Die große Mauer und die Terrakotta-Krieger, das dürfte so ziemlich das Erste sein, was einem normalerweise zum alten China einfällt. Marco Arturo Marelli, dem Regisseur und Bühnenbildner in Personalunion, ging es wohl ebenso. Und so sehen wir auf der Bregenzer Seebühne, wo Giacomo Puccinis „Turandot“ die neue Intendanz von Elisabeth Sobotka eingongt – eine Mauer und Tonkrieger. Der Wall freilich, drachenhaft mit zwei Türmen sich schlängelnd, ist 72 Meter breit, 27 Meter hoch und wiegt 335 Tonnen. Die Kämpferfiguren als zweifache Hundertschaft scheinen ihn unterqueren zu wollen – und springen vom Bodenseehimmel aus in die feuchten Fluten. Bregenz liebt es groß.
In der Mitte dreht sich zudem eine schräge Spielscheibe, die das Büro der zwielichtigen, dann aber doch dem Stück abhanden kommenden Minister Ping (herausragend: Andrè Schuen), Pang und Pong offenbart. Hier konservieren diese die abgeschlagenen Köpfe der an den drei Rätseln gescheiterten Bewerber um die Hand der Prinzessin Turandot. Auch den des aktuellen. Immerhin eine Idee.
Turandot erscheint als durchaus verletzliche Prinzessin (mit verletzendem Vibrato: Mlada Khudoley) unter dem traditionellen, bisweilen auf dem Garderobenständer aufgebahrten Böse-Frauen-Ornat. Von ihr stammt das Messer, mit dem die bezopfte, selbstlos liebende und wie immer anrührende Liù (China-Verbeugung mit hartem Sopran: Guanqun Yu) später Selbstmord begehen wird. Noch eine Idee.
Der dritte Regieeinfall des ordentlichen, aber nicht herausragenden Abends ist dem Prinzen Calaf gewidmet. Der hat einen Schnauz und wurde auch sonst ein wenig dem Aussehen des Komponisten Puccini nachgestaltet. Warum auch immer. Ein Klavier hat er zudem, in dem blauen Viereck, das exterritorial neben der Scheibe schwebt. Und ein Bett. Auf dem liegt Riccardo Massi und singt – genau – mit monochromem, aber gut geführtem Tenor „Nessun‘ dorma“ – „keiner schlafe“.
Man merkt: Regisseur Marelli will sich konzentrieren und trotzdem Spektakel bieten. Mit einem aufklappbaren LED-Deckel samt Sonnen-, Reptilien- und Masken-Videos, Akrobaten, Lichtbarken, Lampions, Wasserfontänen, Papierdrachen, Bändertänzen und Shaolin-Kämpfern, welche steingrauen Arbeiterbrigaden, einer verderbten Otto-Dix-Society à la Shanghai und am Ende Massenhochzeitern gegenüberstehen. Doch es gebricht ihm an Konzentration, und auch an einprägsam-ikonographischen Monumentalbildern. Alles ist soso. Auch das diesmal nicht sonderlich gut abgemischte Klangglutamat: Paolo Carignani und die Wiener Symphoniker, eingespielt aus dem Festspielhaus, tönten oft wie aus der Chinapfanne.
So lautete die alle bewegende dramaturgische Frage an diesem von düsterschwarzen Gewitterwolken überwölbten Bregenz-Abend: Hält das Wetter? Es hielt. Nach einem Regentropfen-Prélude, bei dem ausgerechnet der sanft schunkelnde Mond-Chor durch das kollektive Entfalten der Publikumsplastikpelerinen zerraschelt wurde, blieb es weitgehend trocken. Aber eben auch ohne weitere besonderen Vorkommnisse.