehalten) |
Produktionsteam
Musikalische Leitung
Inszenierung
Bühne
Kostüme, Choreographie
Licht
Chor
Dramaturgie
Solisten
Ruprecht
Renata
Wahrsagerin
Äbtissin
Doktor Agrippa von Nettesheim /
Doktor Faust
Mathias
Exorzist /
Zwei junge Nonnen
Drei Assistenten
Drei Zuschauer
Ein Junge
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